Cottbus (dpa) - Die Kultusminister von Bund und Ländern müssen sich aus Sicht der Forscherin Heike Radvan stärker mit Rechtsextremismus an Schulen vor allem in Ostdeutschland befassen. Ein Brief von Lehrkräften an einer Schule in Burg in Südbrandenburg hat eine Debatte über den Umgang mit rechten Vorfällen im Schulalltag ausgelöst. „Es ist kein Einzelfall“, sagte die Rechtsextremismusforscherin Radvan von der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg der Deutschen Presse-Agentur. Rechte Vorfälle seien auch kein neues Phänomen an Schulen, sondern seit vielen Jahren bekannt. Die Kultusministerkonferenz müsse nun genauer hinschauen und eine Interventionsstrategie entwickeln.
„Wir brauchen eine Verantwortungsübernahme der Politik. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Antwort darauf“, sagte Radvan. „Erstmal muss man auch anerkennen, dass Rechtsextremismus ein großes Problem ist.“ Schulsozialarbeit als Antwort sei wichtig, aber allein zu kurz gedacht - „zumal Schulsozialarbeitende dafür gezieltes Wissen und Kompetenzen benötigen“.
Rechtsextremismus sei vor allem in Ostdeutschland auffällig, wo die demokratische Zivilgesellschaft im Vergleich zum Westen schwächer ausgeprägt sei. „Einzelne Stadtgesellschaften werden von rechten Gruppierungen zu dominieren versucht“, sagte Radvan auch mit Blick auf Südbrandenburg. Dort gibt es eine gewachsene rechte Szene, die AfD hat dort ihre Hochburgen. Dem RBB hatte Radvan zuvor gesagt: „Wir haben in bestimmten Regionen in Ostdeutschland ein spezifisches Problem mit Rechtsextremismus, da müssen wir genauer hinschauen und Südbrandenburg ist eine davon.“
Bei der Frage nach den Ursachen verweist die Expertin auch auf die Weitergabe von Einstellungen durch Eltern an ihre Kinder. „Die Eltern dieser Jugendlichen sind die Generation der NSU-Täter:innen und die Generation, die die Baseball-Schläger-Jahre erlebt und eben auch mit zu verantworten hat.“ Gemeint sind die Nachwendejahre, in denen rechte Gewalt im Osten eskalierte.
Radvan sagte, es müsse einen gesellschaftlichen Wandel geben, da Rechtsextremismus noch immer oft verschwiegen und nicht ernst genug genommen werde. „Wenn ein Kind einer geflüchteten Familie gemobbt wird, darf nicht weggesehen werden, es muss eine unmissverständliche Reaktion geben.“ Die demokratischen Akteure müssten klare Kante zeigen gegen Rechtsextremismus.
In einem anonymen Brief beklagten Lehrkräfte an einer Schule in Burg im Spreewald, dass sie täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert seien. Es geht unter anderem um Hakenkreuze auf Möbeln, rechtsextreme Musik im Unterricht und demokratiefeindliche Parolen in den Schulfluren. Zudem erlebten sie eine „Mauer des Schweigens“, hieß es in dem Brief. Es fehle Unterstützung von Schulleitungen, Schulämtern und Politik.
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