Schulbildung:Niemand will mehr Latein lernen. Oder?

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Lateinunterricht an einem Münchner Gymnasium (Foto: Catherina Hess)
  • In den vergangenen acht Jahren hat die Anzahl der Schüler, die Latein lernen, um ein Fünftel abgenommen.
  • Das bedeutet aber nicht zwingend, dass es kein Interesse mehr am Erlernen der Sprache gibt.
  • Man müsse "Schülern und Eltern die Stärken der alten Sprachen wieder stärker bewusst" machen, fordert ein Lehrer.

Von Paul Munzinger

Die Zahlen klingen eindeutig, und zwar eindeutig nach Krise: Lernten 2008 in ganz Deutschland noch mehr als 830 000 Jugendliche Latein in der Schule, waren es 2016 nur noch 630 000. Ein Schwund von mehr als einem Fünftel in nur acht Jahren. Mancher bemühte angesichts dieser Zahlen schon Ciceros Durchhalteparole "Dum spiro spero" - solange ich atme, hoffe ich. Etwas schief bei einer Sprache, die vielen Kritikern zufolge ihr Leben schon vor Jahrhunderten ausgehaucht hat. Sind die Lateinlehrer in Deutschland mit ihrem Latein am Ende? Hat die Sprache von Caesar und Cicero keinen Platz mehr in den Schulen von heute?

Benedikt Simons, Latein- und Griechischlehrer am Erzbischöflichen Suitbertus-Gymnasium in Düsseldorf und stellvertretender Landesvorsitzender des Altphilologenverbands Nordrhein-Westfalen, warnt davor, in Alarmismus zu verfallen. Seit seinem Studium Anfang der Neunzigerjahre sei dem Lateinischen schon vielfach der Untergang prophezeit worden, bisher immer zu Unrecht.

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Auch in NRW zeigt die Statistik zwar ein dickes Minus, im aktuellen Schuljahr lernen 177 000 Schüler Latein, 2008 und 2009 waren es noch mehr als eine Viertelmillion. Doch Simons verweist auf zwei Ursachen für den jüngsten Rückgang, die die absoluten Zahlen nicht zeigen - und die nichts mit einer womöglich erkalteten Liebe zu alten Sprachen zu tun haben: Zum einen sank die Zahl aller Schüler in den letzten Jahren, die der Lateinlerner sank mit. Zum anderen zeigen die Daten keineswegs einen konstanten Abwärtstrend: Vielmehr bewegen sich die heutigen Zahlen wieder auf dem Niveau der Jahrtausendwende, in NRW ebenso wie bundesweit.

Dazwischen liegt ein starker Anstieg, ohne den der jüngste Rückgang nicht möglich gewesen wäre und nicht zu erklären ist: der seinerzeit viel bestaunte und viel beschriebene Latein-Boom, der in den Jahren 2006 bis 2008 seinen Höhepunkt erreichte. Auch für diesen Boom gab es eine Reihe von Gründen; Simons verweist etwa auf die miserablen Ergebnisse der ersten Pisa-Studie 2001, die vielen den Wert von Bildung wieder stärker vor Augen geführt hätten. Doch einer der Gründe hatte wiederum nichts mit Latein zu tun: die Einführung des achtjährigen Gymnasiums.

Auch das bayerische Kultusministerium argumentiert mit der 2003 beschlossenen (und jüngst revidierten) Reform - und erklärt: Im G 8 wurde die zweite Fremdsprache um ein Jahr vorgezogen. Weil das G 9 bis 2011 parallel weiterexistierte, gewann die zweite Fremdsprache auf einen Schlag eine ganze Jahrgangsstufe hinzu. Dazu kommen auch in Bayern sinkende Schülerzahlen, von 1,9 Millionen (2007) auf 1,7 Millionen (2016). So ergibt sich für den Lateinunterricht in Bayern eine Berg- und Talfahrt, die 2002 beginnt, 2007 den Gipfel erklimmt und 2016 wieder da ankommt, wo sie aufgebrochen war - nicht nur der absoluten Zahl nach (127 000), sondern auch dem Anteil über alle Jahrgangsstufen hinweg: 39 Prozent.

"Es ist kein Selbstläufer"

Alles nur Demografie und Struktur also? Wenn die Schülerzahlen wieder steigen, dann lernen auch automatisch wieder mehr junge Menschen Latein? So einfach sei es dann doch wieder nicht, glaubt Benedikt Simons. "Es ist kein Selbstläufer", sagt er. Der Zeitgeist, der alles auf seinen materiellen Nutzen hin überprüfe, zerre durchaus an der Bedeutung der Sprache. Es gibt ja diese Argumente, Latein helfe beim Erlernen anderer Fremdsprachen, beim Verständnis von Fremdworten, in der Universität. Alles nicht falsch, sagt Simons, aber deshalb lerne man doch nicht Latein. Latein lerne man, weil es ein Verständnis für Sprache an sich schaffe, nicht zuletzt für das Deutsche. Und weil es - ebenso wie das Griechische - die Tür öffne in eine antike Gedankenwelt, die die meisten Fragen des Lebens bereits gestellt und beantwortet habe.

"Wir müssen uns bemühen, Schülern und Eltern die Stärken der alten Sprachen wieder stärker bewusst zu machen", sagt Simons. An seiner Schule funktioniere das ziemlich gut, in den vergangenen acht Jahren sei immer ein Grundkurs zustande gekommen, nachdem es zuvor 25 Jahre lang keinen gegeben habe. Generell aber mache sich der Schwund der letzten Jahre besonders dort bemerkbar, in der Oberstufe. Ein Grund, sagt Simons: Statt drei Sprachen belegten viele Gymnasiasten heute nur noch zwei - und darunter leide Latein besonders.

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© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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