Schulanfang:Kein Grund zur Eile

Wenn Kinder erst nach dem Stichtag für die Schulpflicht sechs Jahre alt werden, können Eltern sie vorzeitig einschulen lassen. Das Interesse daran sinkt jedoch.

Von Susanne Klein

Anfang dieser Woche ist es auch in Bayern und Baden-Württemberg so weit: Wenn die Hausmeister die Schulen wieder aufschließen, ist das für die Profis unter den Schülern schlicht das Ferienende - für die Sechsjährigen aber sind es die aufregenden ersten Tage einer neuen Lebensphase. Und nicht nur für die Sechsjährigen. Manche Eltern schicken ihre Kinder schon früher in die Schule, manche später.

Die Entscheidung ist mitunter richtig schwer. In Berlin müssen Eltern ihren Max oder ihre Sofia spätestens zehn Monate vor dem ersten Schultag angemeldet haben, in Hessen ist die Frist noch länger. Fast ein Jahr, eine Ewigkeit in dem Alter. Wird Max in einem Jahr so weit sein, still sitzen, zuhören, Emotionen kontrollieren? Oder Sofia: Gehört sie mit ihrem klugen Kopf und ihrer Wissbegier nicht schon vorher ins Klassenzimmer? Das aber müssten Sofias Eltern dann schon bald nach ihrem vierten Geburtstag beschließen. Vielen kommt das wie der Blick in die Glaskugel vor.

Ob die aufgeweckte Sofia vorzeitig eingeschult wird oder nicht, hängt aber vor allem von zwei Faktoren ab: Wann das Mädchen Geburtstag hat und wo es wohnt. Feiert Sofia ihren sechsten Geburtstag im Juli, August oder September und lebt zum Beispiel in Bremen oder Hessen, wo der 30. Juni Stichtag ist, dann darf sie regulär erst im nächsten Jahr zur Schule. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Eltern einen früheren Schulbesuch beantragen, ist relativ hoch. Wohnt die Familie dagegen in Bayern oder Brandenburg, startet die Schule für Sophia schon in diesem Jahr. Dort wurde der Stichtag auf den 30. September verlegt - und so die Ausnahme der vorzeitigen Einschulung zur Regel gemacht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sophias Eltern einen Antrag stellen, sinkt dadurch.

Acht Bundesländer haben seit 2005 den Stichtag verschoben, damit die Schulanfänger jünger wurden. Darunter die vier kinderreichsten, die rund 60 Prozent der bundesweit mehr als 700 000 Erstklässler stellen. Tausende Sommerkinder galten plötzlich nicht mehr als früher eingeschult, die Statistik bekam einen Knick. Den stärksten Eingriff machte Berlin, das 2005 die Früheinschulung einführte: Alle Kinder, die bis Ende Dezember ihr sechstes Lebensjahr vollendeten, wurden schon im Sommer schulpflichtig. Nach wachsendem Elternwiderstand und immer mehr verspäteten Einschulungen ruderte die Regierung 2017 auf den 30. September zurück.

Für Kinder wie Max ist das immer noch spät. Da er noch etwas Zeit braucht, um fit für die Schule zu sein, passt Ende Juni besser zu ihm. Er ist dann in jedem Fall sechs, wenn er seine Schultüte kriegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass seine Eltern beantragen, Max ein Jahr zurückstellen zu lassen, ist in Ländern wie Berlin also relativ hoch.

Generell lässt sich sagen: Eltern haben es in Deutschland mit der Schule nicht so eilig. Vorzeitig eingeschulte Kinder werden überall seltener, auch in Ländern ohne Stichtagumstellung, und selbst im Osten, wo ihre Quote sowieso niedrig ist. Experten führen diesen Trend auf ein gesellschaftliches Umdenken zurück. Jahrelang war es in der Bildung um Schnelligkeit gegangen. Das achtjährige Gymnasium, der dreijährige Bachelor-Abschluss sind Folgen davon. Bereits in den späten Neunzigern warben Bildungspolitiker dafür, Kinder früher einzuschulen - man befand die deutschen Schüler im internationalen Vergleich für zu alt. Das machte eine Weile Eindruck auf die Eltern, doch damit ist es vorbei: Heute werden nur noch 2,5 Prozent der Kinder ein Jahr früher und 7,6 Prozent ein Jahr später eingeschult - so wie vor 25 Jahren.

Und die Wissenschaft gibt den Eltern recht: Studien aus den USA, Großbritannien und Skandinavien beweisen, dass sich Schulanfänger, die in ihren Lerngruppen zu den Ältesten gehören, intellektuell besser entwickeln als Kinder, die zu den Jüngsten gehören. Noch Jahre später war dieser Effekt da. Demnach besteht zur Eile wirklich kein Grund.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: