Schule und Homosexualität:"Herr Lehrer, sind Sie wirklich schwul?"

Schule und Homosexualität: Lehrer Alexander Lotz hat sich geoutet und beantwortet offen Schülerfragen.

Lehrer Alexander Lotz hat sich geoutet und beantwortet offen Schülerfragen.

(Foto: privat)

Schwuchtel ist ein gängiges Schimpfwort an Schulen, Homosexualität wird dort eher diskriminiert statt thematisiert. Offen schwule Lehrer könnten dabei helfen, mehr Toleranz zu vermitteln. Doch ein Outing birgt Risiken für die Pädagogen.

Von Johann Osel und Carsten Janke

Seine beiden Leben sollen sich nicht vermischen, auf gar keinen Fall. Deswegen ist Michael stets in Habachtstellung, er selbst erkennt "Ansätze von Verfolgungswahn". Die beiden Welten, in denen sich der Enddreißiger bewegt, sind: auf der einen Seite sein Beruf als Lehrer an einer Münchner Grund- und Hauptschule, auf der anderen Seite das Privatleben, sein schwules Privatleben, seit Jahren in einer festen Beziehung.

"Das geht die Schüler nichts an - und die meisten wären eh nicht reif dafür, mit dieser Information umzugehen", sagt Michael, der in Wirklichkeit anders heißt. Ein großer Typ mit Schraubstockhändedruck. Leute, die sich einbilden, Homosexuelle schon am Auftreten und an der Sprache zu erkennen, würden bei ihm garantiert falsch liegen.

Beinahe wäre er mal aufgeflogen, als eine Schülerin ihn und seinen Partner auf der Straße getroffen hat, Hände haltend. Michaels Freund hatte damals sehr lange Haare, eine Mütze auf dem Kopf. "War das Ihre Freundin?", hat die Schülerin darauf neugierig den Lehrer ausgefragt. Glück gehabt. Körperliche Nähe in der Öffentlichkeit, mit Ausnahme etwa in einer schwulen Kneipe, meidet das Paar seitdem lieber.

Auf Mainstream ausgerichtet

Kürzlich hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ihren Bericht über Bildungseinrichtungen vorgelegt. Die Experten haben sich komplizierte Begriffe ausgedacht für den Grund, der hinter Michaels Verfolgungswahn steht: Schulen seien ein "System struktureller Heteronormativität". Übersetzt: Sie sind auf Mainstream ausgerichtet, Abweichler können da Opfer von Diskriminierung werden - das Ausländerkind hat es schwer, der dicke Junge wird verspottet, womöglich auch der Schwule. Falls der sich traut, anders zu sein.

Auf Schulhöfen herrscht noch dazu ein rauer Ton in der Frage. Fast zwei Drittel der Sechstklässler in Berlin, der zwölf Jahre alten Schüler, verwenden "schwul" und "Schwuchtel" als Schimpfwörter, hat eine Studie der Humboldt-Uni Berlin ergeben. Als ganz gängiges Synonym für "schlecht".

Homosexuelle Lehrer, die offen damit umgehen, könnten Vorbilder sein, sozusagen Lotsen für Toleranz, heißt es oft. "Für Kinder ist in der Regel das normal, was ihnen als Normalität vorgelebt wird. Es gibt Hinweise, dass die Bekanntheit homosexueller Lehrkräfte positive Einstellungen und solidarisches Verhalten befördert", sagt der Sozialpsychologe Ulrich Klocke, der die Berliner Studie leitete. "Da wäre es natürlich wünschenswert, wenn mehr Lehrer offen damit umgehen - sich nicht unbedingt mit großem Rummel hinstellen, sondern es wie selbstverständlich erwähnen, so wie etwa eine Kollegin von ihrem Mann spricht." Maßgeblich sei aber, wie man sich das in seiner eigenen Lage zutraue.

Eine persönliche Frage

Alexander Lotz hat es sich zugetraut. Als Junglehrer ist er eingeschritten, als homophobe Schimpfwörter in seiner Klasse fielen, hat klargestellt, dass das unerwünscht ist - und den Schülern erzählt, dass er selbst betroffen sei. Da war er ganz neu an seiner Schule in Frankfurt. Als hätte er eine Durchsage über die Lautsprecher abgehalten, machte die Neuigkeit die Runde. Selbst bei einer Vertretungsstunde kurz darauf wollten die Schüler gleich wissen: "Herr Lehrer, sind Sie wirklich schwul?" Da hatte er gerade mal den Raum betreten.

Der 30-Jährige ist keiner, der so einen Ball liegen lässt, wenn er in seinem Feld liegt. Das sei ja eine sehr persönliche Frage, die man eigentlich anders stellen müsste, erzählte er den Schülern. Aber er habe damit kein Problem. Er sei verheiratet mit einem Mann, sagte er - und fragte, ob es deshalb Redebedarf gebe. "Da gingen gefühlte 30 Hände hoch. Die wollten unwahrscheinlich viel wissen, und die Fragen, die sie hatten, wurden in der Schule sonst nicht beantwortet", sagt Lotz.

