Schule:Wenn Lehrer sich bei Youtube wiederfinden

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Würde der Lehrer Lämpel heute unterrichten, eine explodierende Pfeife wäre nicht sein einziges Problem.

Verhielt sich ein Lehrer früher unfreiwillig komisch, erzählten sich seine Schüler hinterher Witze. Heute landen Videos der Pädagogen im Internet - wo der Spott keine Grenzen kennt.

Von Johann Osel und Ulrike Nimz

Wer sehen will, dass Herr F. kauzig und pädagogisch mitunter fragwürdig auftritt, der braucht nur ein paar Minuten Zeit und Youtube. Dort gibt es gleich mehrere Videos von F. - der Lehrer hat schütteres Haar, eine Vorliebe für Ringelpullover und ein aufbrausendes Gemüt. Er wird oft laut oder tigert vor der Tafel auf und ab. Einmal brüllt er: "Einige von euch müsste man hier sofort rauskegeln!" Die Klasse filmt und feixt.

Es gibt mittlerweile viele solcher Videos im Netz. Pädagogen, die wegen eines Papierfliegers die Fassung verlieren. Lehrkräfte, die minutenlang versuchen, die Tafel auf die richtige Höhe zu schieben, während sich die Häme hinter ihnen aufbaut wie ein Tsunami. Seit fast jeder Schüler (neun von zehn) ein Handy mit Kamera und Internetzugang besitzt, ist Filmen im Unterricht zum Problem geworden - unter der Bank, aus dem Rucksack heraus, durch das Loch eines Aktenordners. Sieben Prozent der Lehrer geben an, schon mal ein Video von sich im Netz entdeckt zu haben. Das zeigt nun eine repräsentative Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen dürfte höher sein, sei es, weil die Gefilmten aus Scham schweigen, oder weil sie gar nichts von den Videos wissen.

"Das Smartphone ist für Schüler zum alltäglichen Begleiter geworden. Während der Umgang mit der Technik für die meisten selbstverständlich ist, mangelt es oft am notwendigen Wissen, was erlaubt ist", sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Der Verband will jetzt mit Workshops an Schulen über Persönlichkeitsrechte in der digitalen Welt aufklären. Aber wie problematisch ist das Phänomen tatsächlich?

"Lehrer sind kein digitales Freiwild"

Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender des Philologenverbandes, kennt die Tricks der jungen Leute, die Sorgen der Lehrerschaft - und das Bloßstellen im Netz. Die Motive dafür seien vielfältig, sagt er. Rache kann eines sein. Am Gymnasium im bayerischen Deggendorf, das Meidinger leitet, gab es so einen delikaten Fall. Da filmte ein Schüler einen Lehrer, bastelte ein animiertes Video, in dem der Pädagoge den Kopf verlor - buchstäblich. Eine schlechte Latein-Note war der Auslöser, ein Verweis die Folge. Häufiger aber seien Schüler auf "Situationskomik" aus, so Meidinger. "Da wird ein Lehrer so lange provoziert, bis er explodiert. Und dann gehen die Handys an."

Mit den Mobiltelefonen kam das Mobbing, meistens unter Schülern, aber eben nicht nur, sagt Meidinger. Schon einmal gab es dazu eine Debatte, vor neun Jahren, ausgelöst durch Vorfälle in Großbritannien. Unter anderem wurde da einem Lehrer von Schülern die Hose heruntergezogen und das dabei entstandene Filmchen ein Youtube-Hit. Die Debatte schwappte damals auch nach Deutschland über. Bildungspolitiker schalteten sich ein und appellierten, etwas unbeholfen, an die Eltern. Verbandschef Meidinger warnte damals wie heute: "Lehrer sind kein digitales Freiwild."

Es bleibt die Frage nach den Konsequenzen

So sieht es auch der Gesetzgeber. Wer Personen ohne deren Wissen und Einverständnis filmt, verletzt ihre Persönlichkeitsrechte. Auch die unbefugte Aufzeichnung nicht öffentlich gesprochener Worte ist strafbar. Unterricht vor einer Klasse gilt als nicht öffentlich, denn ein Lehrer spricht vor einem abgrenzbaren Personenkreis. Wer ein Video ohne Einwilligung ins Netz stellt, verletzt das Recht am eigenen Bild, die "Zugänglichmachung" der Aufnahme für andere Personen ist ebenfalls strafbar. Lehrer können also verlangen, dass solche Videos oder Fotos vom Betreiber gelöscht werden. Allerdings müssen sie das Material dazu erst mal finden - im Zeitalter geschlossener Whatsapp- und Facebook-Gruppen nicht einfach.

Längst ist das heimliche Filmen auch Thema in Foren, in denen sich Lehrer austauschen - über Fachliches, öfter über die täglichen Mühen im Klassenzimmer. Einer von ihnen, durch seine Schüler auf einen Youtube-Clip aufmerksam gemacht worden, sucht inzwischen regelmäßig auf allerlei Kanälen nach seinem Namen, seiner Schule und gängigen Titeln wie "Herr X. rastet aus". Auf besagtem Video war zu sehen, wie er eine Rangelei auf dem Schulflur schlichtete. "Nichts, weshalb ich mich schämen müsste", schreibt er in dem Onlineforum. Eine unvorteilhafte Szene aus dem Unterricht, die es ja zwangsläufig gebe, hätte ihn hingegen wohl "stark getroffen".

Ist das Phänomen erst einmal benannt, bleibt die Frage nach den Konsequenzen. Nicht jeder Lehrer will sofort Anzeige erstatten. Sind Schüler jünger als 14 Jahre, haben sie ohnehin keine strafrechtlichen Konsequenzen zu fürchten. Und ja, es gibt Stimmen, die zu bedenken geben, dass mit Handys auch Missstände aufgedeckt werden können - ungerechte Behandlung, ohrfeigende Lehrer, Unterricht mit Materialien aus der Nachkriegszeit.

Viele Schulen behelfen sich mit einer Hausordnung, die vorschreibt, dass Handys ausgeschaltet sein müssen. Sollte diese Regel verletzt werden, können die Geräte beschlagnahmt werden. Eigenmächtiges Überprüfen der Telefone ist Lehrern gesetzlich allerdings untersagt.

Auch deshalb macht sich Resignation breit, nachzulesen in den meist öffentlichen Foren. Ein Lehrer meint: "Man kommt quantitativ gar nicht mehr dagegen an, was Schüler alles filmen." Die Folge sei Selbstdisziplinierung. "Wenn in mir Ärger hochsteigt, denke ich mir: Stopp, du wirst jetzt gefilmt, verhalte dich, gerade wenn du wütend bist, besonders korrekt. Man wird dich heute Nachmittag im Internet sehen." Eine Pädagogin ist sich sicher, so richtig werde man dem Problem nie Herr werden. "Dazu ist unsere Gesellschaft viel zu verloddert." Sie habe Kollegen, die glaubten, dass in ihrem Unterricht Handys tabu seien; und die hätten "nicht schlecht gestaunt, als ich ihnen im Internet Sequenzen ihres Unterrichts gezeigt habe". Die gezielte Recherche nach kompromittierendem Material - sie gehört heute zum Berufsbild Lehrer dazu.

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