Schule:Die innere Uhr Jugendlicher lässt sich nicht einfach umprogrammieren

Diese Lichtabhängigkeit führt dazu, dass die Menschen innerhalb einer Zeitzone in ihrem Schlaf-Wach-Rhythmus von Ost nach West pro Längengrad etwa vier Minuten später dran sind. Daher ist auch das soziale Leben in Ungarn früher als in Deutschland, im Osten der Bundesrepublik früher als im Westen (das hat nachweislich nichts mit der ehemaligen DDR zu tun), in Frankreich später als bei uns und in Spanien noch viel später. Unsere Blindheit gegenüber unseren eigenen Taten geht so weit, dass wir zum Beispiel meinen, die spanische Gesellschaft wäre aus rein kulturellen Gründen spät dran - vor 21.30 Uhr denkt dort doch keiner ans Abendessen; nur ist es dort im Sommer nach Sonnenzeit erst 19 Uhr!

Unsere Innenzeit hängt also vor allem von den Lichtbedingungen ab; sie ist nicht willentlich einstellbar oder mit Disziplin erlernbar. Mit mehr Licht tagsüber und mehr Dunkelheit nachts kann sie jedoch ohne weiteres rechtzeitig einschlafen und ohne Wecker aufwachen. Die Zeiten der inneren Uhr werden jedoch nicht nur durch Licht bestimmt, sondern auch vom Alter. Bei Kindern ist die Innenzeit gegenüber der Außenzeit früh dran, in der Pubertät wird sie dann rasant später, erreicht so im Alter von 20 Jahren ihren Gipfel im Nachgehen und wird ab dann wieder früher, bis wir im fortgeschrittnem Alter an seniler Bettflucht leiden. Diese Alterszusammenhänge konnten bisher in allen untersuchten Gesellschaften nachgewiesen werden, auch bei Menschen, die ohne Elektrizität leben.

Wir untersuchen das Schlaf-Wach-Verhalten in einen Volksstamm in Brasilien, ich lebe manchmal für ein paar Tage mit diesen Quilombolas zusammen. Die einzigen Mitglieder der Gemeinschaft, die bis spät in die Nacht am Feuer sitzen und nach Sonnenaufgang von ihren Eltern geweckt werden müssen, sind die Teenager. Und dies ohne die Existenz von Handys, Fernsehern oder gar Discos! Gerade ältere Menschen sollten verstehen, dass man die inneren Uhren von Jugendlichen nicht einfach umprogrammieren kann. "Großvater, schlaf doch mal bis neun aus" ist genauso blödsinnig wie "Teenager, schlaf doch mal um neun ein". Die jeweiligen inneren Uhren lassen das nicht zu.

Wer diese Zusammenhänge versteht, muss nicht mehr über Schulanfangszeiten debattieren, sondern sollte lediglich Wege suchen, sie zu realisieren. Zu frühe Schulanfangszeiten schwächen die Lernmöglichkeiten von Jugendlichen drastisch. Sie sollen aktuell zu Zeiten, die ihrer inneren Mitternacht entsprechen, aufstehen und im Unterricht aufpassen und produzieren, zusätzlich wird ihnen genau jener Schlaf geraubt, der das Gelernte im Gedächtnis verankert.

Dies hat ernste Konsequenzen für besonders späte Jugendliche, da diese sogenannten "späten Chronotypen" nachweislich schlechtere Noten erzielen. So verwehren wir ihnen etwa den Medizinstudienplatz, obwohl sie nicht fauler oder dümmer sind als all die Einser-Abiturienten, denen wir dieses Recht zugestehen. Diese Situation ist völlig absurd und vergleichbar mit der Regel, Jugendliche, die unter einer wachstumsbedingten Rückgratverkrümmung leiden, nicht zum Jurastudium zuzulassen, weil sie die Prüfung am Reck nicht bestanden haben. Ich warte seit Langem auf die ersten Musterprozesse, die diese Diskriminierung rechtlich überprüfen.

Es gibt übrigens zahlreiche Studien, die die Wirkungen einer Verschiebung des Schulbeginns von acht auf neun Uhr untersuchten und sehr positive Ergebnisse berichten: Die Schüler waren nicht nur motivierter und hatten geringere Fehlzeiten, sie erzielten auch bessere Leistungen.

Professor Till Roenneberg ist Leiter der der Human Chronobiologie am Institut für Medizinische Psychologie der Münchner LMU.

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