Süddeutsche Zeitung

Schule:"Ohne Punkt und Komma"

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Sprecherzieher Jan Appel erklärt, wie Lehrer ihre Stimme schonen können - und wie sie Schüler dazu bringen, ihnen aufmerksamer zuzuhören.

Interview von Paul Munzinger

In Niedersachsen können künftig alle Lehrer ein Stimmtraining besuchen, nach zwei Jahren Testlauf startete in diesem Schuljahr die Präventionskampagne "Stimme - Lärm - Akustik". Jan Appel ist einer der Trainer.

Herr Appel, einer von drei Lehrern erkrankt im Laufe seines Berufslebens an einer Stimmstörung. Wie kommt das?

Jan Appel: Lehrer sind einfach einer enorm hohen Sprechbelastung ausgesetzt. Nehmen wir mal den Lärm im Klassenzimmer. Der kann bis zu 85 Dezibel erreichen, so viel wie an einer lauten Straße. In Turnhallen wurden bis zu 100 Dezibel gemessen, da bräuchte man eigentlich schon Schallschutz. Lehrer müssen gegen diese Geräuschkulisse ansprechen, damit ihre Schüler sie verstehen. Das ist heftig.

Wäre es nicht am einfachsten, die Lehrer würden in der Klasse für Ruhe sorgen?

Natürlich, das ist aber in der Praxis nicht so einfach. Und Lehrer müssen ja nicht nur laut sprechen, sondern auch sehr viel, mindestens acht Stunden am Tag. Und sie müssen oft variieren. Sie erklären, motivieren, flüstern, trösten. Für sie ist die Stimme eines der wichtigsten Werkzeuge. Umso erstaunlicher, dass es dafür kaum ein Bewusstsein gibt, viele Lehramtsstudenten erhalten gar keine Sprecherziehung.

Was lernen die Lehrer denn bei Ihnen, um ihre Stimme zu schonen?

Das beginnt bei Körperhaltung und Atmung und geht weiter bei der Stimmgebung. Die sollte klar sein, nicht rau oder behaucht. Lehrer sollten nicht schreien, sondern besser rufen. Das schont die Stimme und trägt weiter. Viele Lehrer räuspern sich auch oft, das sollten sie lassen. Einmal räuspern erzeugt für die Stimmlippen so viel Stress wie eine halbe Stunde sprechen. Stattdessen kann man locker abhüsteln oder einen Schluck Wasser trinken. Was ebenfalls hilft: Summen oder Singen.

Summen und Singen? Vor der Klasse?

Das ist schwierig, stimmt. Aber bei einer Gruppenarbeit können Lehrer das leise für sich machen. Oder zwischen den Stunden. Morgens sollten sie ihre Stimme kurz aufwärmen. Das ist wichtig, damit sie wieder ein größeres Instrument nutzen können.

Ein größeres Instrument?

Der Bereich, in dem manche Lehrer sprechen, umfasst nur drei oder vier Töne. Sie modulieren wenig nach oben und kaum nach unten, um einen Satz zu beenden. Ohne Punkte sozusagen. Für die Schüler ist das so monoton, als stünden sie am Bahnhof und ein Güterzug rauscht vorbei. Sie können sich das Gesagte schlechter merken und lernen am Ende weniger.

Warum sprechen die Lehrer denn so?

Der wichtigste Grund ist wohl Stress. Wenn Siebtklässler im Musikunterricht die Sonatenhauptsatzform lernen sollen, ist ihr Interesse womöglich eher gering. Der Lehrer ist angespannt. Die Atmung verlagert sich in den Brustbereich, der Kehlkopf fixiert sich, die Stimme wird monoton - und die Schüler schalten ab. Was vor allem weibliche Lehrkräfte als unangenehm empfinden: Wenn sie sich gegenüber Jugendlichen durchsetzen wollen, kippt ihre Stimme. Das wirkt unsouverän, und das verstärkt das Problem. Umso wichtiger wäre es, dass die Lehrer sich mit dem gesunden Gebrauch und dem wirkungsvollen Einsatz ihrer Stimme frühzeitig beschäftigen.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2018
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