Schule:"Ich bekenne, ich habe im Sportunterricht geweint"

Von Freundschaften fürs Leben bis zum Weitwurf mit entschärften Handgranaten: Das haben SZ-Mitarbeiter im Sportunterricht erlebt.

Aus der Redaktion

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

In der Grundschule bestand unser Sportunterricht in meiner Erinnerung größtenteils aus Völkerball. Bis auf dieses eine Mal, es muss in der ersten oder zweiten Klasse gewesen sein. Unser Lehrer ließ uns zwei Kästen aufstellen, dazwischen Matten. Von der Decke baumelte ein Seil. Hinter dem einen Kasten versammelte er die Mädchen, hinter dem anderen die Jungen. "Wir spielen jetzt Tarzan und Jane", sagte er. Die Jungs mussten mit dem Seil von einem Kasten zum anderen schwingen, die Mädchen dort auf sie warten. Dann: Beide ans Seil, gemeinsam zurück. Wie peinlich! Weil: Jungs! Mädchen! Igitt! Als erwachsene Feministin fielen mir heute noch ein paar mehr Dinge ein, die mich an dieser Anordnung stören, aber naja. Damals hatte ich nach meinem Empfinden Glück. Mich holte der netteste Junge der ganzen Klasse auf dem Kasten ab: Conrad. Conrad war klein, blond und sah ein bisschen aus wie Macaulay Culkin. Nachdem wir unsere Tarzan-und-Jane-Nummer recht würdevoll hinter uns gebracht hatten, fragte er mich im Weggehen: "Hey, wollen wir vielleicht Freunde sein?" Und wie ich wollte! Er durfte sogar als einziger Junge zu meinem Geburtstag kommen. Und ich zu seinem. Heute sind wir immer noch Freunde und ich packe bei jeder Gelegenheit die Geschichte von Tarzan und Jane aus. Conrad behauptet dann immer, er könne sich daran nicht erinnern. Aber ich glaube ihm kein Wort. Hannah Beitzer

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Ich bekenne, ich habe im Sportunterricht geweint. Zu meiner eigenen Überraschung nicht beim Bockspringen. Daran war ich in der vierten Klasse gescheitert. Die meisten Sportlehrer gingen damals davon aus, man würde durch häufiges Ausprobieren selbst hinter die richtige Technik kommen. Deshalb ist mir heute noch ein Rätsel, wie man über das Ledervieh kommen soll, ohne sich die Handgelenke zu brechen. Die restlichen neun Schuljahre hatte ich vor jeder Sportstunde Angst, wieder Bockspringen zu müssen. Doch das Tier blieb brav in der Gerätekammer. Lediglich sein Bruder, der Kasten, kam gelegentlich zum Einsatz, aber der war freundlich. Überhaupt dachte ich, ich hätte abgesehen vom Bock keine Probleme im Sportunterricht. Bis ich in der zwölften Klasse auf den wahren Feind traf: den Stufenbarren. Zwei Mädchen waren schon am Versuch gescheitert, sich in schwindelnder Höhe über die beiden Metallstangen zu schwingen. Als dann unmittelbar vor mir Maria Z. wie eine angeschossene Eule in die Tiefe rauschte, war für mich die Sache klar. Ich würde nicht riskieren, mir für 15 Punkte den Hals zu brechen. Ich verweigerte, die Lehrerin wollte mich zwingen, ich war in der Pubertät - und deshalb heulte ich. In Sport. Wegen des Stufenbarrens. Was soll ich sagen, es hat funktioniert. Ich musste nicht ans Gerät. Und wahrscheinlich würde ich es heute genauso machen. Felicitas Kock

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Sportunterricht in der DDR, fünfte Klasse. Wir stehen der Größe nach angeordnet nebeneinander. Unsere Fußspitzen stehen genau an der weißen Linie am Rande des Sportplatzes. Der Sportlehrer ruft: "Klasse 5 b, stillgestanden! Augen geradeaus! Durchzählen!" Der Klassengrößte beginnt: "Eins" und wendet seinen Kopf ruckartig zum nächsten, so zählen wir alle durch und drehen die Köpfe, bis zur Klassenkleinsten, die muss dann einen Schritt nach vorne treten und sagen "23, durch!". Der Klassenlehrer: "Augen geradeaus! Seid bereit!" Wir: "Immer bereit!" Klassenlehrer: "Rührt Euch!" Dass das irgendwie militärisch war, kam uns gar nicht in den Sinn. Auch nicht, als wir mit F1-Handgranaten-Körpern Weitwurf übten. "Sind ja entschärft", sagte der Sportlehrer. "Sind ja entschärft", dachten wir. Und außerdem passten sie perfekt in unsere Hände. (Später erfuhr ich, dass unsere passgenauen Wurfkörper nur den Korpus der Handgranaten besaßen - und keine entschärften Granaten waren. Aber das nur nebenbei.) Richtig weit werfen habe ich trotz all der Disziplin nie gelernt. Zu wenig Muckis. Dorothea Grass

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Ich war, in grauer Vorzeit, einmal Lehrer. Haupt- und Realschullehrer mit zweitem Staatsexamen. Aber da ich nur zwei Monate an einer Hauptschule gearbeitet habe, bin ich wohl der am schnellsten ausgebrannte Lehrer dieser Republik. Grund dafür war ein einschneidendes Erlebnis: Ich musste fachfremd in der 9. Klasse einer Hauptschule in Hessen Sport unterrichten. Pah, nichts einfacher als das! Sport. Ich habe lange Wasserball gespielt, weshalb ich gut zielen, werfen und treffen kann. Aber Wasserball spielt man nicht an Schulen, daher unterrichtete ich nur die Sportarten, die ich zu Schulzeiten selbst gut gekonnt hatte: Fußball und Völkerball. Also spielten die Schüler, als ich Lehrer war, eine Unterrichtsstunde Fußball und die andere Völkerball. Dann wieder Fußball, dann wieder Völkerball. Ich war Schiedsrichter. Dass es beim Fußball zu Situationen kommen kann wie anno 14. August 1981, als Norbert Siegmann an Ewald Lienen das wohl übelste Foul der Bundesligahistorie verübte, hatte ich dabei nicht auf dem Schirm. In meiner Klasse gab es gleich mehrere Siegmanns, die es immer auf die Beine statt auf den Ball abgesehen hatten. Ein großer und kräftiger 16-Jähriger, der mehrfach sitzen geblieben war, zeichnete sich durch besondere Brutalität aus. Nach drei Ermahnungen reichte es mir. Zufällig hatte ich einen Tennisball in der Hand. Der Junge stand an einer Holzwand, ich holte aus, zielte direkt neben ihn und warf. Doch was machte er? Legte seinen Kopf zur Seite, genau in den Ball, der ihn direkt auf die Nase traf. Ein Schrei, Nasenbluten und schon sah ich die imaginären Blaulichter des Einsatzwagens vor mir, der mich gleich abholen würde. In meiner Not versuchte ich es mit dem billigsten Trick: mit Bestechung. Ich holte ein Snickers, ein Mars und eine Dose Cola für ihn. Er nahm alles, hielt sich ein blutiges Taschentuch vor die Nase und grinste gequält. Bis zur Sportstunde eine Woche später schlief ich unruhig. Mir drohten Verhöre der Eltern, der Schulleitung, des Staatsanwaltes. Eine Anzeige wegen Körperverletzung schwebte über mir. Meine gerade erst begonnene schulische Laufbahn schien bereits wieder beendet. Plötzlich standen mir in der Turnhalle der 16-Jährige und drei seiner Mitschüler gegenüber. Jeder der Jungs war mit einem Tennisball bewaffnet. Ein Erwerfungskommando? Nein. Auch sie wollten von mir beworfen werden und verlangten nach Snickers, Mars und Cola. Wir lachten und ich gab der ganzen Klasse Süßigkeiten und Getränke aus. Doch spätestens in diesem Moment wusste ich, dass es Zeit war, meinen erlernten Beruf an den Nagel zu hängen. Lars Langenau

