Kaum sind die Schülerinnen und Schüler zurück in den Klassen, bereitet man sich in Nordrhein-Westfalen dieser Tage schon auf den Fall vor, dass der Unterricht doch wieder zu Hause stattfinden muss. Etwa an einem Gymnasium in Mönchengladbach: Die Stadt möchte für bedürftige Jungen und Mädchen Tablets anschaffen, weiß aber nicht, wie viele. Deswegen verteilte die Schule einen Brief an die Eltern. Sie sollen ankreuzen, ob sie über "eine für das Distanzlernen notwendige technische Ausstattung" verfügen.
Der Schulleitung hatte die Stadt zuvor geschrieben, sie möge nicht nur die Zahl der bedürftigen Jugendlichen ermitteln, sondern beim Homeschooling auch bitte darauf achten, "dass die betroffenen Schülerinnen und Schüler keine Ausdrucke zu Hause vornehmen müssen, da sie logischerweise auch über diese Ausstattung nicht verfügen." Für die "Anschaffung von weiterer Peripherie" reiche das 500-Millionen-Sofortprogramm des Bundes für Schüler nämlich nicht.
Es bleibt kompliziert, auch in diesem Schuljahr.
Eltern, Lehrer, Städte ringen derzeit damit, wie das Lernen in Corona-Zeiten gelingen kann - und nun hat sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel nach langer Zurückhaltung wieder in die Schulpolitik eingemischt - mit gewisser Nervosität, wie es heißt. Am Donnerstag kam es, für viele überraschend, zu einem informellen Treffen der Kanzlerin mit SPD-Chefin Saskia Esken und einigen Bildungsministern der Länder. Formell beschließen kann diese Runde nichts, zumal auch die meisten Ländervertreter bei dem Termin fehlten. Dafür allerdings waren die Verabredungen im Kanzleramt erstaunlich weitreichend.
- Dienstlaptops für Lehrer: Nach dem 500-Millionen-Sofortprogramm für Leih-Tablets für bedürftige Schüler soll es nun auch ein Programm geben, um alle Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland mit einem Gerät für den Fernunterricht auszustatten. Weitere 500 Millionen Euro will der Bund dafür zur Verfügung stellen, wie der SZ aus Teilnehmerkreisen bestätigt wurde.
- Breitband-Anschluss der Schulen: Alle Schulen im Land sollen zügig ans schnelle Internet angeschlossen werden. Die Länder sollen dem Kanzleramt eine Liste zur Verfügung stellen - über alle Schulen, die eine Übertragungsrate von 1 MBit pro Schüler unterschreiten. Dass das Kanzleramt eine konkrete Schulliste verlangt, ist ungewöhnlich. Der Informationsstand über die Internetversorgung der Schulen sei bislang aber erschreckend schlecht, sodass das Thema hoch gehängt werden müsse, heißt es aus Teilnehmerkreisen. Druck machen soll das nicht nur den Ländern, sondern womöglich auch dem für den Internetausbau zuständigen Minister Andreas Scheuer (CSU).
- Internet-Flatrate für Schüler: Es soll ein günstiges Internetangebot für Schülerinnen und Schüler geben, die bisher zu Hause keinen Online-Anschluss haben. Die Rede ist von einem Tarif von maximal 10 Euro im Monat, die Telekom kündigte nach der Runde im Kanzleramt am Freitag ein entsprechendes Angebot an. Der Tarif sei nur für Bildungsinhalte nutzbar, erklärte ein Unternehmenssprecher. Welche Schüler dieses Angebot erhalten können, sollten die Schulen und Schulträger entscheiden. Die Runde im Kanzleramt überlegt, ob die Kosten in dem Fall als Bildungsausgabe für Kinder aus Hartz-IV-Familien übernommen werden können.
- Einheitliche Hygienepläne: Besonders brisant ist dieser Tage ein weiterer Punkt, der beim Schulgipfel zu Sprache kam. Die Kanzlerin, so heißt es, habe darauf gedrungen, dass die Länder ihre Hygienepläne für die Schulen stärker als bisher vereinheitlichen. Derzeit sind die Regelungen sehr unterschiedlich: In Nordrhein-Westfalen müssen Masken auch im Unterricht getragen werden, in vielen anderen Ländern nur auf den Fluren und Schulhöfen. Während Bayern und Sachsen detailliert regeln, ab welchen Infektionszahlen Abstandsregeln in den Klassen wieder gelten oder Schulen gar zu schließen sind, fehlen in den meisten anderen Ländern solche Vorgaben. "Niemand versteht es, wenn an der einen Schule Masken zu tragen sind und an der nächsten nicht", sagte SPD-Chefin Saskia Esken der SZ. "Die Regeln müssen daher überall intuitiv nachvollziehbar sein." Die Hygieneregeln seien bereits Thema einer Telefonschalte, zu der sich die Kultusministerkonferenz nach SZ-Informationen am Freitag verabredet hat. Ein vereinheitlichter Stufenplan könnte in den nächsten zwei bis drei Wochen erarbeitet werden, heißt es aus einem Ministerium.
Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) sagte der Deutschen Presse-Agentur nach dem Treffen im Kanzleramt: "Es war ein erfreulich konstruktives Gespräch über die Grenzen von Bund, Ländern und Parteien hinweg." Sein sächsischer Amtskollege Christian Piwarz (CDU) lobte, dass flächendeckende Schulschließungen wie im März künftig vermieden werden sollen: "Es herrschte Einigkeit darüber, dass Schule und Bildung auch in Zeiten der Corona-Pandemie Priorität genießen. Schulschließungen dürfen nur das allerletzte Mittel sein." Ähnlich äußerte sich SPD-Chefin Esken: "Es haben alle ein Interesse daran, dass es ein verlässliches Bildungsangebot in diesem Schuljahr gibt."
Kritik kam aus der Opposition im Bundestag. "Es hat viel zu lange gedauert, bis die Bundesregierung endlich erkennt, wie wichtig digitales Lernen ist", sagte die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Katja Suding. "Mit ihren losen Absichtserklärungen ohne konkreten Fahrplan wird die Modernisierung des Bildungssystem weiter ausbleiben."
Zu Spekulationen lädt der ausgewählte Teilnehmerkreis der informellen Runde ein. Die Einladung wurde bereits vor einigen Wochen verschickt. Drei ihrer Bildungsminister aus den Ländern hatte die SPD für das Treffen ausgewählt, drei die Unionsseite. Eine wichtige CDU-Kultuspolitikerin wie Baden-Württembergs Amtschefin Susanne Eisenmann war dabei gar nicht geladen. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo wiederum, der als Freier Wähler aus der Runde heraussticht, kam als siebter Landesminister wohl erst ganz zum Schluss mit in den erlesenen Kreis.