Schule:Soll man Jungen und Mädchen getrennt unterrichten?

Lesezeit: 3 min

Frontalunterricht oder Projektarbeit: Mädchen und Jungen haben unterschiedliche Ansprüche an den Schulunterricht. (Foto: dpa)

In der Debatte um geschlechtergetrennten Unterricht geht es um reale Verbesserungen für die Kinder - aber auch um ideologische und politische Anschauungen der Erwachsenen.

Von Petra Steinberger

Man kann sich ohne Jungs viel besser konzentrieren. (LoveI auf mädchen.de)

Schule ohne Jungs kann ich mir nicht vorstellen. Dann ist es zu ruhig und langweilig. (xXNad auf mädchen.de)

Vor kurzem war mal wieder Girls' Day, der seit einigen Jahren Girls' und Boys' Day heißt. An diesem Tag versucht man Mädchen sogenannte "männliche" Ausbildungswege und Berufe näherzubringen: Mathematik, Chemie, Physik, und das große, weite Feld der Ingenieurskünste - technische Berufe eben. Und bei Jungs soll es andersherum funktionieren.

Entscheidung fürs Leben an einem Tag?

Warum nimmt man sich nur so wenig Zeit, warum nicht Mädchen und Jungen gleich ganz anders heranführen und dabei herausbekommen, ob sie sich tatsächlich von Natur aus oder durch den Einfluss von Kultur und Gesellschaft immer noch recht wenig für die jeweils "anders" besetzten Bereiche interessieren. Die Antwort ist doch klar, heißt es, sieht man doch in der Schule, Mädchen beispielsweise schneiden in technischen Fächern schlechter ab, Jungs in den "weichen" Fächern. Sie wollen nicht, sie können nicht.

Aber liegt diese Entwicklung möglicherweise, sagen derzeit nicht wenige Wissenschaftler, Lehrer, Eltern, an der Schule selbst, genauer gesagt an den gemischten Klassen, an der sogenannten Koedukation? Denn diese funktioniere zu sehr nach geschlechtsspezifischen Stereotypen und berücksichtige die Besonderheiten, die Andersartigkeit kaum.

Vorteile vor allem für Mädchen

Verfechter dieser Position sind der Meinung, dass "single sex education", im Deutschen etwas schwerfällig als Monoedukation bezeichnet, vor allem für Mädchen Vorteile bringen kann. Diese reichten von besseren Examensergebnissen und akademischen Leistungen über viel mehr Interesse an eben jenen "männlichen" Fächern bis zu einer größerer Risikofreudigkeit und mehr Wettbewerbsbereitschaft als sonst üblich. Und es gibt tatsächlich diverse Studien, die nachweisen, dass Mädchen in Mathematik, Physik, aber auch im Sport besser abschneiden, wenn sie getrennte Unterrichtsstunden, Mädchenklassen oder Mädchenschulen besuchen - auch langfristig.

Merkwürdig: Wenn das tatsächlich so ist, dann stoßen wir auf einen Widerspruch. Denn in den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Schulen, die nur ein Geschlecht unterrichteten, stetig gesunken, selbst in Ländern, die immer schon eine starke Tradition der single sex education hatten: in England beispielsweise, in Australien oder Hongkong. Aber es waren die Sechziger- und Siebzigerjahre, die die Koedukation zu einem geradezu politischen Ziel machten. Denn es war der Höhepunkt der Emanzipationsbewegung, sowohl der Frauen wie auch der Minderheiten. Gleichheit, gleiches Wissen, gleiche Möglichkeiten, gleiche Anerkennung, dachte man, könne man nur erreichen, wenn wirklich alle an einem gemeinsamen Unterricht teilnehmen würden. Und bis zu einem gewissen Grad hat es dann ja auch funktioniert.

IQB-Studie
:Die Aufgaben des Bildungsvergleichs

Im Süden Deutschlands lernt es sich besser. Dies belegt erneut ein Bundesländer-Schulvergleich. Welche Aufgaben die Grundschüler lösen mussten, sehen Sie hier.

Aber heute, in Zeiten, in denen sich vor allem Mittelschichtseltern immer größere Sorgen machen, ob ihre Kinder für den globalen Wettbewerb gut genug gerüstet sind, ob sie mithalten können mit all den angeblichen akademischen Überfliegern aus Asien - heute wundert es nicht, dass das Interesse am getrennten Schulunterricht wieder zugenommen hat. Und spätestens seit der Pisa-Studie, in der Mädchen zwar etwas schlechter in Mathe, dafür aber fundamental besser im Lesen abschnitten als Jungen, wird darüber nachgedacht, ob es nicht auf für diese Vorteile brächte, wenn sie unter sich bleiben könnten.

Denn so wie Mädchen sich oft von Jungs (und den Attitüden mancher Lehrer) untergebuttert fühlen, so stehen auch Buben, vor allem in der Pubertät, unter Druck, Coolheit zu beweisen. Und die besteht oft darin, den Klassenclown zu spielen oder Desinteresse zu demonstrieren. Denn "wie ein Mädchen" zu sein beim Lernen und beim Erfolg - das ist nicht sehr angesehen.

Doch wie immer, wenn es um Erziehungstrends geht, beschuldigen sich währenddessen Befürworter und Gegner der Monoedukation falscher Fakten, unzureichender oder schlampiger Studien und zu wenig harter Nachweise. Und dabei spielen nicht selten ideologische und glaubensanschauliche Motive eine Rolle. Wenn etwa eine Studie des Teachers College der Columbia Universität nachweist, dass die Interaktion von Jungen und Mädchen dazu führt, dass weniger Hausaufgaben gemacht werden, die Schule weniger Spaß mache und zu schlechteren Ergebnissen in Mathe und Lesen führe - dann können die Freunde des getrennten Unterrichts mit den besseren akademischen Leistungen argumentieren, die durch eine Trennung erzielt würden. Sie können darauf hinweisen, dass Jungs und Mädchen sowieso nicht dauernd zusammenstecken sollten, denn man weiß ja . . .

Soziale Kompetenzen werden nicht eingeübt

Kein Wunder eigentlich, dass beispielsweise in England und den USA konfessionelle Privatschulen bei konservativen Muslimen für ihre Kinder sehr beliebt sind. Die Gegner der Monoedukation verweisen nun genau darauf: dass da soziale Kompetenzen nicht eingeübt, dafür sexuelle Stereotypen gefördert würden - weil man sich gar nicht erst kennenlerne. Und das würden dann weitergetragen in eine Welt, die eben nicht segregiert sei.

Nun ist es wohl so, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Ansprüche haben. So meint etwa Pädagogikforscher Rainer Dollase von der Universität Bielefeld, dass Jungen zum Frontalunterricht tendieren, unruhiger sind und schneller zur Sache kommen. Mädchen mögen Gruppen- und Projektarbeit. Das gilt auch bei getrenntem Unterricht. Man könnte nun, wenn man will, daraus ableiten, dass Jungen und Mädchen tatsächlich verschieden sind - und man dieser Unterschiedlichkeit pädagogisch entgegenkommen könnte. Ob in getrennten Schulen - oder auch nur in manch getrennten Unterrichtsstunden.

© SZ vom 11.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wahl des Gymnasiums
:Mathematisch oder musisch?

Wenn das eigene Kind die Empfehlung fürs Gymnasium im Ranzen hat, wähnen sich manche Eltern schon am Ziel. Doch damit der Weg bis zum Abitur ohne Probleme verläuft, ist Umsicht bei der Schulwahl geboten. Welche Fragen sich Mütter und Väter stellen sollten.

Von Tina Baier

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: