Süddeutsche Zeitung

Getrennter Unterricht:Die Mischung macht's

Lesezeit: 2 min

Sollten Mädchen und Jungen in bestimmten Fächern getrennt unterrichtet werden? Die neue Kultusminister-Präsidentin belebt eine alte Debatte. Dabei schien die schon aus gutem Grund beendet zu sein.

Von Paul Munzinger

Der Vorsitz der Kultusministerkonferenz (KMK) ist ein Amt, das im Jahresrhythmus rotiert und so immer wieder Ministerinnen und Minister aus weniger auffälligen Bundesländern auf die nationale Bühne hievt. So wie Stefanie Hubig. Seit 2016 ist die SPD-Politikerin Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz, seit Januar ist sie KMK-Präsidentin und kürzlich sagte sie in einem Interview mehrere Dinge, die weithin Beachtung fanden. Dass Widerstand gegen die Südländer in der Feriendebatte richtig sei, aber nichts bringe. Dass Rechtschreibung eine "soziale Frage" sei. Und vor allem: dass sie es befürworte, Mädchen und Jungen in Mathe oder Physik "phasenweise" getrennt zu unterrichten.

Hubig, die ein gemischtes sowie ein reines Mädchengymnasium besuchte, hat damit eine Debatte belebt, die längst beendet zu sein schien. In den 60er- und 70er-Jahren wurde das gemeinsame Lernen von Jungen und Mädchen zum Standard, nachdem viele Schulen sie bis dato getrennt unterrichtet hatten. Die Koedukation sollte die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern erhöhen. Doch eben das wurde bald wieder angezweifelt - mit einem Argument, das nun auch Hubig bemühte: Gerade in Mathe und Naturwissenschaften drängten forsche Jungs die zurückhaltenderen Mädchen in den Hintergrund.

Vor einigen Jahren flammte der Streit noch einmal auf, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ damals Sympathien für eine vorübergehende Geschlechtertrennung erkennen. Doch seitdem ist es ruhig um das Thema geworden, und zwar vor allem deshalb, weil die Wissenschaft die Frage nach dem Sinn der Maßnahme recht eindeutig beantwortet. Bringt nichts, schadet sogar - zu diesem harschen Urteil kam 2011 eine amerikanische Studie. Eckhard Klieme vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung in Frankfurt ist zwar etwas zurückhaltender in seiner Bewertung, doch auch er sagt: "Ich bin schon sehr verwundert, dass dieses Feld jetzt noch einmal aufgemacht wird."

Studien hätten durchaus gezeigt, sagt Klieme, dass sich Rollenstereotype in gemischten Klassen stärker durchsetzten. So präsentierten sich Mädchen ohne Jungen etwa in Physik selbstbewusster. Doch die Effekte seien nicht nur gering, sie verschwänden auch wieder, sobald die einstigen Schülerinnen im Beruf oder in der Uni wieder auf Männer träfen. Ein möglicher Gewinn sei also nur vorübergehend.

Doch was Klieme an Hubigs Vorstoß vor allem stört, sind zwei andere Punkte. Erstens sei ihre Problemdiagnose falsch: Ja, Pisa und andere Studien hätten sinkende Leistungen in Mathe und Naturwissenschaften ermittelt - doch dieser Negativtrend sei nicht auf die Mädchen, sondern allein auf die Jungen zurückzuführen. Zugleich hätten Mädchen beim Interesse an Mathematik aufgeholt. Und die sozialen Unterschiede wögen weit schwerer als die zwischen den Geschlechtern. Zweitens sei das gemeinsame Lernen von Kindern unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Geschlechts, mit und ohne Handicap, ein Prinzip, "hinter das wir nicht zurückgehen sollten", so Klieme. "Äußere Trennungen als Prinzip einzuführen, würde der Grundidee vieler pädagogischer Reformen der letzten Jahre widersprechen."

Geschlechtssensibler Unterricht, der den Interessen der Mädchen entgegenkommt und auch weibliche Vorbilder präsentiert, sei wichtig, betont Klieme. "Doch dafür muss ich die Klasse nicht in zwei Hälften teilen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4803692
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.