Süddeutsche Zeitung

Migration:Eine kleine Änderung im Ausweis mit großen Folgen

Wie werden Kinder mit Migrationshintergrund besser in der Schule? Eine Studie zeigt: Es macht bereits einen enormen Unterschied, ob sie rein formell als Deutsche oder Ausländer zur Welt kommen.

Von Bernd Kramer

Im Sommer trat der Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann eine kurze, aber heftige Debatte los. "Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen", sagte er. Für manchen klang das wie ein Vorwurf an die migrantische Community - auch wenn Linnemann schnell hinterherschob, es nicht so gemeint zu haben. Das Thema jedenfalls war damit gesetzt: Nächste Woche will die CDU auf ihrem Parteitag über verpflichtende Sprachtests vor der Einschulung abstimmen.

Viel wird darüber gestritten, was die Bildungschancen von Migranten verbessert. Mehr Vorschulunterricht? Gemischtere Klassen? Gar ein Kopftuchverbot? Eine neue Studie des Ifo-Instituts zeigt nun, dass ein Punkt den Schulerfolg bestimmt, von dem man es im ersten Moment nicht unbedingt vermuten würde: die Staatsangehörigkeit, welche die Behörden bei der Geburt vermerken.

Mehr als ein Jahrhundert lang galt in Deutschland das Abstammungsprinzip: Die Nationalität der Eltern bestimmt auch die der Kinder. Gegen heftigen Widerstand reformierte die damalige rot-grüne Bundesregierung das Staatsbürgerschaftsrecht: Seit dem 1. Januar 2000 bekommen Zuwandererkinder nun automatisch den deutschen Pass, wenn ihre Eltern lange genug im Land waren.

Mit einem Mal erblickte ein großer Teil der Kinder von Migranten als deutsche Staatsbürger das Licht zur Welt. Für die Ifo-Ökonomen war die Reform ein willkommenes natürliches Experiment, wie es im Jargon der Sozialforschung heißt. Sie verglichen Migrantenkinder miteinander, die jeweils in den sechs Monaten vor und nach dem 1. Januar 2000 geboren wurden - die also dieselben Klassen besuchten und sich im Prinzip nur darin unterschieden, ob die deutsche Staatsangehörigkeit in ihrer Geburtsurkunde vermerkt war oder nicht. Und siehe: Die Schülerinnen und Schüler, die kurz nach dem Stichtag zur Welt gekommen waren, besuchten häufiger einen Kindergarten, sprachen bei der Einschulung besser Deutsch und wechselten eher aufs Gymnasium.

Das neue Staatsbürgerschaftsrecht entpuppte sich als unverhofftes Bildungsprogramm - ähnlich wirksam sogar wie eine Vorschulpflicht oder Förderkurse, nur viel billiger. "Die Verleihung der Staatsbürgerschaft kostet nichts, außer ein paar wenige bürokratische Handgriffe und vielleicht die Tränen einiger Politiker", sagt Studienautorin Christina Felfe.

Bloß warum wirkt sich der Pass auf das Lernen aus? "Die Staatsbürgerschaft öffnet den Kindern die Tore zur Gleichberechtigung, sie genießen dieselben Rechte und Pflichten und somit ähnliche Chancen wie ihre deutschen Mitschüler. Das dürfte die Eltern motivieren, sich mehr um deren Bildung zu bemühen", vermutet Felfe. Der kleine Eintrag in den Papieren ist ein Signal mit großer Wirkung: Ihr gehört dazu, dieses Land will euch.

Vielleicht sollten Politiker das bedenken, wenn sie sich das nächste Mal über Parallelgesellschaften beklagen. "Die deutsche Staatsbürgerschaft", hatte vor zwei Jahren der inzwischen bildungsbesorgte CDU-Wirtschaftsexperte Linnemann gesagt, "ist ein Wert für sich und sollte am Ende der Integration stehen und nicht am Anfang."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4682127
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.