Schule:So stellen sich die Parteien Sexualkunde vor

Erziehung

Erziehung Tafel mit Wort "Erziehung" und Männlich/Weiblich-Symbolen

(Foto: iStockphoto/Robert Byron)

Die im Bundestag vertretenen Parteien erklären aus ihrer Perspektive, worüber Schulen aufklären und was sie dabei beachten sollten.

Vor 50 Jahren veröffentlichte die Kultusministerkonferenz ihre "Empfehlungen zur geschlechtlichen Erziehung in der Schule". Seitdem hat sich eine Menge getan, kaum ein Jugendlicher verlässt laut Studien mehr die Schule, ohne zumindest in Grundzügen aufgeklärt worden zu sein.

Obschon Bildung Ländersache ist, haben wir die im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien gebeten, kurz zu erläutern, welche Form von sexueller Bildung sie sich grundsätzlich für die Schüler wünschen. Dafür haben wir drei konkrete Fragen gestellt. CDU/CSU, FDP, Linke und Grüne haben diese beantwortet, SPD und AfD einen geschlossenen Text formuliert.

CDU/CSU

Wie sieht nach Meinung der Union ein zeitgemäßer Sexualkundeunterricht aus?

Es muss der Grundsatz gelten: Prävention vor Reaktion, denn Vorbeugen ist besser als Heilen. Entscheidend für ein sach- und fachgerechtes Gelingen der Prävention ist die Schaffung von angemessenen Rahmenbedingungen für den Sexualkundeunterricht. Dazu gehört der Dialog mit den Eltern, dass die Geschlechtsmerkmale von Mädchen und Jungen für die Kinder bereits früh sehr wohl ein Thema sind. Es muss gelingen, eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern zu bilden, etwa in Form von Informationsveranstaltungen oder Elternversammlungen. Die Zusammenarbeit sollte ergänzt werden durch die Hinzuziehung kompetenter Fachkräfte wie etwa Beratungsstellen und Kinderärzte. Darüber hinaus sollte pädagogisches Anschauungsmaterial mit den Eltern gemeinsam ausgewählt und in möglichst kleinen Gruppen erklärt werden, um die Hemmschwelle für Fragen zu senken.

Gibt es Bereiche, die Schulen im Rahmen der Sexualaufklärung besonders hervorheben bzw. komplett aussparen sollten? Falls ja, welche?

Zentral ist eine frühzeitige Sensibilisierung für die Fragen: Was ist richtig? Was ist falsch? Was möchte ich nicht? Wie kann ich mich wehren? Wer hilft mir? Darüber hinaus sollten Schamgrenzen und Schutzvorkehrungen regelmäßig mit befähigtem Personal thematisiert werden. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Aufklärung über die Auswirkungen von Alkoholmissbrauch und Substanzkonsum auf Gewalt und Sexualität. Auch die Information über Infektionskrankheiten und Geschlechtskrankheiten gehört zum Kern des Sexualkundeunterrichts.

Ab welchem Alter bzw. welcher Klassenstufe sollten Kinder/Schüler im Unterricht mit dem Thema Sexualität konfrontiert werden?

Zu unterscheiden ist zwischen der Kunde über die biologische Sexualität und die Auswirkungen auf Persönlichkeits- und Charaktermerkmale auf der einen Seite und den Unterricht über den Sexualakt auf der anderen Seite. Ersteres gehört bereits in den Kindergarten.

SPD

Die SPD will, dass alle Menschen ihr Sexualleben und ihre Familienplanung selbstbestimmt gestalten können. Grundlage hierfür ist eine gute Bildung, die alters- und entwicklungsgerecht bereits in Kita und Grundschule flankierend zur Aufklärung in den Familien ansetzen soll.

Die SPD will mit ihrer Politik zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen beitragen. Neben anderen Fächern leistet auch der Sexualkundeunterricht hier einen wichtigen Beitrag. Damit dies gelingen kann, ist es wichtig, verschiedene Lebensweisen und sexuelle und geschlechtliche Identitäten alters- und entwicklungsgerecht bereits in Kita und Schule zum Thema zu machen.

Hierzu müssen Erzieher/innen und Lehrer/innen sensibilisiert und ausgebildet werden. Diese und andere in der Vergangenheit gestiegenen Anforderungen - z.B. mit Blick auf Fragen inklusiver Bildung oder der Sprachförderung - müssen ihren Niederschlag auch in einer guten, praxisgerechten Ausbildung des Fachpersonals finden.

Als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMG leistet die BZgA einen wichtigen unterstützenden Beitrag für eine gelungene Sexualerziehung in den Ländern. Mit Bundesmitteln werden themenspezifische Materialien für alle Altersgruppen, Unterrichtskonzepte und Projekte entwickelt und Erzieherinnen und Lehrkräften zur Verfügung gestellt. Als Bundestagsfraktion in Regierungsverantwortung bewerten wir diese Arbeit als wertvoll und zielführend.

AfD

Kinder brauchen Zeit, ihre eigene sexuelle Identität zu entdecken und zu leben. Dabei dürfen sie nicht durch die Idee eines angeblich sozial konstruierten Geschlechts verunsichert werden.

Deshalb setzen wir uns dafür ein, die Gender-Ideologie aus den Bildungseinrichtungen zu verbannen - wir sind der Meinung, dass hinter dem sogenannten Gendermainstreaming ein auf bloße Verwertbarkeit zielendes Menschenbild steht, was den natürlich gegebenen Unterschieden zwischen Frauen und Männern keine Rechnung trägt und letztlich ideologischen und ökonomischen Interessen dient.

Ähnlich wenden wir uns gegen die Frühsexualisierung von Kindern, insbesondere im Kindergarten und in der Grundschule. Auch hier ist es uns Gebot, Heranwachsenden Zeit zu geben, ihre natürliche Scham zu achten und das vom Grundgesetz garantierte Recht der Eltern zur primären Erziehung ihrer Kinder zu respektieren.

Sexualkundeunterricht sollte in das Fach Biologie integriert werden und vom Fachlehrer erteilt werden. Dass externe Experten hinzugezogen werden, die oft auch eine eigene, nicht vom Lehrplan gedeckte Agenda verfolgen, lehnen wir ab.

Wir lehnen es ferner ab, dass in der Schule für "alternative" bis hin zu perversen Sexualpraktiken wie Sodomie oder Pädophilie als angeblich gleichwertige Spielarten der menschlichen Sexualität geworben wird. Wir sind der Meinung, dass unsere Gesellschaft schon genug sexualisiert ist. Vor allem aber soll und kann es nicht Aufgabe des Staates sein, über Dinge zu informieren, die eindeutig in den Bereich des Privaten und Intimen gehören.

FDP

Wie sieht nach Meinung der FDP ein zeitgemäßer Sexualkundeunterricht aus?

Ein zeitgemäßer Sexualkundeunterricht klärt Schülerinnen und Schüler altersgerecht auf. Er stärkt sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbestimmung. Er schafft ein Bewusstsein für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Er bereitet sie darauf vor, eigene Entscheidungen über ihre sexuelle Identität und ihr sexuelles Verhalten zu treffen. Er thematisiert biologische und gesundheitliche Fragen ebenso wie gesellschaftliche Rollenbilder. Nicht Ideologie und Moralvorstellungen stehen im Mittelpunkt, sondern die Wissensvermittlung und Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler.

In der vernetzten Mediengesellschaft sind Schülerinnen und Schüler schon sehr früh mit nicht jugendfreien Inhalten und hohen Erwartungen an ihr sexuelles Verhalten konfrontiert. Pornographische Inhalte und Cybermobbing sind an Schulhöfen keine Seltenheit. Das darf ein moderner Schulunterricht nicht verschweigen, sondern muss umso mehr zu selbstbestimmten Entscheidungen befähigen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, sich gegen körperliche und verbale Übergriffe wehren zu können.

Gibt es Bereiche, die Schulen im Rahmen der Sexualaufklärung besonders hervorheben bzw. komplett aussparen sollten? Falls ja, welche?

Essentiell ist die biologische und gesundheitliche Aufklärung. Ein Grundverständnis über Schwangerschaft, Körperhygiene, sexuell übertragbare Krankheiten und Verhütungsmethoden muss unbedingt vermittelt werden.

Einen besonderen Fokus sollte die Aufklärung über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt bekommen. Die höhere Suizidrate unter lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Jugendlichen ist ein Alarmsignal. Ein aufgeklärter Sexualkundeunterricht kann Jugendliche in ihrer eigenen Identitätsfindung unterstützen und ihr Umfeld für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sensibilisieren. Homo- und transphobe Beleidigungen auf Schulhöfen dürfen nicht länger zum Alltag gehören.

Der selbstverständliche Umgang mit homo-, trans- und intersexuellen Schülerinnen und Schülern ist keine alleinige Frage des Biologieunterrichts. Selbstverständlich braucht es dazu eine fachliche Vorbereitung der Lehrkräfte. Man wundert sich über die heftigen Widerstände, die schon fachliche Informationshefte für Lehrkräfte hervorrufen können. Der hysterische Vorwurf einer angeblichen "Frühsexualisierung" offenbart mehr über die schmutzigen Fantasien mancher Kritiker als über die pädagogische Praxis an den Schulen.

Ab welchem Alter bzw. welcher Klassenstufe sollten Kinder/Schüler im Unterricht mit dem Thema Sexualität konfrontiert werden?

Von Konfrontation würde ich hier nicht sprechen wollen. Schule sollte die Fragen thematisieren, die Schülerinnen und Schüler sich in dem Alter stellen. Fragen zu Schwangerschaft und geschlechtlichen Rollenbildern beschäftigen Kinder schon im Grundschulalter. Das sollte altersgerecht im Unterricht aufgegriffen werden, ebenso wie Möglichkeiten zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Fragen zu konkreten Verhütungsmethoden hingegen werden vermutlich erst an weiterführenden Schulen relevant.

Linke

Wie sieht nach Meinung der Linken ein zeitgemäßer Sexualkundeunterricht aus?

Ein zeitgemäßer Sexualkundeunterricht sollte die Vielförmigkeit sexuellen Lebens und die Pluralisierung der Lebensstile sowie die Vielfältigkeit von Geschlechtsindentitäten abbilden. Dabei sollte Sexualerziehung fächerübergreifend thematisiert werden und nicht allein auf biologische Fakten oder Gesundheitsprävention reduziert werden. Der Sexualkundeunterricht sollte sich an den neuesten sexualwissenschaftlichen und sozialogischen Erkenntnissen orientieren. Deswegen halten wir eine regelmäßige Überprüfung der Lehrpläne für dringend geboten.

Gibt es Bereiche, die Schulen im Rahmen der Sexualaufklärung besonders hervorheben bzw. komplett aussparen sollten? Falls ja, welche?

Themen wie etwa Pornographie von vorherein auszusparen ist der falsche Weg. Klar ist aber auch, dass die Grenzen von Schüler_innen und Lehrkräften gewahrt werden müssen. Deshalb braucht es kompetente und sensibilisierte Lehrkräfte, sowie regelmäßige Fortbildungsangebote.

Ab welchem Alter bzw. welcher Klassenstufe sollten Kinder/Schüler im Unterricht mit dem Thema Sexualität konfrontiert werden?

Sexualerziehung sollte in fachlich geeigneter Form bereits im Kindergarten eine Rolle spielen. Hierfür gibt es zwei Gründe: Erstens hat eine gelungene Sexualerziehung eine enorme präventive Wirkung und ermächtigt Kinder, eigene und fremde Grenzen zu erkennen und zu achten. Zweitens wissen wir aus aktuellen Studien, dass sich viele Kinder ihrer Geschlechtsidentität schon sehr früh bewusst sind.

Grüne

Wie sieht nach Meinung der Grünen ein zeitgemäßer Sexualkundeunterricht aus?

Wir brauchen in den Schulen eine altersgerechte und fundierte sexuelle Aufklärung. Kinder werden, auch durch das Internet, oftmals sehr früh mit diesem Thema konfrontiert, so dass sie Einordnung und Wissen darüber benötigen. Schule muss ein Ort sein, an dem Fragen gestellt und Probleme erörtert werden können. Die Sexualaufklärung muss auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren.

Durch Sexualerziehung soll Verantwortung gefördert und Prävention geleistet werden. Lernziele sind dabei, sich selbst und andere zu respektieren, Krankheiten und deren Übertragung sowie frühe bzw. ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden und den altersgemäßen Umgang mit der Vielfalt des Medienangebots zu lernen. Es sollten auch konkrete Probleme angesprochen werden, wie eine vielfach erhöhte Suizidrate homosexueller Jugendlicher oder Mobbing gegenüber Trans-Jugendlichen auf Schulhöfen.

Gibt es Bereiche, die Schulen im Rahmen der Sexualaufklärung besonders hervorheben bzw. komplett aussparen sollten? Falls ja, welche?

Besonders hervorzuheben wäre die Vielfalt und Akzeptanz unterschiedlicher Lebensformen. Ziele des Sexualkundeunterrichts sind demnach seelische Unversehrtheit, liebevolle Beziehungen und eine erfüllte Sexualität.

Ab welchem Alter bzw. welcher Klassenstufe sollten Kinder/Schüler im Unterricht mit dem Thema Sexualität konfrontiert werden?

Um zu einer Entmystifizierung des Themas beizutragen, ist auch ein kindgerechter Umgang ab der Grundschule denkbar. So existieren bereits Mediensammlungen mit altersgerechten Büchern zum Thema Vielfalt. Knapp die Hälfte der Mädchen bekommen mit elf oder zwölf Jahren ihre erste Regelblutung, Jungs im selben Alter nicht selten ihren ersten Samenerguss. Spätestens bis dahin sollte Schule sie darauf vorbereitet haben.

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