In welchem Umfang und vor allem wie sollen Schüler sich mit Hitlers "Mein Kampf" beschäftigen? Ulrich Baumgärtner, Geschichtslehrer an einem Münchner Gymnasium und außerplanmäßiger Professor für Didaktik der Geschichte an der LMU, hat sich intensiv mit dieser Frage befasst. Für die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit hat er darüber das Heft "Mein Kampf in der historisch-politischen Bildung" geschrieben, das sich unter anderem an Lehrkräfte richtet.
SZ.de: Herr Baumgärtner, seit wann beschäftigen sich deutsche Schüler im Geschichtsunterricht mit Hitlers "Mein Kampf"?
Ulrich Baumgärtner: Der Nationalsozialismus war schon ab den frühen fünfziger Jahren Thema an den Schulen, damals natürlich noch stark unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges. Das hat sich mit der tieferen Erforschung des Nationalsozialismus über die Jahre etwas geändert. Die NS-Ideologie und damit "Mein Kampf" wurden aber eigentlich von Beginn an im Geschichtsunterricht behandelt.
Man hat offenbar schon früh erkannt, dass dieses Buch eine zentrale Rolle in der Ideologie des Dritten Reiches gespielt hat.
Richtig. Es stand zwar nicht explizit in den Lehrplänen, diese waren zu der Zeit aber sowieso viel knapper formuliert, als das heute der Fall ist.
Noch immer wird viel darüber gestritten, ob "Mein Kampf" in den Schulen überhaupt besprochen werden sollte. Was denken Sie darüber?
Wenn man den Nationalsozialismus bespricht, muss man sich zwangsläufig mit seiner zentralen Figur auseinandersetzen. Dazu gehört neben Hitlers Werdegang auch seine Weltanschauung und wie sich diese entwickelt hat. Dafür ist "Mein Kampf" ein wichtiges zeithistorisches Dokument, das den Schülern den ganzen Wahn dieses Mannes näherbringen kann, wenn Lehrkräfte es klug in den Unterricht integrieren. Und die Weltanschauung der Nationalsozialisten war auch für ihr politisches Handeln wichtig.
Es stellt sich für Sie also nicht die Frage, ob "Mein Kampf" im Unterricht besprochen wird, sondern wie?
Genau. Das Buch zu ignorieren, finde ich insbesondere falsch, als es sich ja jeder Schüler recht unproblematisch besorgen kann, spätestens seit das Urheberrecht ausgelaufen ist. Als Geschichtslehrer ist es unsere Aufgabe, den Schülern "Mein Kampf" zu erklären und aufzuzeigen, wie menschenverachtend und auch faktisch falsch die Argumente Hitlers sind.
Ist es dafür notwendig, Auszüge im Unterricht zu lesen?
Wie tief man einsteigt, ist natürlich jedem Kollegen selbst überlassen. Ich persönlich finde, dass man den Text zumindest auszugsweise im Unterricht lesen sollte, um die ganze Monstrosität deutlich machen zu können. Geschichtsunterricht hat schließlich den Anspruch, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern die Schüler auch anzuleiten, historische Zusammenhänge aus Quellen selbst zu erarbeiten und zu begreifen.