Schüler-Attacken im Internet:"Mobbing im Netz endet nie"

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Das Internet mit seinen sozialen Netzwerken ist aus dem Schülerleben nicht mehr wegzudenken. Doch damit verlagert sich Mobbing vom Schulhof auch ins Netz. Eltern und Lehrer sind damit ebenso ratlos wie überfordert. Diese Art der Schikane ist besonders schwer zu kontrollieren. Der Psychologe Torsten Porsch will früher ansetzen und hat ein Präventionsprogramm für Klassen entwickelt.

Johann Osel

Schüler sind heute im Internet quasi zu Hause - Mobbing verlagert sich vom Schulhof auch ins Netz. Gut ein Drittel aller Jugendlichen war laut Umfragen schon mal Opfer von Cybermobbing. Diese Art der Schikane ist besonders schwer zu kontrollieren. Viele Lehrer und Eltern sind damit überfordert. Ein Team um den Psychologen Torsten Porsch von der Universität Münster hat ein Trainings- und Präventionsprogramm für Klassen entwickelt: "Surf Fair", erschienen im Beltz-Verlag.

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SZ: Mobbing auf dem Pausenhof gab es immer schon. Wird die Debatte um Cybermobbing nicht zu hektisch geführt?

Torsten Porsch: Zwischen Mobbing und Cybermobbing lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten feststellen. Auf jeden Fall ist beides ein verbreitetes Phänomen, wir erkennen gleiche Rollen - Täter, Opfer, Wegschauer, ratlose Akteure, die zu helfen versuchen, oder Anstachler, die den Täter noch bestärken in seinem Tun. Mobbing im Internet hat aber potentiell eine viel größere Reichweite und eine höhere Geschwindigkeit. Daraus ergibt sich die Frage, wie eine Debatte geführt werden muss. Ich finde, weder hektisch noch ruhig, sondern angemessen.

SZ: Welche Unterschiede gibt es?

Porsch: Auf dem Schulhof bekommen das Mobbing die Umstehenden und vielleicht die Klasse mit, online möglicherweise jeder. Da tritt schnell ein Kontrollverlust ein, was einmal im Internet unterwegs ist, kann man kaum wieder einfangen. Das unterschätzen auch die Täter: Am Anfang kann es nur ein Spaß sein, und dann entwickelt die Sache aber eine eigene Dynamik, weil auch andere mitmischen. Da steht eine Schikane, Beleidigung oder Beschimpfung bei Facebook auf der Pinnwand und es werden immer mehr, die Schärfe kann rauer werden.

SZ: Aber Gerüchte in sozialen Netzwerken lassen sich doch einfacher ignorieren, als wenn man auf dem Schulhof die Nase blutig geschlagen bekommt?

Porsch: Studien zeigen zum Teil das Gegenteil, nämlich dass Cybermobbing, etwa wenn es mit Bildern und Videos ausgeübt wird, als weitaus schlimmer empfunden werden kann. Beim physischen Mobbing gibt es einen Schutzraum - sobald der Schüler zu Hause ist. Wenn Mobbing im Netz stattfindet, endet das nie, zu keiner Uhrzeit. Auch wenn ein Opfer es ignoriert, weiß es, was da steht. Und anders als bei einem Tritt gegen das Schienbein, sieht man nicht unbedingt, wer der Täter ist oder wie viele Täter es gibt, was die Mobbenden über einen wissen, ob gar jemand aus dem direkten Umfeld dabei ist. Kurzum: man weiß nicht, wem man noch trauen kann. Die meisten Jugendlichen sind heute extrem in der digitalen Welt angebunden. Zu sagen, dass man daran nicht mehr teilnimmt, würde für viele einen großen Teil ihrer Lebenswirklichkeit massiv einschränken.

SZ: Warum werden Grenzen im virtuellen Raum leichter überschritten?

Porsch: Es ist eben so, dass der Täter die emotionale Reaktion der Opfer nicht unmittelbar mitbekommt, er agiert im Verborgenen. Aus seiner scheinbaren Anonymität heraus traut er sich mehr, er muss nicht gleich dafür einstehen, muss niemanden etwas ins Gesicht sagen.

SZ: Besteht nicht die Gefahr, dass einfach eine Retourkutsche gefahren wird?

Porsch: Ja, und das erleben wir auch häufig in Klassen. Da kommt die Aussage: Wenn mich jemand beschimpft, bekommt er das doppelt zurück. Das schaukelt aber die Situation nur auf und hilft weder den Opfern, noch stoppt es die Täter. Wie kontraproduktiv das ist, erkennen die Schüler bei unserem Präventionsprogramm meist sehr schnell selbst.

SZ: Wozu dient das Programm genau?

Porsch: Medienkompetenz ist zwar ein wichtiger Bestandteil in den Lehrplänen, aber ganz wenig praktisches, konkretes Material liegt vor, mit dem Lehrer gezielt arbeiten können. Hinzu kommt, dass sich die Schüler in einem Bereich bewegen, der vielen Lehrern nicht oder nur schemenhaft vertraut ist. Wenn ich als Pädagoge soziale Netzwerke nicht nutze, traue ich mich kaum, das Thema in den Unterricht hineinzutragen. Es braucht aber Lösungen, die zur Lebenswirklichkeit der Schüler passen. Auch viele Eltern haben hier Schwierigkeiten.

SZ: Wie funktioniert es konkret ?

Porsch: Es zielt auf Schüler der Klassen fünf bis acht, da wir festgestellt haben, dass danach ein Höhepunkt an Cybermobbing-Fällen stattfindet. Und Prävention sollte schließlich vorher ansetzen. Grundprinzip ist, kurz erklärt, ein Impulsfilm über einen Mobbingfall. Der Film stoppt an einer Stelle, wo eine Lösung für das Problem kommen müsste. Lehrer leiten Schüler dann dazu an, sich in die Handlung hineinzuversetzen und nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

SZ: Wie reagieren die Lehrer? Und nehmen die Schüler das ernst oder sagen sie: Im Web kenn ich mich eh aus, da braucht es keinen erwachsenen Oberlehrer?

Porsch: Der Bedarf bei den Lehrern ist enorm, immer mehr Schulen entdecken das Thema, auch veranlasst durch akute Fälle. Bei den Schülern ist es so, dass sie mit dem Programm ja selber in die Expertenrolle für die Lösung gehoben werden, deswegen machen sie mit. Vermitteln muss man ihnen allerdings, wie wichtig es ist, sich als Opfer Erwachsenen anzuvertrauen und das digitale Mobbing nicht zu löschen, sondern zu sichern. Auch für eine mögliche Anzeige.

SZ: Lehrer raten teils, sich generell aus sozialen Netzwerken fernzuhalten oder nur anonym aufzutreten. Wie viel Datenschutz ist angemessen?

Porsch: Der bewusste Umgang mit dem Internet schützt vor vielen Gefahren, auch etwa vor Betrug. Zugleich muss man aber, um teilhaben zu können, immer ein Stückchen von sich preisgeben. Wir versuchen zu vermitteln, dass sich Schüler Gedanken über die Tragweite ihrer Online-Aktivität machen. Da gibt es viel zu tun: In Klassen fragen wir, wer ein Profil bei SchülerVZ hat. Dann gehen fast alle Finger hoch. Auf die Frage, wer es mit dem Beamer an der Wand zeigen will, sind sie skeptisch. Man sieht hier, dass vielen nicht bewusst ist, wie publik ihre Inhalte im Internet sind.

© SZ vom 26.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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