Richter wegen verkaufter Examen vor Gericht:30 000 Euro für ein Klausuren-Paket

Prozessbeginn gegen einen Richter wegen Bestechlichkeit

Die deutsche Justiz gegen einen der ihren: der Angeklagte Jörg L. (Mitte) zwischen seinen Anwälten Johannes Altenburg (links) und Oliver Sahan (rechts).

(Foto: dpa)
  • In Lüneburg hat der Prozess gegen einen Richter begonnen, der im großen Stil Lösungsskizzen für das zweite juristische Staatsexamen verkauft haben soll.
  • Ihm wird Bestechlichkeit im besonders schweren Fall, Verletzung des Dienstgeheimnisses und versuchte Nötigung vorgeworfen.
  • Offenbar sprach der frühere Referatsleiter im niedersächsischen Justizprüfungsamt gezielt Rechts-Referendare an, die bereits durch die Examensprüfung gefallen waren. Für Klausuren-Pakete verlangte er bis zu 30 000 Euro.

Von Thomas Hahn, Lüneburg

Der erste Tag des Prozesses gegen den Richter Jörg L. wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit im besonders schweren Fall ist auch für Volker König eine besondere Herausforderung. Volker König ist einer der Pressesprecher im Landgericht Lüneburg. Er hat einen Andrang von Journalisten abzuarbeiten, der ungewöhnlich ist für sein Haus, und er tut dies mit Charme, sogar einer gewissen Heiterkeit. Vor der Verhandlung in Saal 121 steht er im Gang auf einem Stuhl und klärt über die Rechte und Pflichten der Medienvertreter bei der Verhandlung auf ("Kein Abspielen schmutziger Gesänge"). Und nachdem später am Vormittag die Anklage verlesen ist, muss er sich bei den verschiedenen Fernsehinterviews immer wieder selbst unterbrechen und noch mal neu anfangen, damit das Publikum in geraden Sätzen erklärt bekommt, worum es in diesem aufsehenerregenden Fall überhaupt geht.

Es geht um viel, um die Glaubwürdigkeit der deutschen Justiz. Denn der Angeklagte Jörg L. soll als Referatsleiter im niedersächsischen Justizprüfungsamt in Celle Lösungsskizzen für das zweite Staatsexamen an Rechts-Referendare und -Referendarinnen verkauft haben. Wenn Vertreter des Rechts selbst vor Gericht stehen, wirkt das immer wie eine etwas schräge Laune des rechtsstaatlichen Alltags, weil man doch denken sollte, dass diese Leute ein besonderes Empfinden für die Grenzen im Paragrafen-Dschungel besitzen.

Aber nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Verden soll Jörg L. ja nicht nur einfach irgendwie gegen das Gesetz verstoßen haben. Als Referatsleiter soll er die wichtigste Qualitätskontrolle des deutschen Rechtssystems unterwandert haben. Er soll den Anspruch der juristischen Prüfungsordnung verkauft haben. Das zweite Staatsexamen ist die entscheidende Hürde auf dem Weg in den Beruf als Richter oder Anwalt. Die Note entscheidet über die Qualität des Jobs, und wer die Hürde nicht nimmt, hat über Jahre mehr oder weniger umsonst Jura studiert.

Ein unmoralisches Angebot

Der Fall L. rührt daher an Selbstverständnis und Stolz des nationalen Rechtswesens. "Da wird sich die Justiz nicht nachsagen lassen, dass sie das lasch angeht", sagt Lutz Gaebel, Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Mit allen erlaubten Mitteln ist die Staatsanwaltschaft deshalb jener Anzeige nachgegangen, die Anfang des Jahres eine Examenskandidatin erstattet hatte, nachdem ihr ein Repetitor aus Hamburg ein unmoralisches Angebot gemacht hatte. Mit der Anklageschrift verlas Oberstaatsanwalt Marcus Röske unter anderem den Inhalt diverser SMS, in denen L. offensichtlich Lösungsansätze fürs Examen an seine Kundschaft weitergab. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft in elf Fällen Anklage erhoben wegen Bestechlichkeit, Verletzung des Dienstgeheimnisses und versuchter Nötigung; in sechs Fällen geht es um Bestechlichkeit im besonders schweren Fall.

Der Hergang soll dabei immer ähnlich gewesen sein: L. sprach Referendare und Referendarinnen an, die schon einmal durch das zweite Staatsexamen gefallen waren und deshalb unter Druck standen. Er nannte fünfstellige Summen bis zu 30 000 Euro als Preis für ganze Klausuren-Pakete und machte Kompromisse, wenn die Leute nicht so viel Geld hatten. Laut Anklage soll L. seiner Kundschaft teilweise mit einer Anzeige wegen übler Nachrede gedroht haben, falls sie ihn verraten würde.

48, Güstrow, verheiratet

Der Fall hat in Ansätzen sogar Roadmovie-Qualität, denn L. ging im Frühjahr den polizeilichen Ermittlungen aus dem Weg, indem er sich nach Italien absetzte. Dort wurde er in einem Mailänder Vier-Sterne-Hotel gefasst, mit 30 000 Euro in bar, einer geladenen Pistole sowie Munition für 47 Schuss. Oberstaatsanwalt Röske erinnerte daran, als er begründete, warum er L. gegen einen entsprechenden Antrag seiner Anwälte weiter in U-Haft behalten wolle. Es bestehe Fluchtgefahr.

Dem Richter drohen bis zu zehn Jahren Haft

Jörg L. ist ein schlanker Mensch mit Bart und erstem Silberschimmer im dunklen Haar. Grauer Anzug, blaues Hemd. Er macht keinen sehr angespannten Eindruck, allerdings ist von ihm auch nicht viel zu hören, im Grunde nur eine Zahl und zwei Worte: "48", "Güstrow", "verheiratet". Alter, Ort, Familienstand. Jörg L. lässt ausrichten, dass er keine weiteren Angaben machen werde, und natürlich haben seine Hamburger Anwälte Oliver Sahan und Johannes Altenburg Anträge vorbereitet, damit die Verhandlung nicht direkt Fahrt aufnimmt.

Sie wenden sich gegen Richterin Philipp aus "Besorgnis der Befangenheit", weil sie selbst auch zehn Jahre lang nebenberuflich für Niedersachsens Justizprüfungsamt tätig war, worauf Sabine Philipp allerdings selbst vorher hingewiesen hatte. Die L.-Anwälte mahnen mehr Akteneinsicht an. Sabine Philipp verteilt CDs mit digitalisierten Akteninhalten. Den Befangenheitsantrag stellt sie zurück. Die Vertreterkammer wird spätestens bis zum übernächsten Verhandlungstag darüber befinden.

Es geht schleppend los in diesem Prozess. Schon der erste Zeuge, der um Viertel nach eins aufgerufen war, ist nicht pünktlich zur Stelle, weil er "Probleme mit der Deutschen Bahn" habe, wie Richterin Philipp sagt. Die nächste Unterbrechung, weiter um zwei. Dann lehnt die Verteidigung die Vernehmung des Zeugen ab. Dann ist der Zeuge da. Dann muss Sabine Philipp noch mal unterbrechen.

Jörg L. kann es recht sein: Je weniger passiert vor den gut besuchten Presseplätzen, desto weniger Profil bekommt seine Geschichte zum Auftakt. Aber sein seltsames Geschäftsgebaren wird schon noch zur Geltung kommen. Auf 56 Tage ist der Prozess angelegt, Jörg L. drohen bis zu zehn Jahre Haft. Der nächste Termin ist am 30. Dezember.

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