Studie:So häufig werden Schüler gehänselt und ausgegrenzt

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Ein Ort zum Wohlfühlen? In Deutschland ist der Anteil der Kinder, die sich in der Schule sicher fühlen, geringer als in anderen Ländern. (Foto: picture alliance/dpa)

Die Schule sollte ein sicherer Ort sein. Eine neue Untersuchung zeigt nun: Gerade in Deutschland erleben Kinder sie häufig nicht so.

Von Bernd Kramer

Was die 14-Jährigen den Wissenschaftlern in einem Jugendzentrum schildern, ist erschreckend. "Mein Großcousin, der war heute in der Schule", sagt einer der Jugendlichen. Mit zerritzter Haut sei er nach Hause gekommen. "Sein ganzer Arm von oben bis unten voll."

In der Schule werde man fertiggemacht, sagt ein anderer. "Bei einer aus der Hauptschule ist es dann so weit gekommen, dass sie komplett die Arme aufgeritzt hat, die Oberschenkel und sich sogar im Unterricht eine Schere genommen hat und in den Oberschenkel gerammt hat." Die blöden Sprüche, die fiesen Kommentare - sie hat es offenbar kaum ausgehalten.

Was die Jugendlichen den Forschern der Uni Frankfurt berichten, ist keineswegs die Ausnahme. Ihre großangelegte Studie für die Bertelsmann-Stiftung wirft ein Schlaglicht darauf, wie häufig Kinder und Jugendliche in der Schule Ausgrenzung und Hänseleien erfahren. Neben Gruppendiskussionen haben die Autorinnen um die Pädagogik-Professorin Sabine Andresen 3448 Schülerinnen und Schüler im Alter von 8 bis 14 Jahren befragt. Dabei ging es nicht nur um das Sicherheitserleben, sondern auch um Teilhabemöglichkeiten und das Leben in den Familien. Die Ergebnisse sind repräsentativ für Deutschland - und zum Teil erschreckend. Die Schule ist keineswegs immer ein Ort zum Wohlfühlen. Die wichtigsten Erkenntnisse in vier Grafiken.

In anderen Ländern fühlen sich Schüler sicherer

Im internationalen Vergleich fühlen sich Schulkinder hierzulande besonders häufig unsicher in der Schule. Die untenstehende Grafik zeigt die Werte für die Achtjährigen. Fragt man sie nach ihrem Sicherheitsgefühl, liegt Deutschland im internationalen Vergleich der beteiligten Länder auf dem drittletzten Platz. Nur 55 Prozent der Kinder sagen, dass sie sich in der Schule zu 100 Prozent sicher fühlen. Bei den Zehn- bis Zwölfjährigen fällt der Wert noch schlechter aus: Nur 46 Prozent fühlen sich in der Schule zu 100 Prozent sicher, Deutschland rangiert hinter Südkorea, Äthiopien und Estland an unterster Stelle. Die internationalen Ergebnisse wurden schon 2015 veröffentlicht. Jetzt haben die Forscherinnen speziell die Situation der Kinder und Jugendlichen in Deutschland analysiert.

Grundschüler fühlen sich besonders sicher, Hauptschüler besonders unsicher

Wie sicher Kinder und Jugendliche sich in den Klassenzimmern fühlen, hängt auch von der Schulform ab. Die Grundschule scheint demnach ein Ort zu sein, der mehr Geborgenheit verspricht als weiterführende Schulen. Bei den weiterführenden Schulen stimmen immerhin 43,1 Prozent der Gymnasiasten der Aussage zu, dass sie sich an ihrer Schule zu 100 Prozent sicher fühlen. In den Hauptschulen gab dagegen ein Drittel der Schülerinnen und Schüler an, sich dort nicht oder weniger sicher zu fühlen.

Vor allem an Grundschulen wird gehänselt und gehauen

Die Kinder und Jugendlichen wurden auch danach gefragt, wie häufig sie es erleben, dass andere Schüler sie ausgrenzen, hänseln oder schlagen. Auffällig ist: Nur 21 Prozent der Grundschüler sagen, dass sie derlei Erfahrungen in der Schule nie machen. An den weiterführenden Schulen ist der Anteil deutlich höher, am höchsten am Gymnasium. Grundschüler fühlen sich an ihrer Schule eher sicher - erleben aber dennoch häufiger Übergriffe. Die Autorinnen der Studie hat dieses scheinbar paradoxe Ergebnis erstaunt. "Diese zunächst irritierende Kombination aus hohem Sicherheitsgefühl trotz vermehrter Ausgrenzungs- und Gewalterfahrungen könnte mit den eher körperbetonten als diskursiven Umgangsformen jüngerer Kinder zusammenhängen", schreiben sie. "So haben Hänseln und Hauen eventuell für Acht- oder Neunjährige nicht eine so bedrohliche Konnotation wie für Dreizehn- oder Vierzehnjährige." Grundschüler raufen sich häufiger, sehen das aber wohl eher als Spiel denn als ernstes Mobbing.

Wer arm ist, erlebt mehr Ausgrenzung

Die Forscherinnen stellen fest, dass Kinder und Jugendlichen aus armen Familien deutlich häufiger Gewalt und Ausgrenzung in der Schule erleben. Von den Schülern, die sich nie Sorgen über Finanzen in der Familie machen, haben 69,8 Prozent in den Monaten vor der Befragung keine Übergriffe erlebt. Von den Schülern, in deren Familien Geldsorgen eine große Rolle spielen, berichten dagegen nur 45,3 Prozent, in der Schule von Ausgrenzung und Gewalt verschont zu sein. "Diesen Befund gilt es sehr ernst zu nehmen, weil er auf eine besondere Mehrfachbelastung einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen hinweist", schreiben die Autorinnen der Bertelsmann-Studie. "Diese jungen Menschen benötigen gezielte Hilfe und Unterstützung."

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