Schulen:Streit über Tempo bei Schul- und Kitaöffnungen

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Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums mit Mundschutz. Foto: Arne Dedert/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa) - Der Streit über das Tempo bei Schul- und Kitaöffnungen hat am Donnerstag weiter Fahrt aufgenommen. Mehrere Bundesländer haben inzwischen angekündigt, dass zumindest an Grundschulen die Schüler bald nicht mehr getrennt, sondern wieder in voller Klassenstärke unterrichtet werden sollen.

Kritiker wiesen vor diesem Hintergrund auf mögliche gesundheitliche Gefahren hin. Befürworter hoben dagegen hervor, welche negativen Folgen ein dauerhaft eingeschränkter Schul- und Kitabetrieb für Kinder und Jugendliche haben könnte. Auch die Frage, ob es wenigstens nach den Sommerferien an den Schulen wieder halbwegs normal weitergehen soll, bleibt umstritten.

MEHRERE LÄNDER GEHEN VORAN

Sachsen hatte schon am vergangenen Montag als erstes Bundesland Grundschulen und Kitas im eingeschränkten Regelbetrieb wieder geöffnet. Statt auf kleine Gruppen und Abstandsregeln zu setzen, werden Gruppen und Klassen voneinander getrennt. Schleswig-Holstein hatte nun am Mittwoch ebenfalls entschieden, dass dort alle Grundschüler ab dem 8. Juni wieder zur Schule gehen sollen - ohne Abstandsregeln. Ab Mitte Juni peilt auch Sachsen-Anhalt für Grundschüler wieder einen Betrieb in gesamter Klassenstärke an. In Baden-Württemberg ist das ab Ende Juni geplant. Auch vollständige Kita-Öffnungen rücken vielerorts immer näher.

ANSTECKUNGS- UND INFEKTIONSGEFAHR

Unklar bleibt, welche gesundheitlichen Risiken eine beschleunigte Öffnung in der Corona-Pandemie birgt. "Die Wahrheit ist, dass wir aktuell eine Studienlage haben, die keine echten Schlüsse zulässt, inwieweit Kinder zur Verbreitung des Virus beitragen", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn der "Augsburger Allgemeinen" (Donnerstag). "Da gibt es sehr unterschiedliche Bewertungen - und das macht es besonders schwer, politische Entscheidungen zu treffen."

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sorgt sich um die Gesundheit von Erzieherinnen und Lehrkräften. Je größer die Kita-Gruppe oder die Lerngruppe in der Schule, desto größer sei die Gefahr für die Gesundheit der Pädagogen, sagte die Landesvorsitzende der GEW in Schleswig-Holstein, Astrid Henke.

Der Deutsche Philologenverband forderte regelmäßige Tests für Schüler und Lehrer. "Was für die Fußballer recht und billig ist, muss für Lehrer und Schüler erst recht richtig und gerecht sein", sagte die Verbandsvorsitzende Susanne Lin-Klitzing der Deutschen Presse-Agentur.

Solche Tests - auch in Kitas - sollen nach den Plänen der Bundesregierung künftig verstärkt möglich sein, selbst wenn Menschen keine Symptome zeigen. Angeordnet werden müssen sie von den örtlichen Gesundheitsämtern. "Die Ausweitung macht Sinn", sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentliche Gesundheitsdienstes, Ute Teichert. "Wir wollen ja nicht überrascht werden. Wir wollen keine zweite Welle." Sie verwies aber darauf, dass Tests immer nur eine Momentaufnahme seien. "Ein negativer Test heißt ja nicht, dass der oder diejenige in ein paar Tagen nicht doch infiziert sein könnte." Man müsse dann regelmäßig testen.

NEGATIVE FOLGEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE

Den gesundheitlichen Bedenken bei einer schnellen Öffnung stehen auf der anderen Seite große Bedenken mit Blick auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bei weiter eingeschränktem Kita- und Schulbetrieb gegenüber: "Die Schäden durch unterbliebene Bildung, unterbliebene Förderung sind immens", sagte FDP-Chef Christian Lindner am Donnerstag. Das Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, sprach in der "Welt" von einem "schweren Eingriff" in die Lebenswelt und Grundrechte von Kindern und Jugendlichen und von einer Beeinträchtigung ihrer psycho-sozialen Entwicklung. Gesundheitsökonom Martin Karlsson warnte bei n-tv vor massiven Folgen für das spätere Erwerbsleben der Kinder.

Nach Ansicht des Grundschulverbands sollten die Erwartungen bei einer schnellen Rückkehr zu voller Klassenstärke dennoch nicht zu groß sein. Zwar werde Betreuung gewährleistet, "aber ob Bildungssituationen daraus entstehen können, bleibt fraglich", sagte die Vorsitzende Maresi Lassek. Die Kinder würden, um Mindesthygienestandards zu erfüllen einen "antiquierten Unterricht erleben, der Kontakte, soziales Miteinander und vieles, was lebendiges Lernen und Schule ausmacht und wie sie Schule kennen, unterbindet".

SPÄTESTENS NACH DEM SOMMERFERIEN ALLES WIEDER NORMAL?

Nach Einschätzung mehrerer Bildungsexperten sollten die Schulen nicht mit Normalbetrieb im nächsten Schuljahr planen. Eine 22-köpfige Kommission um den Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Kai Maaz, hat für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung Empfehlungen aufgestellt. "Die Planungen des neuen Schuljahres sollten nicht von einer Wiederkehr des gewohnten "schulischen Regelbetriebs" ausgehen", heißt es darin.

Das steht allerdings Äußerungen aus einzelnen Bundesländern entgegen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) oder Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatten für das nächste Schuljahr wieder einen regulären Schulbetrieb in Aussicht gestellt. Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) hatte die Zielvorgabe gemacht, im Sommer an Schulen und Kitas wieder zum Normalbetrieb zurückzukehren.

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