Süddeutsche Zeitung

Lehrerinnen und Lehrer:Ganz vorne

Von Mrs. McGonagall bis Zeki Müller: SZ-Autoren erinnern sich in einer unvollständigen, aber vollständig subjektiven Auswahl an Lieblings-Pädagogen aus Buch und Film.

Von Susanne Klein

Auf den Lehrer kommt es an. Der Satz klingt banal, eine Selbstverständlichkeit, doch er hat es in sich. Auf den Lehrer kommt es an - das ist die Quintessenz der berühmten Hattie-Studie. Als der Neuseeländer John Hattie vor elf Jahren präsentierte, was er in anderthalb Jahrzehnten Bildungsforschung herausgefunden hatte, provozierte er damit die pädagogische Welt: Nicht die Klassengrößen, nicht die finanziellen Mittel der Schulen, nicht die Lerntechniken, auch nicht Elternunterstützung, Sitzenbleiben oder Förderstunden entscheiden laut Hattie darüber, wie viel Schüler lernen. Ein gigantischer Datensatz von 50 000 Einzelstudien floss in seine Analyse ein, und unterm Strich bilanzierte der Forscher: Die größten Unterschiede im Lernfortschritt zeigen sich nicht von Schule zu Schule, sondern von Klasse zu Klasse - zwischen Schülern verschiedener Lehrer oder Lehrerinnen.

Was Unterricht den Schülern bringt, hängt demnach weniger von äußeren Strukturen ab als von der Lehrerpersönlichkeit. Wer das Glück hatte, nach einem schlechten Mathelehrer einen guten zu erwischen und plötzlich Dreien statt Fünfen zu schreiben, kann das bestätigen. Dasselbe Mathebuch, dieselbe Nachhilfe, dieselben Mitschüler, nichts hat sich geändert - außer dem Menschen da vorn. Der gut erklären kann, weil er imstande ist, den eigenen Unterricht mit Schüleraugen zu sehen. Der nicht seine Zuhörer verantwortlich macht, wenn sie etwas nicht verstehen, sondern sich selbst.

Ein guter Lehrer ist eine Bereicherung, ein schlechter eine Beeinträchtigung. Ein guter Lehrer macht Mut, ein schlechter entmutigt. Lehrer können Leidenschaften entfachen, schlafende Talente wecken, Selbstvertrauen geben - oder das Gegenteil von alldem bewirken. Sie können Helden sein, Peiniger oder traurige Gestalten. Ihre Macht ist nicht zu unterschätzen.

Kein Wunder, dass wir ihnen nicht nur im echten Leben begegnen, sondern auch da, wo Menschen ihr Leben verarbeiten: in Büchern, Filmen und Comics. Den strengen Lehrer Lämpel, dem Max und Moritz Flintenpulver in die Meerschaumpfeife stecken, gab es wirklich; er lebte in dem Ort, in den Wilhelm Busch als Neunjähriger zur Erziehung geschickt wurde. Auch der Drehbuchautor Tom Schulman war von seiner Schulzeit inspiriert, als er "Der Club der toten Dichter" schrieb. Der Club, der Suizid eines Schülers: Fiktion. Der von Robin Williams gespielte John Keating aber hat sein Vorbild in dem Englischlehrer, der einst Schulman begeistert hatte.

Sogar Rektor Skinner trägt Züge von Lehrern, die nicht ahnen konnten, dass zwei ihrer Schüler später für die Fernsehserie "Die Simpsons" schreiben würden. Und wer weiß, vielleicht ist auch Minerva McGonagall nicht ganz und gar erfunden. Immerhin besitzt sie eine Gabe, die alle guten Lehrer auszeichnet: Schülern beizubringen, wie sie sich verwandeln. In jemanden, der jeden Tag ein bisschen klüger wird.

Coole Hexe: Mrs. McGonagall

Im Reich der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei haben die meisten Lehrer eine Macke. Sie wirken wie Ausgeburten des britischen Internatssystems, das neben vielen positiven Eigenschaften auch die Exzentrik fördert, wie wir nicht erst seit dem Auftauchen des neuen britischen Premiers Boris Johnson wissen. Für Minerva McGonagall gilt dies nicht. Sie ist das Gegenteil einer Exzentrikerin - eher Theresa May als BoJo. Die Lehrerin im Fach Verwandlung und stellvertretende Schulleiterin war schon als Schülerin auf dem Zauberinternat und steht während der sieben Bände der erfolgreichen Harry-Potter-Reihe immer auf der richtigen - also auf Harrys - Seite. Dennoch hätten wir als Schüler die alte McGonagall meistens gehasst. Nun gut, sie ist eine Animaga und kann sich in eine Katze verwandeln (natürlich mit Brille). Aber sechs Bände lang ist sie vor allem Mahnerin, Prinzipienreiterin, treue Dienerin der Sache - und erfüllt das Klischee der altjüngferlichen Gouvernante, ohne das kaum ein Internatsroman auskommt. Was wirklich in ihr steckt, darf sie erst im letzten Buch zeigen. Da führt sie die Schlacht um Hogwarts an. Auf den Befehl "Piertotum Locomotor" erscheint eine Armee riesiger Statuen in Ritterrüstung zur Verteidigung der Schule. Verschämt gesteht McGonagall der Mutter von Harrys Freund Ron, Molly Weasly: "Diesen Zauber wollte ich schon immer einmal anwenden." Für diese späte Offenbarung lieben wir McGonagall, am Ende ist sie eben doch eine coole Hexe. Sie stand immer in zweiter Reihe, nun ist sie ein Survivor - was man von Theresa May trotz aller Dienstfertigkeit nicht behaupten kann.

Edeltraud Rattenhuber

Auf den ersten Blick ist Seymour Skinner, Grundschulrektor in der Serie "Die Simpsons", eine richtige Flasche. Tagsüber schreit ihn der Oberschulrat an, abends seine Mutter, bei der er mit über 40 noch lebt. Und die Schüler rauben ihm nicht nur den letzten Nerv, sondern auch den Schlaf, indem sie, nur zum Beispiel, sein Haus des Nachts mit verdorbenem Krautsalat bewerfen. Am schlimmsten ist Bart Simpson, Skinners zehnjährige Nemesis, die er grob geschätzt 355 Mal hat nachsitzen lassen. Alles umsonst. Aber genau deshalb ist Skinner nur scheinbar ein Loser. Er schafft in Wahrheit Tag für Tag, woran viele Lehrer scheitern: Trotz Frust, Sparzwang und maximal unkooperativen Eltern (Homer Simpson!) gibt er auch die härtesten Härtefälle und teuflischsten Satansbraten nicht auf. Weil es sein Job ist. "Kick me", "Tritt mich", steht auf einem Zettel, den Bart ihm einmal unbemerkt auf den Rücken klebt. Aber auch Skinner hat Bart eine Botschaft auf den Rücken gepappt: "Teach me" - "Unterrichte mich".

Paul Munzinger

Der Held dieser Vorabendserie aus den Neunzigern war ein Schuldirektor, der schon alles hatte, was den postmodernen Mann heute ausmacht: engagiert, tolerant, tendenziell unfähig. Irgendwie schafften es die Drehbuchautoren, dass die Frauen dem sympathischen Looser ständig an die Wäsche wollten: Schülerinnen, ihre Mütter, die Schulpsychologin. Manche von ihnen hatten "Erfolg". Das Berufliche? Er kam mit der Ente zur Schule und versuchte, den Biolehrer vom Trinken abzuhalten und seine Sekretärin davon, dass sie im Vorzimmer als Aktmodell posiert. Seinen Schülern half er, wenn sie ein Haus besetzten oder auf Klassenfahrt die Zeche im Striplokal nicht zahlen konnten. Ab und zu gab Lehrer Specht auch Unterricht. Warum hat man sich das angeschaut? Na ja, wenn man nach acht Semestern Informatik ratlos war, wo das hinführen soll, dazu unglücklich verliebt, konnte man sich kurz der Illusion hingeben, dass man mit der Wahl des Lehrerberufs eventuell ja mehrere Fliegen mit einer Klatsche erledigen könnte.

Rainer Stadler

Lehrer in Filmen sahen bis "Fack Ju Göhte" meist so aus: Schmalbrüstig, Brille, hochgeknöpftes Hemd, zu viel Lehrmaterial, zu wenig frische Luft. Bis Elyas M´Barek als Zeki Müller kam. Der Vollprolet mit Tribal-Tattoo und Dosenbier-Vorliebe wird zum Aushilfslehrer einer Problemklasse, um das aus einem Banküberfall erbeutete Geld nach abgesessener Haftzeit unter der neu gebauten Schulturnhalle wieder ausbuddeln zu können. Ein Ex-Knacki unter Studienräten, ein Lebensnaher unter Lebensfremden: Das klingt nach dem perfekten Setting für eine klassische Komödie, aber der Erfolg dieses so klischeebeladenen wie superlustigen Films liegt vor allem an der Figur des Lehrers selbst. Zur Klasse spricht Zeki Müller Kiezdeutsch, der weinenden Chantal befiehlt er pädagogisch unwertvoll "Heul leise", auf Exkursion geht er mit seinen Schülerinnen und Schülern nicht ins Völkerkundemuseum oder zum "Kleinen Prinzen" ins Jugendtheater, sondern zu einem Kumpel aus früheren Tagen: "Einige von euch wollen später Drogenboss werden, das hier ist ein Heroinabhängiger." Mehr Herzensbildung und weniger Bildungsbürgertum, die unterschwellige Botschaft könnte man ein wenig schlicht finden, aber am Ende ist Zeki Müller in seiner unorthodoxen Art ja vor allem eines: glaubwürdig. Und die Glaubwürdigkeit eines Lehrers und einer Lehrerin, das weiß man heute, hat einen der größten Effekte auf den Lernerfolg - weswegen im dritten Teil von "Fack ju Göhte" dann hollywood-erlösend alle aus der früheren Problemklasse ihr Abi bestehen. Und Zeki Müller ist ein geläuterter Lehrer mit Brille auf der Nase geworden.

Mareen Linnartz

"Woah wah woah wah wah" posaunt es von vorne, wenn Charlie Brown und seine Freunde die Schulbank drücken. Miss Othmar, die Lehrerin aus den "Peanuts", spricht eine Lautsprache, die etwa so verständlich ist wie die Lautsprecherdurchsagen auf Bahnsteigen. Tatsächlich kamen die Laute aus einer Posaune: Manchmal klingt ihre Stimme ermahnend, manchmal leiernd und monoton. Nur die Kinder verstehen, was sie sagt - wenn sie nicht gerade am Einschlafen sind. Entstanden ist der Gag aus einer Not heraus: Bei den "Peanuts", die zuerst nur als Comic-Strip existierten, tauchen nie Erwachsene auf. Doch was sollte man in der TV-Version hören, wenn Charlie Brown, Linus und Lucy im Klassenzimmer sitzen? Der Legende nach hatte Vince Guaraldi, Schöpfer des Peanuts-Soundtracks, die Idee mit der Posaune. Den vorwurfsvollen Wah-Wah-Sound produzierte ein Dämpfer. Lehrerin: "Wah Wah. Wah Wah!" Linus: "Ja, Ma'am, Wir haben Galgenmännchen gespielt."

Marc Deckert

"Zu dumm", denkt der Lehrer beim Korrigieren eines Geografie-Aufsatzes. Ein Schüler hat darin den menschenverachtenden Satz geschrieben: "Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul". Der Lehrer will das anstreichen und dazuschreiben, was er davon hält: "Sinnlose Verallgemeinerung". Doch er zögert. Hat er genau das, was der Schüler geschrieben hat, nicht neulich erst im Radio gehört? Wie soll er es dem Jugendlichen dann vorwerfen? Es ist die Zeit des Nationalsozialismus. Der Lehrer steckt in einem Konflikt: zwischen dem, was er denkt, und dem, was er denken soll. Er hadert, er fürchtet um seine Pension - und lässt den Satz stehen. Ödön von Horváths "Jugend ohne Gott" erschien 1937, kurz vor seinem Tod. Sein Held, der namenlose Lehrer, ist kein Held. Er ist schwach, entscheidet sich gegen sein Gewissen. Mit ihm erinnert Horváth daran, wie schwer es ist, das Richtige zu tun. Aber auch daran, dass es niemals zu spät dafür ist: Als der Lehrer in der Klasse die Aufsätze zurückgibt, kann er sich einen Kommentar doch nicht verkneifen. Das ist der Moment, wo für den Lehrer der Ärger beginnt - und die Emanzipation. Die Moral siegt, die Pension geht verloren, und am Ende ist aus dem Lehrer doch irgendwie ein Held geworden.

