Schule:"Würde man das Grundgesetz ernst nehmen, müsste Schloss Salem geschlossen werden"

Schloss Salem

5770 Privatschulen gibt es in Deutschland. Schloss Salem am Bodensee gehört zu den bekanntesten.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)
  • In einer Studie beschäftigt sich das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) mit Deutschlands Privatschulen.
  • Der Vorwurf der Autoren: Bei ihren Regeln und Kontrollen für Privatschulen missachten die meisten Bundesländer das Grundgesetz.
  • Es gibt 5770 Privatschulen in Deutschland, jedes elfte Kind besucht eine solche Schule.

Von Susanne Klein

Es klingt wie eine Binsenweisheit: Kinder von Eltern mit hohem Einkommen besuchen deutlich häufiger Privatschulen als Kinder von Eltern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Das ist Realität. Doch ist es auch rechtens? Mit dem sozialen Ungleichgewicht an staatlich anerkannten Schulen in freier Trägerschaft befasst sich eine an diesem Freitag erscheinende Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Untersuchung geht der Frage nach, welchen Anteil die Schulpolitik daran hat, dass sich viele der 5770 Privatschulen in Deutschland sozial abschotten. Die Antwort des Wissenschaftszentrums lässt sich in einem Vorwurf bündeln: Bei ihren Regeln und Kontrollen für Privatschulen missachten die meisten Bundesländer das Grundgesetz.

Dabei hatten die Gründer der Bundesrepublik den politischen Auftrag klar formuliert: Privatschulen dürfen nur genehmigt werden, "wenn eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird", heißt es in Artikel 7 der Verfassung. Damit dieser Grundsatz nicht ausgehöhlt werde, so die Autoren der Studie, müssten die Behörden regelmäßig überprüfen, mit welchen Verfahren die Schulen ihre Schüler auswählen.

Das aber geht nur mithilfe landesrechtlicher Vorgaben, die konkretisieren, wie genau das Sonderungsverbot umzusetzen ist. Weder das eine noch das andere findet laut Studie ausreichend statt: Nur vier Bundesländer hätten in ihren Landesgesetzen eine über den Wortlaut von Artikel 7 hinausgehende Regelung verankert. Kein einziges Bundesland kontrolliere die Aufnahmepraxis, keines vergleiche die soziale Zusammensetzung der Schüler von privaten Schulen mit der von öffentlichen. Die ohnehin problematische soziale Segregation in deutschen Schulen werde so weiter vorangetrieben.

"Würde man das Grundgesetz ernst nehmen, müssten Schulen wie Schloss Salem oder das Bonner Aloisiuskolleg sofort geschlossen werden", sagt der Bildungssoziologe Marcel Helbig, einer der Autoren der Studie. Zwar versuchten solche Schulen mitunter, durch Stipendien in begrenzter Anzahl das Sonderungsverbot zu berücksichtigen. "Doch das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass das nicht genügt", ergänzt Michael Wrase, Professor für Öffentliches Recht. Zudem seien die extrem elitären Internate mit Gebühren von 20 000 bis weit über 30 000 Euro pro Jahr nur "die Spitze des Eisbergs".

Für besonders besorgniserregend halten die Wissenschaftler die Situation bei den als sozial engagiert geltenden Reformschulen und nennen ein Beispiel aus Berlin-Kreuzberg: Dort erhebt die Freie Waldorfschule je nach Einkommen monatlich bis zu 730 Euro pro Kind, mindestens aber 110 Euro - in einem Bezirk, in dem mehr als 40 Prozent der unter 15-Jährigen Sozialleistungen empfangen. Selbst eine Mindestgebühr kann also sozial ausgrenzen, laut WZB eine "verfassungswidrige Praxis". Die Erhebung von Schulgeld setze eine Einkommensstaffelung nach unten - bis hin zur Befreiung - "zwingend voraus". In Berlin ist die Senatsverwaltung für Bildung mit der eigenen Schulgeldregel dennoch zufrieden: "Über unsere Konkretisierungen des Sonderungsverbots hinaus wird kein Regelungsbedarf gesehen", erklärt die Verwaltung auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung.

Zahl der Privatschulen hat deutlich zugenommen

Da Berlin recht verlässlich registriert, welche Eltern von den Kosten für schulische Lernmittel befreit werden, und diese Daten ein Indikator für Einkommensarmut sind, konnten die Wissenschaftler hier genauer hinschauen. Mit dem Ergebnis, dass der Anteil von Schülern, deren Bücher vom Staat bezahlt werden, an öffentlichen Schulen ja nach Schulart drei- bis fünfmal höher ist als an Privatschulen. Ein klarer Verstoß gegen das Verfassungsgebot, sagen die Autoren und fordern von den übrigen Landesregierungen, ebenfalls eine Datenbasis für Kontrollen bereitzustellen.

Insgesamt hat die Zahl der Privatschulen in Deutschland seit 1992 um mehr als 80 Prozent zugenommen, jedes elfte Kind besucht heute eine solche Schule, ob konfessionell, reformpädagogisch oder international ausgerichtet. Angesichts dieser Entwicklung hätten die Bundesländer längst mehr unternehmen müssen, lässt die Studie durchblicken. "Weder für die Genehmigungsbehörden, noch für die Schulträger selbst ist in den meisten Ländern klar erkennbar, welche Schulgelder und sonstigen Beiträge von Eltern verlangt werden dürfen", sagt Michael Wrase.

Klare Regelung in Rheinland-Pfalz

"Eine kleinteilige Festlegung gibt es tatsächlich nicht," bestätigt Petra Witt, Präsidentin des Verbandes Deutscher Privatschulverbände (VDP), allgemein habe sich das Schulgeld aber "auf einen Durchschnitt von ungefähr 150 Euro im Monat eingespielt."

Unmissverständlich hat es immerhin Rheinland-Pfalz geregelt: Dort erhalten Privatschulen nur dann staatliche Förderung, wenn sie keinerlei Entgelt erheben. Formal anders, aber im Ergebnis ähnlich, hat es Nordrhein-Westfalen gelöst.

Zwei Beispiele, die den Studienautoren gefallen, zumal die Landeshaushalte dann nicht auf Kosten der Eltern sparen. "Denn die Ministerien profitieren ja vom Schulgeld! Und einige, vor allem die in ostdeutschen Bundesländern, haben die Zuschüsse für Privatschulen in den letzten Jahren deutlich beschnitten," erklärt Marcel Helbig. Der falsche Weg, das sieht auch der VDP so: "Wir plädieren für einen flächendeckend höheren Finanzausgleich von 80 bis 85 Prozent der Kosten, die Schüler an staatlichen Schulen verursachen," sagt Verbandspräsidentin Witt.

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