Schule:Auch ohne Wisch ist alles weg

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Ist das Handyverbot an Schulen zeitgemäß? (Foto: Stephan Rumpf)

An Bayerns Schulen gilt ein rigoroses Handyverbot. Dagegen begehren nun Münchner Schüler auf - und bekommen auch von Lehrern und Politikern Unterstützung.

Von Melanie Staudinger

Wer Valentina Schüller erreichen will, tut das am besten per E-Mail. Die 18-Jährige antwortet in der Regel innerhalb weniger Minuten. Sie liest Zeitung, ja, aber nicht auf Papier, sondern in der App. In sozialen Medien sucht sie sich die Informationen zusammen, die ihr als wichtig erscheinen. Wenn sie etwas wissen will, googelt sie. Wie das die meisten Erwachsenen eben auch tun, mit nur einem Unterschied. Bis zum Herbst ging Valentina Schüller noch aufs Gymnasium. Und da gilt wie an allen Schulen in Bayern auch: Handyverbot.

Der Freistaat ist das einzige Bundesland, in dem es ein im Schulgesetz verankertes Verbot von Handys gibt. Nur wenn der Lehrer es erlaubt, dürfen Schüler Smartphones im Unterricht anschalten und benutzen. Sonst müssen sie aus bleiben - im Schulgebäude ebenso wie auf dem Pausenhof. Es dürfte kaum ein schulisches Thema geben, das derart aufregt. Von der Qualität der Mittagessen mal abgesehen.

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Nun fordert ein breites Bündnis Münchner Schüler, das Handyverbot abzuschaffen. Und sie bekommen dabei Unterstützung von Lehrern, Politikern und Pädagogen. Auf der anderen Seite aber steht das mächtige Kultusministerium, das am generellen Verbot festhalten will. "Es ging und geht dem Gesetzgeber beispielsweise anlässlich wiederholter Fälle von Videos gewalttätigen oder pornografischen Inhalts auf Mobiltelefonen von Schülern darum, den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag an öffentlichen Schulen zu stärken", erläutert eine Sprecherin. Das "sogenannte Handy-Verbot" sei zudem ein wirksamer Schutz vor dem zunehmenden Phänomen des Cybermobbings. Das will heißen: Wenn die Smartphones ausbleiben, werden die Schüler sich schon gegenseitig in Ruhe lassen.

Ein Blick in die sozialen Medien und die Ergebnisse einiger Studien aber zeigen Gegenteiliges. Laut diesen Untersuchungen ist jeder Zehnte zwischen elf und 17 Jahren von Mobbing betroffen - oft geschieht es an Schulen und auf dem Heimweg, oft passiert es über Chats und soziale Medien. Erst kürzlich berichteten im Münchner Stadtrat Ärzte, dass sie eine Zunahme von Mobbing-Opfern verzeichnen. Die Zahl der Schüler in München, die von den Schikanen krank werden und in ärztliche Behandlung müssen, steige stetig.

"Ein Verbot von digitalen Speichermedien ist utopisch", sagt hingegen Valentina Schüller von der Initiative "Hack your School", die sich formiert hat, um die Schule aus der digitalen Kreidezeit zu holen. Verbote stünden einem reflektierten Umgang mit Handys entgegen, sagt sie. Der aber sei notwendig, um in einer digital dominierten Umwelt erfolgreich zu bestehen. An den Universitäten sei ein selbständiger Umgang mit Smartphones, Tablets und Laptops doch auch kein Problem. Dort vertraue man dem eigenen Ermessen der Studenten, Schülern werde dieses Recht hingegen verwehrt - weil man ihnen offenbar nicht zutraue, dass sie das Gerät schon bedienen könnten.

An den Schulen sieht das ganz anders aus, und ihre Leiter können unzählige Geschichten davon erzählen. "Ich glaube manchmal, dass meine Schüler denken, dass sie nur existieren, wenn sie auch in den sozialen Medien präsent sind", sagt etwa Luitpold Klotz vom Käthe-Kollwitz-Gymnasium. Einer seiner Kollegen berichtet, dass es an seiner Schule immer einen eindeutigen Zusammenhang gab: Jedes Mal, wenn ein neues iPhone auf den Markt kam, stapelten sich im Sekretariat Smartphones der Schüler. Abgenommen, weil der Besitzer oder die Besitzerin sich im Unterricht beim Chatten, Surfen oder gar Musikhören hatte erwischen lassen. "Die Schüler haben das Telefon von uns konfiszieren lassen, einfach damit es weg war", sagt der Direktor. Dann gingen sie nach Hause, berichteten den Eltern vom Verlust - und bekamen Geld, mit dem sie zufälligerweise das aktuellere Modell erstehen konnten.

