Lehrermangel:"Von Work-Life-Balance hält Frau Eisenmann wenig"

Pressekonferenz vor Schulbeginn

In Baden-Württemberg kann jede elfte Unterrichtsstunde nicht regulär stattfinden.

(Foto: Caroline Seidel/dpa)

An Baden-Württembergs Schulen entfällt viel Unterricht. Von Gegenmaßnahmen der Kultusministerin ist die Lehrergewerkschaft GEW aber wenig begeistert.

Interview von Matthias Kohlmaier

Das Kultusministerium in Baden-Württemberg hat im vergangenen November die öffentlichen Schulen angehalten, eine Woche lang sämtliche ausgefallenen Unterrichtsstunden zu dokumentieren. Das Ergebnis: Jede elfte Stunde konnte nicht planmäßig stattfinden, weil die Lehrkraft fehlte. Von diesen Stunden fielen etwa 40 Prozent aus, der Rest wurde vertreten.

In Zeiten des Lehrermangels scheint diese Erkenntnis wenig überraschend. Während in anderen Bundesländern Lehrerverbände und Ministerien seit Jahren darüber streiten, ob der Stundenausfall überhaupt erhoben wird, ignoriert man ihn in Baden-Württemberg aber zumindest nicht. Doro Moritz, Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, wünscht sich trotzdem mehr Unterstützung und weniger "Symbolpolitik".

SZ: Frau Moritz, laut Erhebung des Ministeriums kann an Baden-Württembergs Schulen jede elfte Unterrichtsstunde nicht regulär stattfinden. Halten Sie die Zahl für realistisch?

Doro Moritz: Das dürfte ungefähr hinkommen, die Schulen jedenfalls stöhnen ob der angespannten Personalsituation ganz massiv.

Warum entfällt so viel Unterricht?

Das größte Problem sind die vielen langzeiterkrankten Lehrkräfte und Kolleginnen, die schwangerschaftsbedingt vorübergehend nicht zur Verfügung stehen. Der Lehrberuf wird seit Jahren weiblicher - da ist es keine Überraschung, dass auch mehr Unterrichtsstunden ausfallen oder vertreten werden müssen, weil sich eine Kollegin im Mutterschutz befindet.

Vom Lehrermangel ist seit Langem die Rede. Wie sieht es konkret an den Schulen aus?

Erst heute Morgen hat mir ein Schulleiter gesagt, dass er täglich eine Stunde mit der Erstellung des Vertretungsplans verbringt und diesen am Wochenende nochmals überarbeiten muss. Nur so könne Stundenausfall einigermaßen organisatorisch bewältigt werden. Auch normale Lehrkräfte erzählen uns immer wieder, dass sie kurzfristig für Kollegen einspringen müssen und geplante Projekte deshalb nicht umsetzen können. Es bleibt schlicht weniger Zeit für Vor- und Nachbereitung des Unterrichts in den "eigenen" Klassen. Wichtige Aufgaben wie die Sprachförderung von Kindern an Grundschulen leiden massiv unter dem Zeitmangel.

Dann ist es doch gut, dass das Kultusministerium sich nun verstärkt um das Thema Unterrichtsausfall kümmert.

Offen gesagt ärgert mich dieser Aktionismus des Ministeriums. Die Erhebungen zum Stundenausfall bringen den Schulen überhaupt nichts, sie machen nur zusätzliche Arbeit. Dabei bilden sie einen zentralen Punkt nicht einmal ab.

Welchen denn?

Für die Erhebungen müssen die Schulleitungen im Laufe des Schuljahres für ein oder zwei Wochen den Unterrichtsausfall dokumentieren. Nicht erfasst wird damit aber, wie viele Lehrkräfte bereits zu Schuljahresbeginn gefehlt haben; wie oft größere Klassen gebildet werden mussten, weil für angemessene Klassengrößen nicht genug Personal da war; welche Projekte von Beginn an gestrichen werden mussten, weil sie niemand betreuen konnte. Diese Probleme ignoriert das Ministerium.

Wenn für die Prüfungsvorbereitung keine Zeit mehr bleibt

Eine etwas überraschende Erkenntnis der aktuellen Studie ist, dass an den Grundschulen am wenigsten Unterricht ausfällt - wo doch dort der Lehrermangel mit am größten ist.

