Rechtsextremismus:Kinder, die Hakenkreuze kritzeln

Sie tragen Thor-Steinar-Kleidung oder spielen nicht mit Dunkelhäutigen: Kinder rechtsextremer Eltern überfordern viele Erzieher. In Seminaren lernen die Pädagogen den Umgang mit Provokationen.

Von Antonie Rietzschel

Mit einem Stift malt der Junge Striche auf das Papier - bis aus einem harmlosen Muster ein Hakenkreuz wird. Der Junge ist vier Jahre alt und geht in einen Kindergarten in Hessen. Als eine Erzieherin die Zeichnung sieht, erschrickt sie. Soll sie es ignorieren? Mit dem Kind schimpfen? "Du darfst das nicht", entfährt es ihr.

Rechtsextreme Eltern und ihr Nachwuchs sind zu einer Herausforderung für Erzieher in ganz Deutschland geworden. "Vor gut einem Jahr haben die entsprechenden Fachkreise begonnen über diese Problematik zu diskutieren", sagt Heike Radvan, Erziehungswissenschaftlerin und Mitarbeiterin bei der Amadeu-Antonio-Stiftung. Sie beobachtet das Phänomen schon seit 2010, als Rechtsextreme in Mecklenburg-Vorpommern versuchten, Kindergärten zu unterwandern. Mittlerweile gibt es mehrere Fortbildungsmöglichkeiten für Erzieher.

Warum die Debatte jetzt aufkommt? Heike Radvan erklärt das damit, dass es mittlerweile immer mehr überzeugte Rechtsextremistinnen gebe, die sich nicht mehr auf die Rolle der unpolitischen Neonazi-Freundin beschränken wollten. "Sie sind strategisch wichtig für die Szene", sagt Radvan. Die Gründung einer Familie sei in der rechtsextremen Szene besonders wichtig, am besten mit so vielen Kindern wie möglich - ganz im Sinne der völkischen Idee.

Diese Kinder wachsen in einem autoritären Umfeld auf und machen nicht selten Erfahrungen mit Gewalt. Von ihren Eltern lernen sie, dass es Menschen gibt, die es nicht wert sind, zu leben, weil sie eine Behinderung oder eine andere Hautfarbe haben. Rassistische oder antisemitische Kinderbücher - auch aus der NS-Zeit - und Brettspiele gibt es im Internet oder auf Flohmärkten zu kaufen. Einige Kinder werden bei speziellen Ausflügen regelrecht zu Neonazis gedrillt (Journalistin Andrea Röpke hat ausführlich über die mittlerweile verbotene Heimattreue Deutsche Jugend berichtet).

In den Kindertagesstätten haben es die Erzieher mit sehr unterschiedlichen Kindern aus diesem Milieu zu tun: Die einen sind besonders ruhig und geben keine Antwort auf die Frage, was sie denn am Wochenende gemacht haben, weil ihnen Schweigen auferlegt wurde. Die anderen tragen die Ideologie der Eltern offen in die Kita. Rufen "Igitt", wenn ein dunkelhäutiges Kind auf einer Memory-Karte auftaucht oder kommen im Thor-Steinar-Shirt in den Kindergarten. Die Erzieher geraten dabei in eine schwierige Situation: Einerseits wollen sie die Kinder nicht ausgrenzen, andererseits wollen sie die anderen Kinder und deren Eltern schützen. Bei einer Konfrontation mit den rechtsextremen Müttern und Vätern befürchten sie zudem, selbst bedroht zu werden.

Diesen einen Jungen retten

Eva Prausner kennt diese Ängste. Im Rahmen des Projektes "Eltern stärken" bietet sie seit vergangenem Jahr Seminare für Erzieher aus Berlin und Brandenburg an, weil es zunehmend Nachfragen aus Kindertagesstätten gibt. Den Erziehern waren bei Eltern umstrittene Symbole wie Runen-Tattoos oder Zahlencodes auf T-Shirts aufgefallen. Ein Kursteilnehmer erzählte ihr, dass ein rechtsextremes Elternpaar forderte, keine Fotos zu machen, auf denen das eigene Kind mit einem Kind anderer Herkunft zu sehen sei. "Es ist besonders wichtig, dass sich der Kindergarten ein Leitbild gibt. Also sich darauf festlegt, dass rechtsextreme Ideologie nichts in der Einrichtung zu suchen hat. Dies muss auch den Eltern kommuniziert werden", sagt Prausner. Manche Kitas hätten sich sogar mittlerweile entsprechende Hausordnungen gegeben.

