Kirchliche Bildungseinrichtungen:Warum katholische Schulen so beliebt sind

Kirchliche Bildungseinrichtungen: Christliche Schulen haben zumeist deutlich mehr Bewerber, als sie Schüler aufnehmen können.

Christliche Schulen haben zumeist deutlich mehr Bewerber, als sie Schüler aufnehmen können.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus)

Christliche Schulen haben enormen Zulauf, trotz schwindender Bindungskraft der Kirchen. Was versprechen sich Schüler und Eltern davon?

Von Johann Osel, Köln

Nein, mit geschwenktem Weihrauchfässchen wird hier keiner begrüßt am Morgen. Das stellen Jacqueline Friker und Claudia Roche klar, zwar im Scherz, aber irgendwie scheint die Leiterin des Irmgardis-Gymnasiums Köln und ihre Stellvertreterin doch ein wenig die Sorge umzutreiben, dass da ein Zerrbild kursiert von Schulen in kirchlicher Trägerschaft. Ein Bild, wonach es sich bei den Schulen weniger um höhere Lehr-, vielmehr um höhere Betanstalten handelt.

Aber da gibt es sehr wohl Dinge, die hier anders sind, auch wenn der Besucher nicht gleich von Katholizismus erschlagen wird: Es gibt das tägliche Morgengebet und eine Schulkapelle, verpflichtende Gottesdienste finden statt bis zum Ende der Mittelstufe; Wallfahrten gibt es, die Schulleiterin zeigt gerne Fotos davon, Schülergesichter, alle fröhlich, trotz schwerer Wanderstiefel. Und kommt man mit den beiden Frauen ins Gespräch, auch mit Lehrern und Schülern, dann fallen fast minütlich Begriffe wie: Geborgenheit und Nächstenliebe.

Es ist schon paradox: Da verlieren einerseits die Kirchen an Bindungskraft, noch nie sind so viele Menschen aus der katholischen oder der evangelischen Kirche ausgetreten. Andererseits blüht die Landschaft der Schulen in deren Trägerschaft. Laut Statistischem Bundesamt gibt es 3500 allgemeinbildende Schulen in privater Hand. 8,7 Prozent der Schüler besuchen die Einrichtungen - 27 Prozent aller Eltern würden es sich laut einer Forsa-Umfrage wünschen, dass ihr Kind in eine solche Schule geht. Nach Daten der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland entfallen 2000 der freien Schulen auf die Kirchen - mit insgesamt einer halben Million Kindern. Kaum eine Schule, an der nicht die Nachfrage die Zahl der Plätze übersteigt. Wie kommt das?

Am Gymnasium in Köln hat man für die fünften Klassen doppelt so viele Interessenten. Da waren auch viele vage Anfragen dabei, nicht alle kamen zum Aufnahmegespräch; Absagen bekamen am Ende nur ein paar Kinder, die man nicht für das Gymnasium geeignet hielt (in Nordrhein-Westfalen entscheiden die Eltern beim Übertritt). Jedoch nahm Friker auch mehr, als sie sollte, vielleicht schlägt die Nächstenliebe durch. Klassen mit mehr als 30 Schülern nehmen die Kölner im nächsten Jahr auf. Langsam platze man "aus allen Nähten", heißt es.

Die Auswahl, ein Recht der freien Schulen, könnte rigider werden. Da schaut man nicht nur auf Noten, auch auf Interessen. Claudia Roche zählt auf: Computerspiele bei Jungs, "Bibi und Tina" bei Mädchen oder die Frage - wie sollte es in Köln anders sein - nach dem Karnevalskostüm, "Kinder kennenlernen, wie sie sind". Die Eltern guckten dann schon mal irritiert, weil auswendig Gelerntes nicht angebracht werden kann oder das häusliche Klavierspielen. Und der Glaube? Mehr als die Hälfte der Kinder hier sind katholisch, Voraussetzung ist das nicht. "Mit dem christlichen Profil können wir versuchen, Zugänge zu schaffen. Für viele Kinder, auch katholische, ist das fremd, sie sind nicht mit Religion sozialisiert", so Friker. Wichtig sei, was Glaube im Alltag heißt: "Herzenswärme".

Pathetischer ist das aus dem Mund eines Geistlichen zu hören. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, nannte neulich beim Kongress katholischer Schulen in Stuttgart, diese Schulen "Kernstück kirchlichen Lebens". In einem Papier der Bischöfe schreibt Marx, die treffendste Formel zum Selbstverständnis laute "ein von der Frohen Botschaft Jesu Christi inspiriertes Bildungsangebot".

Nachfrage bei Schülern am Kölner Gymnasium, sechs junge Frauen und Männer: Wie hältst du's mit der Religion? Die Mehrheit ist katholisch, einer evangelisch, eine Schülerin russisch-orthodox. Da gibt es durchaus viel Glauben im Alltag, auch in der Familie; und da gibt es Schüler, die nie große Kirchgänger waren. Alle aber sehen ein tolles Gemeinschaftsgefühl hier. "Man geht einfach gut miteinander um, nicht ruppig", sagt einer. "Man weiß halt, wenn man Probleme hat, dass man zu den Lehrern kommen kann", meint die nächste. Von Anfang an haben sie sich willkommen gefühlt, sagen alle - aber auch ihre Eltern wollten, dass sie diese Schule besuchen, teils waren bereits ältere Geschwister hier.