Tatsächlich konnten zu Schuljahresbeginn 500 Stellen an den Grundschulen nicht besetzt werden. Das Ergebnis der Erhebung lässt sich trotzdem einfach erklären: Grundschulen sind die einzige Schulart, die die Kinder nicht heimschicken kann. Dort muss ausfallender Unterricht vertreten werden. Da heißt es dann: Nehmt euren Stuhl und kommt rüber ins Zimmer von der Frau Müller. Bis alle Kinder da sind, vergeht schon etwas Zeit, und am Ende hat Frau Müller doppelt so viele Kinder wie sonst und kann ihren geplanten Unterricht nicht oder nur in abgespeckter Form halten. An Gymnasien dagegen - wo der Lehrermangel weniger gravierend ist - werden die Jugendlichen heimgeschickt, wenn Frau Schmitt krank ist. Dort sagt man sich, dass es doch keinen Sinn macht, wenn der Chemielehrer in die Lateinstunde geht. Deshalb stehen die Gymnasien in der Statistik schlechter da.

Welche Lösungen schlägt die GEW vor?

Langfristig müssen dringend zusätzliche Studienplätze für das Lehramt Grundschule geschaffen werden. Dafür müsste die Politik endlich den Lehrerbedarf ordentlich berechnen. Anhand von Schülerzahlprognosen und absehbaren Pensionierungswellen, aber auch mit Blick auf ganz konkrete Notwendigkeiten an den Schulen: mehr Förderstunden sowie Sprachförderung an Grundschulen oder der dringende Bedarf an mehr Leitungszeit für Rektoren etwa. Aber die Kurzsichtigkeit in unserer Bildungspolitik führt leider zuverlässig dazu, dass man keine Lehrkräfte hat, wenn man sie braucht.

Und die kurzfristigen Maßnahmen?

Nur etwa ein Viertel aller Lehrkräfte arbeitet bis zum gesetzlichen Ruhestand. Deshalb haben wir der Ministerin in einem Brief bereits im Oktober vorgeschlagen, den vielen vorzeitig in Ruhestand gehenden Lehrkräften ein Angebot zu machen: Ihr dürft pro Woche ein paar Stunden weniger unterrichten, dafür bleibt ihr bis zur gesetzlichen Altersgrenze im Schuldienst. So wäre zumindest ein Teil des Unterrichts gesichert und der Staat spart sich vorerst die Pensionsbezüge für die jeweilige Lehrkraft. Leider stößt der Vorschlag bei der Ministerin auf Ablehnung.

Die Kultusministerin Susanne Eisenmann von der CDU geht wohl einen anderen Weg.

Sie will keine Teilzeitbeschäftigung oder Beurlaubung aus den sogenannten "sonstigen Gründen" mehr genehmigt sehen. Heißt: Familiäre Teilzeit und Pflegeteilzeit sind weiter möglich. Aber die vielen Lehrkräfte, die eine volle Stelle nicht schaffen oder eine andere Lebensplanung verfolgen, haben Pech gehabt. Von Work-Life-Balance hält Frau Eisenmann wenig.

Sie hat auch angekündigt, künftig die Vertretungskultur an den Schulen genau unter die Lupe nehmen zu wollen. Was halten Sie davon?

Ich halte das für realitätsfremd. Natürlich wäre es schön, wenn der kranke Mathelehrer von einer Kollegin vertreten werden könnte, die ebenfalls Mathematik studiert hat. Aber in der Praxis sind die Schulen ja schon glücklich, wenn eine Stunde überhaupt halbwegs sinnvoll vertreten werden kann und nicht ausfällt. Frau Eisenmann ignoriert mit ihrer Symbolpolitik, welche Ausmaße der Personalmangel an den Schulen bereits angenommen hat.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Kürzlich hat mir eine Schulleiterin erzählt, dass sie bald kommunizieren muss, dass eine ordentliche Prüfungsvorbereitung nicht mehr möglich ist. An manchen Schulen fällt so viel Unterricht aus, dass der Stoff nicht mehr vollständig vermittelt werden kann. Den betroffenen Schülern kann man dann für ihre Abiturprüfungen eigentlich nur noch viel Glück wünschen.

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