Vor Gericht wie in Berlin ist hier aber noch niemand medienwirksam gezogen. Dort stellten Richter fest, dass ein Neuntklässler nicht in seinen Grundrechten verletzt sei, wenn ihm das Smartphone für ein Wochenende entzogen wird. In Berlin ist es jeder Schule selbst überlassen, was erlaubt ist und was nicht. Auch Hamburg und Nordrhein-Westfalen zum Beispiel geben kein absolutes Verbot vor, Smartphones können dennoch eingezogen werden, wenn sie den Unterricht stören.

Und natürlich gibt es auch an Münchner Schulen Fälle, in denen Schüler ihren Lehrer filmten und das diskreditierende Video online stellten oder sich gegenseitig schickten. "Darüber muss man mit der Klasse sprechen und das muss geahndet werden", sagt Bayerns oberste Lehrervertreterin Simone Fleischmann. Diese Vorkommnisse aber rechtfertigen aus ihrer Sicht kein generelles Handyverbot. "Ein neues Gerät braucht neue Regeln", fordert Fleischmann. Aus ihrer Sicht könne das nur ein Gesamtkonzept sein, das rechtliche Sicherheit schafft und Rahmenbedingungen setzt. Geregelt werden müsse etwa, wie den Jugendlichen geholfen werde, die kein eigenes Gerät mit zum Unterricht bringen könnten, weil sie keines besitzen. "Digitale Speichermedien müssen zum integralen Bestandteil unserer Lernkonzepte werden", fordert die Präsidentin des bayerischen Lehrerverbands.

Auch in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) werden Stimmen laut, die das komplette Handyverbot in Frage stellen. "Durch das jetzige Schulgesetz blendet man die Realität der Schüler ein Stück weit aus", sagt Johannes Schiller, medienpädagogischer Berater der GEW. Und wirkungslos sei es überdies: Die meisten Jugendlichen schalteten ihr Handy stumm und benutzten es dennoch während der Schulstunden.

Statt die Geräte auszusperren, sollten Lehrer diese lieber in den Unterricht einbauen, fordert Schiller. Es gebe unzählige Möglichkeiten, ein Smartphone im Unterricht einzusetzen, bei Arbeitsgruppen etwa, in denen Schüler sich vernetzen können, bei der Recherche oder anderen Projekten. Über Probleme wie Cybermobbing, Datenschutz und Fake News müssten die Lehrer aufklären. Und wenn der Pädagoge sich mit der Technik mal weniger gut auskennt als die Schüler: "Man kann auch die Jugendlichen mal einen Aspekt erklären lassen, das ist pädagogisch sogar sehr sinnvoll", sagt Schiller.

Auch Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD), Chefin über die städtischen Realschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen würde mit sich reden lassen. "Ein Verbot alleine ist wenig hilfreich. Wir müssen sinnvollere Regelungen finden", sagt sie. Langfristig müssten sich Politik und Verwaltung ein Konzept überlegen, wie digitale Medien in den Unterricht integriert werden können und wer sie dann zur Verfügung stellt - ob es also Geräte der Schule sind oder die der Kinder. In einem viele Millionen Euro umfassenden Programm ertüchtigt die Stadt gerade die Internetleitungen an allen öffentlichen Schulen und baut die Wlan-Netze aus. Es wird Jahre dauern, bis alle Schulen dran sind. Und mit dem Ausbau alleine ist es nicht getan. Solange sich im Landtag nichts bewegt, wird am Handyverbot nicht gerüttelt - mag die Ausstattung auch noch so gut sein. Denn dort müssten die Abgeordneten über eine Änderung des Schulgesetzes beschließen. Bis dahin bleibt die Unsicherheit.

© SZ vom 02.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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