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Sport war bei unserer Lehrerin nicht möglich. Tanz immer. Sie liebte Tanz, vor allem Rock 'n' Roll. Und so verwandelte sie jede Stunde, in der nicht gerade Leichtathletiknoten gemacht werden mussten, in einen Choreo-Workshop. Unvergessen, wie sie den Schülerinnen, die mehr an ihren künstlich verlängerten, dick schwarz getuschten Wimpern hingen als an den einzelnen Tanzschritten, den Kick-ball-Change-Schritt mit vollem Körpereinsatz vorführte. Oder die Jazz-Hands vor die Nase hielt. Aber nicht nur ihre ungebrochene Tanzleidenschaft sollte erwähnt werden, sondern auch ihr unverkennbarer Look. Neun lange Jahre am Gymnasium erschien sie nie in einem anderen Outfit als dem königsblauen Adidas-Trainingsanzug. Nicht zu weit und nicht zu eng geschnitten. Im Unterricht trug sie dazu schwarze Gymnastikschuhe mit goldenem Schriftzug, ihr glitzernd-blauer Lidschatten funkelte ... Tatsächlich habe ich sie nur einmal in einem anderen Outfit als dem königsblauen Trainingsanzug gesehen. Auf dem sogenannten Brasilianerfest in einem benachbarten Dorf sah ich von Weitem eine Dame die Hüften schwingen. Aber nicht einfach nur im Rhythmus, sondern exaltiert und natürlich mit Jazz-Hands. Sie trug ein langes, tief dekolletiertes Blumenkleid. Sport war bei ihr selten möglich. Tanz immer. Carolin Gasteiger

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Schulsport ist für mich so ein emotionales Thema. Denn er soll doch motivieren, auch in der Freizeit Sport zu treiben. Das war bei mir leider gar nicht der Fall. Warum muss man Kugelstoßen können, oder Staffellauf? Alles Sportarten, die vielleicht mit den Olympischen Spielen zu tun haben, aber nicht mit dem echten Leben. Außerdem wurden wir als Mädchen von den Jungs getrennt und mussten schreckliche Turn-Küren absolvieren. Hässliche Kommentare der Sportlehrerinnen inklusive, die meist selbst recht übergewichtig waren. "Na, da wirkst ja sogar du mal elegant", sagte mir einmal eine dieser Matronen nach meinem Abgang vom Balken. Ich habe Sport gehasst, eben wegen dieser Erfahrungen. Uns Mädchen wurde immer eingeredet, dass wir elegant sein müssten, nicht etwa stark oder schnell. Ein Mal mussten wir ernsthaft eine Keulenkür aufführen, die dann auch benotet wurde. Zur Musik von "Das Leben des Brian": "Always look at the bright side of life". Antonie Rietzschel

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Eigentlich hatte ich während meiner gesamten Sekundarschulkarriere Sportunterricht bei Lehrern vom alten Schrot und Korn. Da ging es meist um Leistung und wenn jemand nicht mit Anlauf über ein paar gestapelte Kästen springen konnte, hatte er eben Pech gehabt. Aber einer dieser alten Herren war, wenngleich pädagogisch nicht auf der Höhe der Zeit, immerhin meistens witzig. Herr K. nämlich war hauptsächlich bekannt für zweierlei: einen Fußball in die Halle zu werfen und dann das Spielgeschehen 90 Minuten lang mit den immergleichen Witzen zu kommentieren ("Millimeter am Tor vorbei - aber einige Tausend!") und sein "Todesseil". Das funktionierte so: Herr K. band ans Ende eines lange Seils einen Handschuh ("Früher habe ich immer einen Schlittschuh genommen, aber das gab zu viele Verletzte!"), die Schüler mussten sich im Kreis um ihren Lehrer positionieren und über das Seil springen, das er wild umherschwang. Wer das Seil berührte, schied aus. Turnvater Jahn wäre so stolz auf uns gewesen. Matthias Kohlmaier

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