"Wir haben einfach den Ruf, dass wir uns sehr um die Schüler kümmern", sagt Friker. Ist das der Grund für die Nachfrage, das rein Gefühlige? Es ist wohl einer von vielen. Gäbe es das Irmgardis-Gymnasium mit etwa 1000 Schülern nicht, gäbe es ein Problem in Köln. Bundesweit schnellt die Nachfrage nach Gymnasialplätzen hoch, in bildungsbürgerlichen Gegenden - der linksrheinische Kölner Süden gehört dazu - wird Abitur im Grunde Standard. Viele Großstädte kommen mit dem Neubau von Schulen kaum hinterher, in Köln ist die Lage noch halbwegs erträglich, in anderen Großstädten ist sie eskaliert, da demonstrieren schon die Eltern. Kirchliche Schulen werden also schlichtweg gebraucht.

"Wir sind nicht in einem Idyll"

Viele Eltern wollen zudem gute Bildung, verständlich. Und gern ein bisschen mehr. Dies wird ja regelmäßig vorgebracht, von Soziologen und Bildungsforschern. Sie sprechen dann davon, dass Eltern "Distinktionsmerkmale" suchen - wenn heutzutage alle Abitur machen, dann soll es wenigstens ein besonderes sein, eine Art Abitur plus. Das ist eine Erklärung für die Nachfrage nach dem i-Tüpfelchen, in dem Fall dem katholischen i-Tüpfelchen.

Nun ist eine kirchliche Schule kein Garant für gute Bildung, ohnehin lässt sich beobachten, dass private Schulen in der Wahrnehmung oft automatisch einen guten Ruf genießen und viele öffentliche Schulen grundlos schlechtgemacht werden. Aber am Irmgardis-Gymnasium gibt es tatsächlich gute Bedingungen. Die Lehrer werden von der Schulleitung ausgesucht, nicht zugewiesen, Folge: motivierte Pädagogen. Wenig Stunden fallen aus, bei Vertretungen ("Auch katholische Lehrer haben mal eine Grippe", feixen sie im Kollegium) wird über ein System von Mappen an den Stoff angeknüpft.

Und die Ausstattung: Freie Schulen erhalten vom Staat einen Zuschuss pro Schüler, bundesweit variierend, in NRW sind es gut 90 Prozent der Kosten. Schulgeld können Schulen verlangen von den Familien, die Kölner nehmen keines. Den Rest, oder auch mehr, stemmt der Träger. Das Erzbistum Köln gilt nicht gerade als verarmt. Das sieht man. In den Klassen stehen digitale Activ-Boards statt Tafeln, die Turnhalle ist ganz neu, es gibt Laborplätze für Schüler.

8,7 Prozent

So hoch ist der Anteil der Schüler, die eine allgemeinbildende Schule in freier Trägerschaft besuchen. 27 Prozent aller Eltern würden ihr Kind gerne auf eine Privatschule schicken. Mit zusammen 2000 Schulen tragen katholische und evangelische Kirche die meisten Einrichtungen. SZ

Das ist hier wichtig. An der Pforte sticht ein Schild ins Auge. "Mint-EC-Schule" steht darauf, die Kölner sind einem Verein beigetreten und bieten ein Extra-Programm in Mint-Fächern - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. Schüler wählen Projekte und Kurse aus, können Zertifikate erlangen. Man legt großen Wert auf diese Fächer. In Biologie, elfte Klasse, analysieren sie heute Wasserflöhe und wie sich deren Herzschlag unter verschiedenen Temperaturen verändert - je zwei Schüler an einem Mikroskop. Kriminalbiologie hieß ein Seminar, da gab es Experimente, einmal haben sie Fleisch liegen lassen und später die Larven beobachtet. Kein schöner Anblick, aber lehrreich. So etwas spricht sich rum. "Der Eltern-Funk zum Thema weiterführende Schule startet schon in der zweiten Klasse, dann beginnen alle nervös zu werden", sagt Roche.

Als Ort für wohlhabende Bildungsbürger sieht man sich aber nicht. "Auch hier gibt es Konflikte und soziale Problemlagen", sagt Friker, "wir sind nicht in einem Idyll." Woran merkt man das? Anträge an den Förderverein, den teuren Taschenrechner zu bezahlen, habe man immer wieder mal.

Man will keine Bonzen-Schule sein

Das sagen kirchliche Schulen übrigens oft, auch wenn man andernorts nachfragt. An einer evangelischen Schule in Brandenburg, die 2012 den Deutschen Schulpreis erhalten hat, hieß es damals: "Wir sind keine Insel der Seligen." Oder der Direktor einer katholischen Mädchenrealschule in Bayern, er hatte mal bei einem Pressetermin demonstrativ betont: "Wir bilden keine Heiligen aus."

Eines will man also nicht sein: Bonzen-Schule. So waren die Irmgardis-Lehrer wenig erfreut, als bei den Abi-Motto-Wochen die Devise hieß: "Bauern versus Bonzen." Bauern waren die Schüler eines nahegelegenen Gymnasiums, Bonzen waren die vom Irmgardis. In Köln wird das Abitur immer sehr rege gefeiert, dazu gehört auch, dass sich Absolventen verschiedener Schulen gegenseitig veräppeln; das war jüngst sogar deutschlandweit in den Medien zu lesen, als es zu Randalen mit Verletzten kam. Im Vergleich dazu ist der Bonzen-Stempel annehmbar, das Kollegium legte die Causa als "ironische Spielerei" zu den Akten.

Und was sagen die Schüler? Der Elite-Ruf sei ja übertrieben, "aber ein bisschen stimmt's doch", meint ein Mädchen. Ein anderer erzählt: Bei Klausuren, wenn die Handys vorn am Pult abzulegen sind, sehe man: viele neue iPhones. Kirchliche Schulen müssten sich, sagte kürzlich Kardinal Marx, weiter öffnen. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass sie nur für bestimmte Schichten da seien.

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