Schule:Eine Forderung, die das System ins Wanken bringt

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Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über das Streikrecht für Beamte. (Foto: dpa)
  • Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt darüber, ob Beamten ein Streikrecht zusteht.
  • Geklagt haben vier Lehrer, unterstützt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
  • Nach dem ersten Verhandlungstag wirkt es, als wolle das Gericht am geltenden Streikverbot festhalten.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es galt, dem Bundesverfassungsgericht ein Streikrecht für verbeamtete Lehrer auszureden, da kam der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin ein zwar gewagtes, aber immerhin landestypisches Bild recht. Hätte Hauke Haien, Theodor Storms Schimmelreiter, in seiner Jugend nicht seinen Euklid gelesen, weil die Lehrer gerade wieder mal im Streik gewesen wären - er hätte mangels mathematischer Kenntnisse keine Berechnungen für widerstandsfähigere Deiche anstellen können. Schon klar, was Karin Prien damit sagen wollte: Wenn Beamte streiken dürfen, dann droht der Dammbruch.

Der Zweite Senat verhandelte am Mittwoch über eine Frage, die man sich so im Mutterland des Berufsbeamtentums bis vor wenigen Jahren nicht hatte vorstellen können: Genießen Beamte eigentlich ein Streikrecht? Diese Frage war stets mit Nein beantwortet worden, zuerst durch das Verfassungsgericht selbst, und zwar im Jahr 1958. Dass sie nun doch auf der Agenda steht, hat mit - wie Richter Peter Huber es formulierte - einem "gewissen Europäisierungsdruck" zu tun.

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hatte 2008 und 2009 in zwei türkischen Fällen entschieden, dass man einem Teil der Beamten nach der Menschenrechtskonvention ein Streikrecht nicht vorenthalten dürfe. Und zwar denjenigen, die "nicht-hoheitliche" Funktionen ausüben. Nach deutscher Lesart gehören dazu auch die Lehrer; hoheitliche Funktionen üben eher Polizisten, Staatsanwälte und Justizvollzugsbeamte aus.

Vier Verfassungsbeschwerden von Lehrern aus mehreren Ländern liegen dem Gericht vor, unterstützt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die damit ein altes Projekt verfolgt. Einer ihrer Anwälte, Karl Otte, wies darauf hin, dass es dabei nicht allein ums Geld gehe. Lehrer könnten sich gegen die unablässigen Veränderungen etwa ihrer Stundenzahlen kaum wehren.

Der Gang der Anhörung zeigte: Es wird eine komplizierte Operation am Herz des Berufsbeamtentums. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verteidigte mit entschlossenem Ernst das Streikverbot als einen "essenziellen Pfeiler des Berufsbeamtentums". Die Bürger dürften darauf vertrauen, dass der Staat jederzeit handlungsfähig sei. Der Beamte genieße lebenslange Versorgung inklusive Pension und Beihilfe zur Gesundheitsversorgung - und verzichte im Gegenzug auf das Streikrecht. "Eine Rosinenpickerei darf es nicht geben." Und Ministerin Prien erinnerte an die zentrale Funktion der Lehrer: "Bildung wird heute geradezu als eine Schicksalsfrage angesehen."

Dazu gab es ein paar überraschend kritische Zwischenfragen von der Richterbank.

Von mehr als 800 000 Lehrern seien 200 000 nicht Beamte, merkte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle an, zuständiger Berichterstatter in dem Verfahren: "Man hat nicht den Eindruck, dass das überhaupt nicht funktioniert." Ein Befund übrigens, den die Vertreter Sachsens bestätigten, wo es fast nur angestellte Lehrer gibt. Und Richter Ulrich Maidowski fragte nach, ob die sogenannte Fürsorge des Staates für seine Beamten wirklich funktioniere: "Wie verschafft sich diese Berufsgruppe Gehör, wenn nicht durch den Streik?"

Der Lehrer soll streiken dürfen - der "hoheitlich" handelnde Polizist aber nicht?

Dennoch überwog am Ende der Eindruck: Das Gericht wird das Berufsbeamtentum, das in Karlsruhe immer einen entschiedenen Verteidiger hatte, nicht durch ein Streikrecht für Lehrer ins Wanken bringen. Kaum jemand konnte sich konkret vorstellen, wie das funktionieren soll. Der Lehrer darf sich ein Plus auf seinen Beamtensold erstreiken - der "hoheitlich" handelnde Polizist aber nicht, weil für ihn das Streikverbot gilt? Auch Richterin Christine Langenfeld hakte nach: Müssten die einen weniger Gesundheitsschutz und mehr Arbeitslast hinnehmen, während sich die anderen per Streik wehren dürften?

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Bleibt die Frage: Wie kommt man an den Urteilen aus Straßburg vorbei? Das Verfassungsgericht, das wurde deutlich, könnte das Wort vom "hoheitlichen Beamten" nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß übernehmen. De Maizière nannte das Beispiel vom beamteten IT-Spezialisten, zuständig für die Abwehr von Hackerangriffen: Der handle zwar nicht hoheitlich, übe aber eine zentrale Funktion für den Staat aus. In diesem Sinne könnte man auch die hervorgehobene Rolle der Lehrer umschreiben - Stichwort Schulpflicht und Bildungsauftrag. Zu wichtig also, um ihnen ein Streikrecht zu gewähren. Ein kreativer Umweg. Gut möglich, dass der vom Straßburger Gerichtshof dereinst überprüft wird.

© SZ vom 18.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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