Süddeutsche Zeitung

Rechtschreibung:"Schultigu fü die faschpetuk"

Entschuldigung für die Verspätung? Auch die besten Korrekturprogramme können aus einem Buchstabensalat keine Wörter machen. Rechtschreibung zu lernen bleibt daher wichtig, sagt Didaktik-Professorin Julia Knopf.

Interview von Susanne Klein

Als Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) vor einigen Tagen über den Stellenwert des Rechtschreibunterrichts sprach, war die Aufregung groß. "Die Bedeutung, Rechtschreibung zu pauken, nimmt ab, weil wir heute ja nur noch selten handschriftlich schreiben. Wir haben ja kluge Geräte, die uns die Grammatik und die Fehler korrigieren", hatte der frühere Gymnasiallehrer gesagt. Seine eigene Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU), ihre Kollegin auf Bundesebene, Anja Karliczek (CDU), die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Stefanie Hubig (SPD), Lehrer, der Rat für deutsche Rechtschreibung - alle protestierten. Dabei fielen große Worte: Schlüsselqualifikation, Kulturgut, Grundkompetenz. Doch warum eigentlich? Ein Gespräch mit Julia Knopf, Professorin für Fachdidaktik Deutsch in der Grundschule.

SZ: Frau Knopf, Winfried Kretschmann hat viel Widerspruch für seine Ansichten erfahren. Können Sie ihn verteidigen?

Julia Knopf: Nein. Dass die Rechtschreibung an Bedeutung verliert, weil wir weniger mit der Hand schreiben, ist Unsinn. Orthografie spielt für das Schreiben in den digitalen Medien genauso eine Rolle. Die Frage ist doch: Brauchen wir Rechtschreibung generell, egal ob analog oder digital?

Und die Antwort?

Wir brauchen sie unbedingt. Wir haben vor mehr als einem Jahrhundert eine einheitliche Orthografie eingeführt, damit wir Texte leichter verschriftlichen und besser lesen können. Stellen Sie sich die Straßenverkehrsregeln ohne Rechtschreibnormen vor: das pure Chaos. Das Gehirn kann Texte, die Standards folgen, viel störungsfreier verarbeiten. Es gibt Studien, die zeigen, dass allein fehlende Kommata das Lesetempo drastisch verringern.

Interview am Morgen

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Nun hat Kretschmann ja nicht gesagt, lasst uns doch diese überflüssige Orthografie über Bord werfen. Er findet nur, Rechtschreibunterricht sei nicht mehr so wichtig wie früher, weil die Korrekturprogramme unsere Fehler ausmerzen.

Aber das stimmt so nicht. Viele aktuelle Programme finden nur oberflächliche Fehler. Wenn ich ins Handy tippe "Das spielen mit dem Ball ist verboten", akzeptiert es das kleine "s", weil es keinen Unterschied feststellt zu "Es ist verboten, mit dem Ball zu spielen". Der Fehler bleibt stehen, weil der Kontext nicht erkannt wird.

Aber die Korrekturprogramme werden immer besser. Warum sollten wir uns nicht von ihnen helfen lassen?

Natürlich können wir uns von ihnen helfen lassen, und sie werden tatsächlich besser, zum Beispiel werden sie uns Synonyme vorschlagen können. Trotzdem muss jeder Einzelne weiterhin über Rechtschreibkompetenzen verfügen. Wenn ich die Normen nicht mehr kenne, greifen auch die Programme nicht mehr. Überspitzt gesagt: Wenn ich "Schultigu fü die faschpetuk" eingebe, wird auch die beste Korrektur nicht darauf kommen, dass ich "Entschuldigung für die Verspätung" meine. Das heißt, ich muss die Regeln kennen, um mich mit dem Programm verständigen und überprüfen zu können, ob es seinen Job in meinem Sinne macht.

Geht es dabei auch um Autonomie?

Das auch. Es ist nicht sinnvoll, sich blind auf Hilfsmittel zu verlassen. Ich möchte in die Aktionen des Programms eingreifen können, um meinen Text zu verändern, zu verbessern. Nur so behalte ich die Hoheit.

Demnach müssen Grundschüler genauso Schreibweisen pauken wie früher?

Rechtschreibung zu erlernen, heißt nicht, ein Wort zehn Mal korrekt in eine Zeile zu schreiben. Eine didaktisch gute Lehrkraft lässt nicht einfach Wörter blind üben, sie erklärt Strategien, Merkhilfen, Tricks. Ein Beispiel: Die Mehrzahl von "Hand", also "Hände", wird mit "ä" geschrieben. Das lernen die Kinder, dann suchen sie verwandte Wörter, etwa "Wand", und wenden die Strategie auf das neue Wort an: "Wände". Das ist etwas ganz anderes als Pauken, also Auswendiglernen.

Werden Grundschullehrkräfte dafür ausreichend ausgebildet?

Rechtschreibseminare sind nicht an jedem Studienort verbindlich, sollten es meiner Meinung nach aber sein. Bei mir an der Universität muss jede und jeder ein Orthografie- und ein Grammatik-Didaktikseminar absolvieren. Eine solche Ausbildung hilft Lehrern, gute Vermittler zu werden.

Und trotzdem verpasst jeder fünfte Viertklässler bei der Rechtschreibung die Mindeststandards. Sind daran auch die Handys schuld?

Nicht nur, aber auch. Wir wissen aus Studien, dass die digitale Kommunikation die Rechtschreibung beeinflusst. Bei privaten Kurznachrichten wird besonders die Groß- und Kleinschreibung vernachlässigt und tendenziell geschrieben, wie man spricht. Deshalb ist der Rechtschreibunterricht auch nicht unwichtiger geworden, wie Kretschmann sagt, sondern wichtiger. Und wir müssen auch bei den Schülerinnen und Schülern das Rechtschreibbewusstsein wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. Das ist wahnsinnig wichtig.

Was heißt "Rechtschreibbewusstsein"?

Kinder müssen erkennen, dass Rechtschreibung wichtig ist, und unterscheiden können, ob sie eine Nachricht an die Freundin, einen Text in der Schule oder eine Bewerbung schreiben. Es ist belegt, dass Arbeitgeber aus fehlerhaften Bewerbungen negative Rückschlüsse auf die Disziplin und Ausdauer des Bewerbers ziehen. Sogar wenn ich beruflich einen Kurznachrichtendienst wie Whatsapp verwende, muss ich anders schreiben als beim Chatten.

Heißt das, im beruflichen Umfeld gebe ich mir Mühe, im privaten ist es egal?

Auch private Nachrichten mit vielen Fehlern gelten mitunter als unaufmerksam, selbst unter jungen Leuten. Da denkt man: Der hat das schnell geschrieben, nicht mal mehr durchgelesen - bin ich dem nichts wert?

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SZ vom 05.02.2020/berk
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