Manche Kollegen finden ihn "aggressiv-schwul"

Der Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie hält es bis heute so. Wenn ihn Schüler danach fragen, redet er mit ihnen gerne darüber. Für manche Eltern ist das schon zu viel. Etwa nach besagter Ethikstunde gab es Beschwerdeanrufe, die Kinder seien mit so viel Privatem überfordert, offene oder anonyme Beschimpfungen kommen immer wieder; auch manche Kollegen finden heute noch, er sei "aggressiv-schwul", sagt Lotz.

Viele Lehrer seien aber nun sensibilisiert für das Thema. Sie sprächen es in ihren Fächern an und gäben sich Mühe, keine diskriminierenden Äußerungen zu verwenden. "Es geht aber nicht nur darum, Diskriminierungen zu vermeiden, sondern darum, aktiv für Akzeptanz zu werben." Die Folgen von Homophobie bekämen besonders Schüler zu spüren, die schwul seien oder unsicher in ihrer Orientierung. Nachweislich hätten homosexuelle Schüler ein erhöhtes Suizidrisiko.

"Ich will nicht zur Angriffsfläche werden und erst recht nicht meine Autorität aufs Spiel setzen", sagt dagegen ganz klar der Münchner Michael. Er pflege schließlich einen "strengen Ruf", der ihm an der Schule vorauseile - und der im Alltag an einer Hauptschule durchaus nötig sei. Nur wenige Kollegen wissen Bescheid. Heikel ist für ihn außerdem, dass er auch an Grundschulen arbeitet. "Es gibt bestimmt genügend Eltern, die schnell Homosexualität und Pädophilie in einen Topf werfen." Noch dazu unterrichtet Michael auch katholische Religion, hat die Lehrbefugnis der Kirche - die über offen schwule Mitarbeiter bekanntlich "nicht hocherfreut" ist.

Liebe im Lehrplan

Im Fach Religion kann Michael jedoch die Stimmung ausloten, im Lehrplan kommen Themen wie Liebe und Ehe vor. Doch die Quintessenz der Unterrichtserfahrungen spricht für ihn eher gegen ein Outing. "Was würdet ihr tun, wenn jemand in der Klasse schwul wäre?", fragt er dann die Schüler. Und da komme die ganze Bandbreite, von Beistand für den Schüler bis Ressentiments gegen Schwule.

"Ich kann und will nicht Vorbild für mehr Toleranz sein. Das muss ich mir nicht zumuten", sagt der Lehrer. Er überlegt aber, ob er nicht mal einen Referenten einlädt, etwa von einer schwulen Jugendgruppe. Der könne mit Gleichaltrigen diskutieren, Fragen beantworten, Vorurteile ausräumen.

In mehreren Länderministerien steht die Toleranz sexueller Vielfalt inzwischen auf der Agenda, hie und da werden Projekte anberaumt, die Lehrerausbildung widmet sich dem Thema Vielfalt. Auf die Lehrer komme es ohnehin an, ob schwul oder nicht, meint Forscher Klocke. Sie müssten bei Homophobie eingreifen - und erst recht nicht sich selbst abfällig äußern oder bei Witzen mitlachen.

Laut der Studie tut Letzteres ein Viertel der Lehrer der Schulen in der Hauptstadt. Berlin ist aber politisch ein Pionier, 2009 wurde die Initiative "Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt" ins Leben gerufen. Schulleitungen sind seitdem verpflichtet, schwule Lehrer vor Diskriminierung zu schützen und sie als Vorbild an der Schule zu betrachten.

"Wir haben einen großen Sprung gemacht"

"Ich glaube, wir haben in den letzten zwei, drei Jahren einen großen Sprung gemacht", sagt Detlef Mücke, der sich als Gewerkschafter seit mehr als 30 Jahren für die Rechte schwuler Lehrer einsetzt. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wollen das Berliner Modell übernehmen. "Das ist ein wichtiger Schritt, damit man sich traut, als Lehrer zu seiner Sexualität zu stehen." Freilich bleibe das jedem selbst überlassen.

Ein Leitfaden der Lehrergewerkschaft GEW führt Fälle auf, bei denen selbst in der Provinz ein Outing erfolgreich war; im Gegenzug gibt es eine lange Liste von Kampagnen gegen schwule Pädagogen und Unannehmlichkeiten. Vorgaben der Ministerien nützen zudem nichts, wenn sie nicht gelebt werden. An der Schule in Berlin, an der Alexander Lotz vor dem Job in Frankfurt sein Referendariat gemacht hat, hatte er seine Homosexualität verschwiegen. "Da gab es gar keine schwulen oder lesbischen Lehrer und auch keine schwulen oder lesbischen Schüler." Soll heißen: Sie blieben alle lieber unsichtbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: