Schule:Sind die USA wirklich so klein?

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Passt in kein Schulbuch: ein Globus (Foto: Andreas Karelias - Fotolia)

Landkarten prägen und verzerren das Weltbild. Schüler in Boston müssen das jetzt lernen.

Von Matthias Kohlmaier, Larissa Holzki und Martina Schories (Grafiken)

Die Erde ist keine Scheibe, und aus einer Kugel kann man keine Landkarte falten. Jede geografische Darstellung der Welt ist deshalb verzerrt. Welche Länder größer erscheinen, als sie eigentlich sind und welche klein und unwichtig aussehen, liegt daher im Ermessen der Kartografen - oder der Schulbehörde. Und die hat in Boston nun beschlossen, das Weltbild der Heranwachsenden in der US-Stadt zu erschüttern.

In den USA lernen die Schüler seit jeher mit der Mercator-Projektion. Auf dieser Weltkarte, die der Kartograf und Europäer Gerhard Mercator Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelt hat, sind sein Heimatkontinent und die USA überdimensioniert abgebildet. Grönland wirkt gar wie ein Riese und sieht so groß aus wie Afrika, dabei ist der Kontinent 14 Mal größer. Das liegt daran, dass Mercator den Globus für seine Darstellung zwangsweise auf eine ebene Fläche gepresst hat - mit den positiven Effekten für seinen Teil der Welt.

Damit das auch die Schüler erkennen, hat die Schulbehörde in Boston nun ein Projekt gestartet. Tausenden Kindern wird dort künftig statt der von Mercator die Gall-Peters-Projektion nahegebracht. Die stammt aus den 1970er Jahren und stellt die globalen Größenverhältnisse realistischer dar. Wie die beiden Karten genau funktionieren und mit welchen Problemen die Kartografie zu kämpfen hat, erklärt SZ-Wissenschaftsredakteur Patrick Illinger in diesem Video:

Schon gewusst, Grotesk verzerrte Geographie (Video: Süddeutsche Zeitung)

In Boston sollen die neuen Karten vor allen Dingen "den Kolonialismus aus dem Lehrplan drängen", sagt Colin Rose von der zuständigen Schulbehörde. Man wolle Ungleichheit und Voreingenommenheit im Schulsystem keinen Raum geben. "In unserem Bezirk ist das ein Paradigmenwechsel."

Dass dieser für Schüler aus den USA recht lehrreich sein könnte, zeigen zwei Beispiele aus der Mercator-Projektion, die beide Nordamerika deutlich gewaltiger scheinen lassen, als es tatächlich ist. In der Weltkarte nach Gerhard Mercator nämlich ist nicht nur Nordamerika größer als Afrika, sondern auch Alaska größer als Mexiko. Zu wissen, dass dem nicht so ist, kann nicht schaden in einer Zeit, in der der Präsident sein Land speziell in den Köpfen der Bürger "great again" machen will.

Die Mercator-Projektion

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In Großbritannien wird schon seit Langem mit der Gall-Peters-Projektion gelehrt. Und in Deutschland? Kommen verschiedenste Weltkarten zum Einsatz. Nachdem es dazu keinen Beschluss der Kultusministerkonferenz gibt, liegt es im Ermessen der Länder, mit welcher geografischen Perspektive Kinder in Deutschland aufwachsen. Mit Abstand am häufigsten wird jedoch keine der beiden genannten Karten genutzt, sondern die Winkel-Tripel-Projektion. Sie versucht sich an einem Kompromiss zwischen der Winkeltreue der Mercator- und der Flächentreue der Gall-Peters-Projektion.

Dass im Endeffekt aber alle Projektionen ihre Schwächen haben, weiß Thomas Michael. "Die Peters-Projektion hat sich nicht durchgesetzt, weil ich Kontinente, die ich auf dem Globus sehe, auf der Karte nicht wiedererkennen kann", sagt der Geschäftsführer der Westermann Kartografie. Der Verlag ist verantwortlich für die Darstellung der Welt im an Schulen weitverbreiteten Diercke-Weltatlas. "In der Peters-Projektion ist Afrika langgezogen wie eine Zuckerrübe." Schaut man sich das Innere des Kontinents an, wird diese Verzerrung zum Problem. "Die Lagebeziehungen der afrikanischen Länder untereinander stimmen nicht mehr richtig", sagt Michael.

Die Winkel-Tripel-Projektion werde in der Schule hauptsächlich verwendet, "weil sie die Kontinente noch formentreu zeigt, aber gleichzeitig die Größenverhältnisse besser wiedergibt als die Mercator-Projektion", sagt Michael. Damit sich die Schüler die richtigen Größenverhältnisse einprägen, zeigt der Schulatlas außerdem alle Kontinente im gleichen Maßstab. "Wenn ich Europa auf einer Doppelseite darstellen will, dann bekommt Afrika eben zwei Doppelseiten, das ist auch eine Ansage", sagt Michael.

Damit will der Verlag der Kritik an der eurozentrischen Weltkarte gerecht werden, bei der Europa im Mittelpunkt steht und unverhältnismäßig groß wirkt. Dem begegnet etwa auch die Organisation Engagement Global, die im Auftrag des Entwicklungsministeriums die Weltkarte "Perspektiven wechseln" gebastelt hat. Sie zeigt die Gall-Peters-Projektion - auf dem Kopf stehend; der Riesenkontinent Afrika ist im Mittelpunkt, das kleinere Europa wandert an den Rand. Das soll den Betrachter zum Nachdenken anregen.

Die Gall-Peters-Projektion

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Aber zurück in den Erdkundeunterricht: Die eine, richtige Abbildung für die Schulen gibt es laut Geografie-Experte Thomas Michael nicht. Welche sich am besten eigne, sei auch vom Thema abhängig. Die gängige Karte, die die Welt im Pazifik schneidet, sei für die Globalisierungskunde beispielsweise ungeeignet: "Auf dieser Karte sieht es so aus, als hätte die linke Seite mit der rechten Seite der Erde nichts zu tun."

Tatsächlich liegt zwischen diesen Erdteilen aber ein wichtiger Transport- und Kommunikationsraum. Im Schulatlas wird das Problem gelöst mit einer Karte, die Amerika zweimal zeigt, an beiden Rändern. "Darauf kann man sehen, dass Hawaii ein riesiger Hotspot ist, wo sich Überseekabel, Schifffahrtswege und Flugverbindungen kreuzen", erklärt Michael.

Mit diesem Kartenmaterial kann man gut unterrichten, findet Geografielehrer Wolfgang Gerber, Vorstandsmitglied im Verband Deutscher Schulgeographen. Natürlich sei "eine möglichst realistische Darstellung der Größenverhältnisse wichtig". Aber das Thema Projektion spiele im normalen Unterricht eine untergeordnete Rolle. "Schule muss nicht immer detailliert sein, sie darf auch und muss sogar an gewissen Stellen generalisiert sein", sagt Gerber.

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