In ihren Kursen lässt Prausner konkrete Szenen durchspielen. Was tun, wenn ein Kind sich weigert, mit einem farbigen Kind zu spielen? Es sogar in dessen Beisein als "dreckig" bezeichnet? "Eine Möglichkeit wäre, ein kleines Gruppenspiel zu spielen, bei dem man die Unterschiede aller Kinder benennt: Lotta hat besonders lange Haare, Martin besonders blaue Augen." So stelle man heraus, dass alle Kinder verschieden seien, aber deswegen nicht weniger wert. Gleichzeitig könne man damit der rechtsextremen Ideologie der Eltern leicht entgegensteuern, ohne zu großen Druck auf das Kind auszuüben

In Hessen suchen die Erzieher angesichts des Hakenkreuz malenden Jungen Hilfe. Sie kommt in Form von Anne Wilmers, Mediatorin des Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus. "Am Anfang war es ihnen wichtig, dass niemand etwas mitbekommt. Sie hatten Angst, dass andere Eltern ihre Kinder abmelden", sagt sie. Doch die wissen längst Bescheid - auch andere Kinder ahmen das Verhalten des Jungen nach, malen zu Hause Hakenkreuze. Die Eltern wissen, was los ist und sie wollen eine Strategie. Es soll nicht mehr darum gehen, den Ruf der Einrichtung zu retten, sondern diesen einen Jungen.

Anderthalb Jahre versuchen sich die Erzieher gemeinsam mit Mediatorin Willmers an dieser Aufgabe. Sie schenken offensichtlichen Provokationen nicht mehr durch Empörung Aufmerksamkeit. Malt der Junge mal wieder ein Hakenkreuz, erklären sie im gelangweilten Ton, dass das nicht gehe. Das macht es für den Jungen nicht mehr so reizvoll. Nach einem Gespräch mit den Eltern verbessert sich die Situation, jedoch nur kurz. "Dann ist das richtig eskaliert", erzählt Wilmers.

Der Junge beginnt die Kinder mit Behinderung oder einer anderen Herkunft zu mobben, bestimmt wer mit wem spielen darf, ist aggressiv. Eltern berichten, dass ihre Kinder Angst davor haben, in die Kita zu kommen. Einige Erzieher wollen den Job wechseln. Die Leitung greift zum letzten Mittel: Kündigung. Als der Mutter die Entscheidung mitgeteilt wird, ist die erschüttert und verspricht ein letztes Mal Besserung. "Ich weiß nicht, wie die Eltern das gemacht haben, aber schlagartig verbesserte sich die Situation", sagt Wilmers. Der Junge sei dann auch von den anderen Kindern angenommen worden.

Als Außenstehender in die Familien zu schauen, ist schwierig. "Die Kinder wachsen teils in geschlossenen Familienverbänden auf", sagt Erziehungswissenschaftlerin Heike Radvan. Manche würden ihre Ideologie nach außen hin völlig verbergen. Alles, was Heike Radvan, Eva Prausner oder Anne Wilmers über das Familienleben und rechtsextreme Erziehung wissen, haben sie von Aussteigern erfahren.

Diese sind Radvan zufolge der beste Beweis dafür, dass Kinder nicht zwangsweise wie ihre Mütter oder ihre Väter enden: "Nur weil die Eltern rechtsextrem sind, heißt das nicht, dass sich auch die Kinder zwangsweise so entwickeln müssen." Einige wandelten sich aufgrund der strengen Erziehung genau zum Gegenteil. Vielleicht gibt es ja noch Hoffnung für den Jungen aus Hessen.

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