Recht auf Bildung:Die Schule der Muppets

Neue Figur für afghanische Sesamstraße: Sirak

Vorbildlich: Sari liest viel und lernt gern Englisch, ihr kleiner Bruder Sirak findet das nachahmenswert.

(Foto: dpa)

Afghanistans "Sesamstraße" macht Lust aufs Lernen - durch Figuren, die sich von rückständigen Rollenklischees gelassen abgrenzen.

Von Susanne Klein

Sirak ist neu in der "Sesamstraße", vier Jahre alt, über dem schlichten Salwar Kamiz trägt er eine bunt bestickte Weste. Siraks Name bedeutet "der Schlaue", seine große Schwester heißt Sari, "die Schimmernde". So klischeehaft, wie das klingt, sind die Rollen der beiden aber nicht verteilt, nicht für afghanische Verhältnisse: Die sechsjährige Sari geht zur Schule, sie hat Hobbys und ihren eigenen Kopf. Und nun wird sie eben auch noch von einem wissbegierigen Bruder bewundert und unterstützt.

"In einer männlich dominierten Nation wie Afghanistan ist es meiner Ansicht nach wichtig, den Männern etwas Nachhilfe zu geben, damit sie die Frauen respektieren", erklärt Massood Sanjer die neue Muppets-Figur in der afghanischen Version der "Sesamstraße". Sanjer leitet den Fernsehsender Tolo TV, der "Baghch-e-Simsim" (Sesamgarten) ausstrahlt und auch mit einem kritischen Erwachsenenprogramm Tabus in dem zutiefst konservativen Land bricht.

Schon das Debüt der violettfarbenen Sari im Frühjahr 2016 setzte ein Zeichen: Sari ist ein Vorbild, sie soll afghanischen Mädchen Mut machen, selbstbewusster zu werden und sich zu bilden. Ein Vorbild mit großem Publikum, laut der Produktionsfirma Sesame Workshop haben 81 Prozent aller Drei- bis Siebenjährigen Afghanistans beliebteste Kinderserie schon gesehen.

Die Botschaft von Sari und Sirak ist dringend. Nach dem Taliban-Regime war die Zahl der Schüler von einer halben Million auf etwa neun Millionen gestiegen, wie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit angibt; auch Mädchen durften wieder zur Schule gehen. Die afghanische Regierung zählte sogar elfeinhalb Millionen Schüler, der neue Bildungsminister Asadullah Hanif Balkhi korrigierte die Zahl jedoch auf sechs Millionen nach unten und sprach von "Geisterschulen" - in einem Interview mit Tolo TV, Ende 2016. Politisches Dynamit, denn an den Zahlen hängt viel Geld: Die Geberländer und die Regierung des Vielvölkerstaats messen dessen Fortschritt in der Währung der Bildung. Balkhi warf seinem Vorgänger vor, mit Falschangaben den Fluss der westlichen Hilfsgelder für Schulbauten und Lehrergehälter verstetigt zu haben. Auch die unabhängige Forschungsgruppe Afghanistan Analysts Network spricht von versickerten Geldern.

Die Enthüllungen machten Furore, dabei könnte die Schülerzahl sogar noch kleiner sein, da Kinder, die bis zu drei Jahre keine Schule besucht haben, weiter als Schüler gezählt werden, wie amerikanische Inspekteure kritisieren. Viele Eltern in dem bitterarmen Land brauchen ihre Kinder als Mitverdiener oder behalten sie aus Angst vor der alltäglichen Gewalt zu Hause. Und Hunderte Schulen sind in katastrophalem Zustand, liegen verlassen in Kampfgebieten oder dienen als Militärlager.

Dreieinhalb Millionen Kinder im Land gehen nicht zur Schule, schätzt Unicef, gut zwei Millionen von ihnen sind Mädchen. Die Zahlen sind von 2012, niemand weiß genau, wie es heute aussieht. Doch vieles spricht für eine negative Entwicklung. Vier von zehn Männern und sieben von zehn Frauen sind Analphabeten. Um das zu ändern, muss noch viel geschehen. Vielleicht streuen Sari und Sirak ja die richtige Saat ins Bewusstsein ihrer Zuschauer: die Sehnsucht nach Bildung.

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