Süddeutsche Zeitung

Schule:Diese Kinder lernen, was und wann sie wollen

Die Freilerner-Bewegung widersetzt sich der in Deutschland geltenden Schulpflicht. Besuch bei einer Familie, die nicht auffliegen darf.

Lena und John Werth haben zwei Kinder, einen siebenjährigen Sohn und eine zehnjährige Tochter. Die beiden müssten eigentlich in die Schule gehen, in Deutschland gilt Schulpflicht. Doch Max und Carlotta bleiben zu Hause. Sie lernen, was und wann sie wollen. Die Familie gehört den Freilernern an, einer Bewegung, deren Mitglieder die Kinder daheim unterrichtet und dabei keinem Lehrplan folgt, sondern allein den Wünschen der Kinder. Das unterschiedet sie etwa von den Homeschoolern, die zu Hause unterrichten, aber nach festem Stundenplan.

Was die Werths tun, ist in Deutschland nicht erlaubt - im Gegensatz etwa zu den USA, wo bis zu zwei Millionen Kinder zu Hause lernen, die meisten aus religiösen Gründen. Die Schulpflicht ist in kaum einem Land so streng wie in Deutschland. Die Werths leben deshalb in der ständigen Sorge, dass das Jugendamt eines Tages vor ihrer Tür stehen könnte. Mit Gleichgesinnten bereiten sie sich auf den Ernstfall vor, in Rollenspielen simulieren sie Termine bei den Behörden. Eltern, die sich der Schulpflicht widersetzen, drohen Verwarnungen, Bußgeld, im schlimmsten Fall der Kindesentzug. Der echte Name der Werths darf nicht in der Zeitung stehen.

Schule? Die Kinder "haben sich dagegen entschieden"

Wer die Werths zu Hause besucht, der lernt lebhafte Kinder kennen und liebevolle Eltern, die offen und bereitwillig erzählen. Die Werths hängen keiner fundamentalistischen Ideologie an. Sie haben auch nichts gegen das deutsche Schulwesen, sie halten es sogar für das richtige System für die meisten Kinder. Aber nicht für ihre. "Wir haben ihnen verschiedene Schulen gezeigt, aber sie haben sich dagegen entschieden. Wir respektieren das", sagt Mutter Lena. Ihre Aufgabe sei es, die Kinder "in dem zu unterstützen, was sie sind. Und nicht zu etwas zu drängen, was wir wollen."

Sollte man Kindern solch eine Entscheidung selbst überlassen? Ist die strikte Schulpflicht in Deutschland nötig? Was muss Schule leisten, um allen Schülern gerecht zu werden? Die Fragen, die der Fall der Familie Werth aufwirft, reichen weit über die Freilerner-Bewegung hinaus. Sie zielen mitten ins deutsche Bildungssystem.

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