Schule:Warum viele Berliner Lehrer nicht bis zur Rente durchhalten

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612 Berliner Lehrer haben im vergangenen Schuljahr den Dienst quittiert, weil sie berufs- oder dienstunfähig waren. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)
  • Verglichen mit anderen Bundesländern melden sich zuletzt in Berlin sehr viele Lehrkräfte arbeits- oder dienstunfähig.
  • Die Lehrergewerkschaft GEW begründet das mit der hohen Arbeitsbelastung.

Von Paul Munzinger

Marode Gebäude, aggressive Schüler, eklatanter Lehrermangel: Immer wieder liefern Berliner Schulen Schlagzeilen. Jüngst aber machten zwei Zahlen die Runde, die selbst für Hauptstadtverhältnisse bedenklich sind.

470 Lehrer, so die erste Zahl, haben im Schuljahr 2017/18 ihren Schuldienst in Berlin gekündigt. Das sind sechs Mal mehr als 2004/05. Auch die zweite Zahl ist ein Rekord: 612 Lehrer haben im letzten Schuljahr den Dienst quittiert, weil sie berufs- oder dienstunfähig waren. Das sind deutlich mehr als in den beiden Jahren zuvor (423 und 355) und mehr als doppelt so viele wie 2004/05. Während Berliner Lehrer früher sehr viel häufiger regulär, also altersbedingt in den Ruhestand traten als vorzeitig auszuscheiden oder zu kündigen, verabschiedeten sich im vergangenen Schuljahr nur 632 Pädagogen regulär - kaum mehr als die 612 Berufs- und Dienstunfähigen. Sie machen 30 Prozent sämtlicher Abgänge in Berlin aus (wie überall scheiden dort Lehrer auch aus anderen Gründen aus, etwa durch Entlassung oder Versetzung).

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Sauber aufgelistet finden sich diese besorgniserregenden Werte in der Antwort der Berliner Landesregierung auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Hildegard Bentele - und sie sind auch deshalb bemerkenswert, weil sie dem Trend zuwiderlaufen. Ein deutschlandweiter Vergleich ist zwar schwierig, weil die Bundesländer entsprechende Daten in Art und Tempo unterschiedlich erfassen - wenn sie es überhaupt tun. Dennoch ist feststellbar, dass Lehrer in den meisten Ländern seltener als früher wegen Berufs- oder Dienstunfähigkeit ausscheiden. Das geht aus Anfragen der Süddeutschen Zeitung hervor.

So verließen in Bayern im Schuljahr 2017/18 mit 400 Lehrern nur 12,5 Prozent die Schule wegen Dienstunfähigkeit. Zwei Jahre zuvor waren es noch 18 Prozent. In Baden-Württemberg sank die Zahl der Abschiede zuletzt auf 7,5 Prozent. Sachsen und Rheinland-Pfalz stehen mit drei Prozent am besten da. Am besten mit Berlin vergleichbar ist wohl der bevölkerungsreiche Stadtstaat Hamburg: Dort verließen im letzten Schuljahr zehn Prozent aller Lehrer wegen Dienstunfähigkeit die Schule.

Dass in Berlin auch viele Lehrer kündigen, dürfte daran liegen, dass sie verbeamtet werden wollen. Berlin ist der einzige Ort, wo das nicht geht, dadurch wandern Lehrer häufiger ab - in anderen Ländern sind Kündigungen eine Seltenheit. Arne Schaller, Vorstandsmitglied der Lehrergewerkschaft GEW, weist darauf hin, dass Berlin zwar viele Lehrer verliert, aber auch viele gewinnt. Das Einstiegsgehalt in der Hauptstadt ist für alle neuen Lehrer gleich, auch für die an Grundschulen, und mit 5300 Euro brutto vergleichsweise hoch.

Die überdurchschnittlich vielen Fälle von Berufsunfähigkeit unter Berliner Lehrern erklärt Arne Schaller mit der hohen Arbeitslast. Nicht nur seien die Aufgaben von Pädagogen generell vielfältiger und belastender geworden. In einem Stadtstaat wie Berlin addierten sich noch Herausforderungen wie etwa gehäuft auftretende soziale Probleme bei Kindern aus schwierigem Elternhaus hinzu. Dies alles führe bei den Lehrern vermehrt zu körperlichem und psychischem Stress - und übrigens auch dazu, sagt Schaller, dass in Berlin viele Lehrer nur Teilzeit arbeiten, um nicht kündigen oder ihren Beruf ganz aufgeben zu müssen.

Und was sagt der Senat zu den hohen Zahlen? Die Quoten der wegen Dienst- oder Berufsunfähigkeit ausscheidenden Lehrer schwanke, so heißt es aus Berlin. Eine eindeutige Tendenz gebe es nicht, die Zahl habe auch 2013/14 schon einmal sehr hoch gelegen. Damals betrug die Quote immerhin 25 Prozent.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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