Max Gilbert

Ingwer Feddersen "grub schon, seit er denken konnte. Drehte Steine um an Straßenrändern. Wühlte, wenn er an der See war, jeden Spülsaum durch und suchte Bernsteine und Donnerkeile, Seeigel-Fossilien. Er konnte gar nicht anders: Volksschule Brinkebüll, vier Jahre Heimatkunde. Man war bei Lehrer Steensen um das Graben nicht herumgekommen." Wie Dörte Hansen in wenigen Zeilen die Figur des Lehrers in ihrem Bestseller "Mittagsstunde" einführt, sagt alles: Einen faszinierenden Lehrer vergisst man nicht, man spürt seine Spuren noch Jahrzehnte später in sich, als Interesse, als Teil des eigenen Seins. So wie der Archäologe Ingwer Feddersen, der mit 47 in das nordfriesische Dorf zurückkehrt, das Lehrer Steensen wie kein Zweiter geprägt hat, weil er Generationen von Dorfkindern unterrichtete. Allerdings ist dieser Lehrer, der gegen Flurbereinigung und für Hünengräber kämpft und dessen Schulbibliothek manchem Brinkebüller Kind das geistige Überleben sichert, kein vorbildlicher Lehrer im heutigen Sinn. Vielmehr ein Dorfschulmeister alten Schlags, hölzern, streng, jähzornig mit Kreide werfend. Manchmal haut er einem "Dööskopp" das schludrige Heft um die Ohren - und streicht dem Gegeißelten in der nächsten Pause freundlich über den Scheitel. Über 40Schüler hält Steensen so in Schach, neun Jahrgänge in einem Klassenzimmer, von progressiver Pädagogik lässt er sich nicht zum Hampelmann machen. Dass Steensen jahrgangsübergreifend und auf drei Anforderungsniveaus unterrichtet, weil er die Potenziale seiner Schüler erkennt, lässt ihn dann doch ein wenig zeitgemäß wirken. Zeitlos dagegen ist die Eigenschaft, die jeden Lehrer faszinierend macht: Ihn umweht ein Geheimnis. Zur Mittagsstunde, wenn das Dorf sich ausruht, wartet der Lehrer auf eine Frau, die zu ihm ins kalte Schulhaus schleicht. Doch das ist eine andere Geschichte.

Susanne Klein

Eisverkäuferin (wegen des Eises), Krankenschwester (wegen des Häubchens), Primaballerina (wegen des Tutus): So sahen, ganz klassisch für eine Achtjährige, meine Traumjobs aus, bevor mir der Roman "Das fliegende Klassenzimmer" von Erich Kästner in die Hände fiel. Danach hatte ich über viele Jahre nur noch einen Berufswunsch, nämlich Lehrerin. Und das hing wesentlich mit Dr. Johannes Bökh zusammen. Der von allen Schülern geliebte Hauslehrer im Internat des Johann-Sigismund-Gymnasiums zu Kirchberg ist ein Pädagoge, wie ihn sich Kinder nur wünschen können: Bestrebt, ihnen nicht nur etwas für die Schule, sondern fürs Leben beizubringen, warmherzig, großzügig, humorvoll und, ganz wichtig, gerecht, deswegen ja auch sein Spitzname "Justus". Als fünf seiner "Bengels" das Ausgehverbot missachten, um einen Freund zu befreien, den eine Jungsbande eingesperrt hatte, verzichtet Justus auf Strafe und würdigt lieber den Mut der Schüler und ihren Zusammenhalt. Als der Klassenprimus bei der Aufführung des Theaterstücks kurz vor Heiligabend unter seinen Möglichkeiten bleibt, fragt der Hauslehrer so klug und einfühlsam nach, bis der Junge endlich die schmerzhaft zurückgehaltenen Tränen darüber laufen lassen kann, dass er über Weihnachten im Internat bleiben soll. Er hat - seine Eltern sind arm - nicht genug Geld, um sich die Heimfahrt leisten zu können. Justus steckt es ihm daraufhin zu. Und den arroganten Tutor, den "schönen Theodor", bringt er mit freundlicher Bestimmtheit und durch sein gutes Vorbild dazu, ein besserer, weil sensiblerer Mensch zu werden.

Ferdos Forudastan

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Quelle:
SZ vom 05.08.2019/dd
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