Schüleraustausch:Abschied vom Abenteuer

Kanada, Argentinien, USA: Viele Jugendliche erfüllten sich auch in diesem Schuljahr den Traum vom Ausland. Dann kam Corona, und die große Welt wurde sehr klein.

Von Imke Plesch

Austauschschüler zu Corona, AUSSCHLIE?LICH FÜR DEN ARTIKEL VON IMKE PLESCH,04.05.2020, Hochschule

Matilda Bröge mit ihrer amerikanischen Gastschwester.

(Foto: privat)

Als die Nachricht auf ihrem Handy auftaucht, dass sie zurück nach Deutschland muss, muss Matilda Bröge erst mal nur noch weinen. "Ich fand's richtig schlimm", erzählt die 16-Jährige am Telefon.

Im Juli 2019 war sie für ein Schuljahr in die USA gereist, lebte in einer Gastfamilie in der Nähe von Atlanta. "Zwischen uns hat es total gut gepasst", erzählt Matilda. Auch in der Schule gefällt es ihr, vor allem im Musical-Kurs findet sie Freunde. Die Rückreise nach Deutschland war für den 30. Juni geplant. Bis dahin wollte sie noch ein Stück mit dem Musical-Kurs aufführen, beim Prom, dem Abschlussball, das Ende des High-School-Jahres feiern und mit ihrer Gastfamilie nach Florida reisen. Doch Mitte März teilte ihr ihre Austauschorganisation mit, dass ihr Programm aufgrund der Corona-Pandemie vorzeitig beendet wird.

"Der Abbruch aller Programme war eine der schwersten Entscheidungen, die man als Organisation treffen kann, die sich für den Kontakt und Austausch von Menschen auf der ganzen Welt einsetzt", erklärt Susanne Kordasch von Youth For Understanding (YFU), einer gemeinnützigen Jugendaustausch-Organisation, mit der auch Matilda in den USA war. Trotzdem entschließt sich das internationale YFU-Netzwerk am 15. März zu diesem Schritt.

Aus Deutschland sind zu diesem Zeitpunkt 800 Schülerinnen und Schüler mit YFU in einem anderen Land, rund 450 ausländische Jugendliche befinden sich in Deutschland. "Es war ein unvergleichlicher logistischer Kraftakt, aber wir haben das Gefühl, dass wir einen guten Zeitpunkt gewählt haben, um die Rückreise zu organisieren", sagt Kordasch. Mitte März gibt es noch viele Linienflüge. Etwa 60 Jugendliche können trotzdem nur durch die Rückholaktion des Auswärtigen Amtes nach Deutschland kommen. AFS Interkulturelle Begegnungen, eine weitere Organisation für weltweiten Schüleraustausch, chartert sogar ein Flugzeug, das 300 Jugendliche aus den USA nach Europa bringt. Finanziell bedeutet der Programmabbruch für gemeinnützige Vereine wie YFU und AFS eine große Unsicherheit. Ob und in welcher Form die Organisationen im Schuljahr 2020/2021 Austauschprogramme anbieten können, ist zurzeit noch völlig offen.

Matilda Bröge überlegte zunächst, auf eigene Faust in den USA zu bleiben. "Meine Gastfamilie meinte, es sei doch viel unsicherer, jetzt um die halbe Welt zu fliegen, als einfach bei ihnen zu bleiben", erzählt sie. Doch ihre Eltern, daheim am Rand von Berlin, machen sich Sorgen - gemeinsam entscheiden sie sich für den Rückflug. Die Schulen in den USA sind da bereits geschlossen. "Ich saß dort nur noch zu Hause und alles, was ich in dem Jahr noch machen wollte, war sowieso abgesagt." Am 27. März fliegt Matilda nach Hause.

Auch Amelie Dörr muss ihr Austauschjahr abbrechen, das sie mit YFU in Moncton in Kanada verbracht hat. "Die Ungewissheit war schlimm, zwischen der Nachricht, dass das Programm abgebrochen wird, und meinem Rückflug." Sehr gestresst, traurig und überfordert sei sie gewesen, erzählt die 16-Jährige Berlinerin. So viele Dinge mussten in kurzer Zeit plötzlich noch erledigt werden. Da in Kanada sehr schnell eine komplette Ausgangssperre verhängt wird, kann Amelie sich nicht von allen Freunden verabschieden.

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Amelie Dörr musste ihren Aufenthalt in Kanada vorzeitig abbrechen.

(Foto: privat)

Besonders heftig trifft es Riona Rochell, die in der Nähe von Celle wohnt und mit AFS Interkulturelle Begegnungen in Argentinien war. "Im März war ich auf einem viertägigen Camp in Uruguay mit anderen Austauschschülern. Am letzten Abend haben die Mitarbeiter der Organisation uns gesagt, dass AFS alle Programme abbricht. Da haben dann alle 30 oder 40 Jugendlichen gleichzeitig angefangen zu heulen und versucht, ihre Eltern zu erreichen." Als Riona am Tag darauf wieder zurück zu ihrer Gastfamilie nach Argentinien fährt, hat das Land eine komplette Ausgangssperre verhängt. Am 28. März fliegt sie von Mendoza nach Buenos Aires, wo sie noch vier Tage im Hotel auf ihren Flug nach Deutschland warten muss. Am 29. März verbringt sie ihren 16. Geburtstag alleine im Hotelzimmer. "Die letzten Monate des Austauschjahres sind ja eigentlich die schönsten", sagt Riona: "Ich konnte endlich genug Spanisch, um mich richtig auszudrücken und wirklich mit meinen Freunden dort zu unterhalten. Ich wollte meinen Geburtstag dort feiern. Ich habe mich einfach so wohlgefühlt. Wenn ich wenigstens noch einen Monat länger hätte bleiben können!"

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Riona Rochell, hier in Patagonien, musste aus Argentinien abreisen und ihren Geburtstag alleine im Hotel am Flughafen verbringen.

(Foto: privat)

Der Abbruch hat auch Amy Klut sehr getroffen, die in den Niederlanden war. "Von einem Tag auf den anderen mein Austauschjahr zu beenden und nach Hause zu fahren war ein Schock für mich", sagt die 17-Jährige. "Ich mochte mein Leben in den Niederlanden so gerne." Was ihr besonders zu schaffen macht: dass sie die "letzten Male" nicht bewusst erleben konnte: der letzte Schultag, das letzte Mal mit dem Fahrrad von der Schule nach Hause fahren.

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Amy Klut (l.) verabschiedet sich am Flughafen von einer befreundeten Austauschschülerin - und von ihrem Austauschjahr in den Niederlanden.

(Foto: privat)

Wieder zurück bei ihrer Familie in Rostock zu sein, ohne Schule und mit den coronabedingten Ausgangsbeschränkungen, fühlt sich für Amy "sehr merkwürdig" an. Sie ist nach der 10. Klasse in die Niederlande gegangen und will nach den Sommerferien in der 11. Klasse weitermachen. Trotzdem hat ihr ihre deutsche Schule jetzt ein paar Aufgaben zum Schulstoff der 10. Klasse geschickt, die sie machen soll.

Riona Rochell versucht, bis zu den Sommerferien noch den Stoff der 11. Klasse nachzuarbeiten, um - anders als geplant - vielleicht doch mit ihrem alten Jahrgang in der 12. Klasse weitermachen zu können.

Amelie Dörr nimmt lieber weiter am Online-Unterricht ihrer kanadischen Schule teil. "Ich bin dort sehr gerne zur Schule gegangen", erzählt sie. "Mit dem Online-Unterricht habe ich jetzt immer noch einen kleinen Teil von Kanada bei mir." Über Social Media und Videotelefonate halten Matilda, Amelie, Riona und Amy weiter Kontakt zu ihren Gasteltern und Freunden im Austauschland. Gleichzeitig können sie ihre Freunde in Deutschland erst nach und nach wiedersehen. "Wir telefonieren und schreiben immer noch viel - es fühlt sich eigentlich weiter so an, als ob ich noch in den USA wäre", erzählt Matilda.

Doch auch wenn die Trauer groß ist: Matilda, Amelie, Riona und Amy sind wieder bei ihren Familien. Manche Austauschschüler aber, die nach Deutschland gekommen sind, sind immer noch da; YFU etwa sprach Mitte April von 80 betroffenen Jugendlichen. Sie konnten ihre Rückreise nicht antreten, weil einige Länder derzeit nicht angeflogen werden oder Einreisestopps verhängt haben. So ist es auch bei der 17-jährigen Valeria aus Bolivien, die zur Zeit bei Familie Kleine-Altekamp in Mönchengladbach lebt. Da Valeria erst seit wenigen Wochen dort ist, hat sie kaum Freunde, mit denen sie sich treffen könnte, erzählt ihre Gastmutter Brigitte Kleine-Altekamp. Cafés und Geschäfte sind geschlossen. "Die große Welt", sagt Kleine-Altekamp, "ist auf einmal sehr klein geworden." Immerhin: Das Warten auf die Heimreise hat für Valeria ein Ende. An diesem Montag fliegt sie zurück nach Bolivien.

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