Schuldnerberater Peter Zwegat zu Finanz-Pisa:"Es ist gesellschaftsfähig, Schulden zu machen"

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Zahlt nur mit Bargeld: TV-Schuldnerberater Peter Zwegat. (Foto: Imago Stock&People)

Wie fit sind junge Deutsche beim Thema Geld? Der Pisa-Finanztest hätte das beantworten können, doch Deutschland hat nicht teilgenommen. Aus gutem Grund, vermutet TV-Schuldnerberater Peter Zwegat. Ein Gespräch über Finanz-Analphabeten, Flachbildfernseher und Auf-Pump-Käufe.

Von Johanna Bruckner

Peter Zwegat, 64, war lange Jahre als Schuldnerberater in Berlin tätig, ist Vorsitzender des Vereins Dienstleistungen für Arbeitnehmer und Betriebe (Dilab e.V.) und Protagonist der Ratgebersendung "Raus aus den Schulden" (RTL).

SZ.de: Herr Zwegat: Erinnern Sie sich, wofür Sie das erste Mal so richtig viel Geld ausgegeben haben?

Es gibt die Anekdote, dass ich mich als junger Mann für eine Fototapete verschuldet habe. Aber so richtig viel Geld? Vermutlich für mein erstes neues Auto - da war ich schon beim Fernsehen.

Im Rahmen der jüngsten Pisa-Studie wurde das Finanzwissen 15-jähriger Schüler abgefragt. Jeder Siebte war mit simplen Aufgaben wie dem richtigen Lesen einer Rechnung überfordert. Überrascht Sie das?

Nein. Ich erlebe solche Defizite auch bei Erwachsenen. Es gibt junge Leute, die nicht wissen, wie man einen Mietvertrag kündigt oder welche Kosten mit einem Kreditvertrag verbunden sind. Mein Verein hat deshalb ein Präventionshandbuch entwickelt: "Moneycare - pass auf dein Geld auf!" Darin sind Musterverträge enthalten, aber auch eine Handyrechnung. Es wird erklärt, welche Bedeutung bestimmte Textpassagen haben und worauf man achten sollte. Leider wurden bislang nur ein paar hundert Exemplare an Berliner Berufsschulen verteilt.

Pisa-Test
:Das müssen Schüler zum Thema Finanzen wissen

Eine Rechnung richtig deuten oder Kredite miteinander vergleichen: In einem Pisa-Zusatz-Test wurde das Finanzwissen 15-Jähriger abgefragt. Hätten Sie die Aufgaben bewältigen können?

Dem Schuldneratlas zufolge hat sich die Zahl überschuldeter junger Menschen unter 20 Jahren in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht. Was sind die größten Verlockungen?

Alles was mit Unterhaltungselektronik zu tun hat: Smartphones, Tablet Computer, Flachbildfernseher. Grundsätzlich finde ich es problematisch, dass heute jeder auf Pump kauft. Selbst im Baumarkt gibt es inzwischen Finanzierungsangebote. Es ist gesellschaftsfähig geworden, Schulden zu machen.

Wird die Brisanz des Themas von der Bildungspolitik unterschätzt?

Das Bewusstsein ist da, aber es fehlt am Willen, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Ich habe vor Jahren mal eine flammende Rede im Bundestag gehalten, dass wir in der Schule Unterricht zu den Themen Geld und verantwortlicher Konsum brauchen. Vertreter aller Parteien und aus der Wirtschaft waren anwesend, ich bin mit einem Stapel Visitenkarten nach Hause gegangen. "Sehr spannend, Herr Zwegat, da muss man unbedingt was machen, wir melden uns!" Auf die Anrufe warte ich bis heute. Auch mit dem Antrag für ein flächendeckendes Schuldenpräventionsprogramm an Schulen sind wir damals abgeschmettert. Begründung des Senats: Wer noch nicht 18 ist, kann sich nicht verschulden - also besteht auch keine Notwenigkeit für ein solches Projekt.

Dazu passt, dass Deutschland sich dem Finanztest bei Pisa verweigert hat.

Ich könnte mir vorstellen, dass man einen zweiten Pisa-Schock befürchtete.

Brauchen wir ein Schulfach "Finanzen"?

Es muss ja kein eigenes Fach sein. Aber Kinder und Jugendliche sollten viel stärker im Umgang mit Geld geschult und für gefährliche Mechanismen sensibilisiert werden. Warum spricht man im Fach Deutsch nicht über Werbung und deren Verführungspotenzial? Es mag heute kaum noch jemand auf platte Slogans wie "Gut und günstig" hereinfallen. Aber jeder Jugendliche ist gierig darauf, das neueste Smartphone der angesagtesten Marke zu haben. Ich verstehe finanzielle Bildung als Querschnittsdisziplin, die nicht allein auf den Mathematikunterricht beschränkt werden darf.

Gutes Stichwort: Ist der Mathematikunterricht mit schuld daran, dass viele Menschen auf Abwehr schalten, wenn es um Zahlen und ums Rechnen geht?

Mir fehlt es im Matheunterricht oftmals an lebensnahen Beispielen. Schüler lernen, wie sie die Flugkurve einer Kanonenkugel berechnen, aber nicht, was es mit Zins und Zinseszins auf sich hat. Dabei wäre mehr Praxisbezug so einfach: Warum rechnet man mit älteren Schülern nicht durch, welche Kosten bei der ersten eigenen Wohnung auf sie zukommen? Damit kann jeder Jugendliche etwas anfangen.

Wir legen unsere Geldgeschäfte in die Hände von Banken; wer es sich leisten kann, lässt seine Steuer vom Steuerberater machen. Woran liegt es, dass wir uns so ungern mit dem Thema Geld beschäftigen?

Geld ist ein Tabuthema. Selbst in der Familie. Ich erlebe immer wieder, dass Ehepartner nicht wissen, was der jeweils andere verdient. Dabei geht es nicht darum, auf den Cent genau über das Nettoeinkommen des Partners informiert zu sein. Aber ich sollte doch eine Ahnung haben, ob meine Ehefrau oder mein Ehemann nun 1500 oder 1700 Euro im Monat rausbekommt. Dann kann man auch besser abschätzen, ob die neue Küche oder ein zweites Auto drin ist.

Eine Möglichkeit, Schulden zu entkommen, ist die Privatinsolvenz. Seit dem 1. Juli ist es möglich, sie unter bestimmten Voraussetzungen in drei statt wie bisher in sechs Jahren zu absolvieren. Befürchten Sie nicht, dass diese Absenkung zum Schuldenmachen einlädt?

Zunächst muss man wissen, dass Deutschland in Sachen Privatinsolvenz ein Spätzünder ist. In anderen europäischen Ländern gibt es diese Möglichkeit schon viel länger. Insofern habe ich die Einführung eines Insolvenzverfahrens für Privatleute 1999 begrüßt. So hat der Schuldner die Chance auf ein schuldenfreies Leben und jeder Gläubiger bekommt zumindest einen Teil seines Geldes. Aber man muss auch sehen: Ganz uneigennützig waren die Gründe der Politik wohl nicht.

Wie meinen Sie das?

Ein Mensch, dem finanziell die Hände gebunden sind, fällt als Konsument aus. Der Schuldneratlas zeigt, dass die Zahl der Menschen, die lebenslang ver- oder überschuldet sind, über die vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich gestiegen ist. Das wäre irgendwann ein Problem für die Wirtschaft geworden. Denn wer hätte dann noch all die schönen Fernseher gekauft? Die Möglichkeit der Privatinsolvenz war aus politischer Sicht nicht zuletzt eine Investition in den Konsum.

Was ist der beste Ratschlag, den Sie in Sachen Geld geben können?

Immer mit Bargeld bezahlen. Und - auch wenn sich mancher etwas anderes erhofft: Reich wird man nicht, indem man Geld ausgibt, sondern indem man es behält.

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