Quereinsteiger im Kunstunterricht:"Bloß keine Basteltanten"

Uniseite Geschichte Künstler als Kunstlehrer

Wechselte zwischen Atelier, Akademie und Klassenzimmer: Florian Haller vor einer Auswahl seiner Kunstwerke.

(Foto: Kathrin Schwarze-Reiter)
  • An Bayerns Schulen fehlen Kunstlehrer, oft muss der Unterricht ganz ausfallen.
  • Der Staat wirbt deshalb um begabte Absolventen der Kunstakademien.
  • Die Künstler sind oft ernüchtert über den 45-Minuten-Takt und den geringen Stellenwert des Fachs in den Schulen.

Von Kathrin Schwarze-Reiter

Die Lage ist dramatisch: Dass Mathe- und Physiklehrer fehlen, ist bekannt. Doch auch Kunstlehrer will kaum jemand mehr werden. Nur 14 Lehramtsstudenten meldeten sich in Bayern im Februar 2014 zum Referendariat an. Deshalb fällt an vielen Schulen der Kunstunterricht aus. Die Kultusministerien stellen verzweifelt Quereinsteiger ein: "Hobbykünstler oder die Sekretärin des Direktors versuchen sich in Farblehre, Grundschullehrer malen mit Gymnasiasten, per diskreter Sondergenehmigung der Kultusministerien kommen sogar Quereinsteiger ohne Abitur oder Akademiestudenten ohne Abschluss unter", sagt Martin Klinkner, Bundesvorsitzender des Fachverbandes für Kunstpädagogik (BDK e.V.). Ist es keine Kunst mehr, Kunst zu unterrichten?

Das Fach wird jedenfalls nicht sehr geschätzt in einer Zeit, in der Internetunternehmer mehr bewundert werden als begabte Künstler. Vergangenes Jahr warnte bereits der damalige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Stephan Dorgerloh (SPD), vor einem Mangel an Kunst- und Musiklehrern. Die Kultusminister forderten die Hochschulen auf, bei ihren Aufnahmeprüfungen neben dem künstlerischen Können die pädagogischen Fähigkeiten stärker zu berücksichtigen - und so viele Studenten aufzunehmen wie möglich. Der Staat muss inzwischen enorme Anstrengungen unternehmen, um noch gute Lehramtsstudenten zu gewinnen.

Die schärfsten Kritiker des Künstlers sind nun Achtklässler

Zum Beispiel Moritz Dometshauser: Kritiker und Akademieprofessoren sagten Moritz Dometshauser bereits während seines Studiums eine vielversprechende Künstlerkarriere voraus. Er nahm sich nach seinem ersten Staatsexamen an der Münchner Akademie zunächst ein Jahr Zeit, um sich in Ateliers in Hamburg und Dresden voll auf die Malerei konzentrieren zu können. Die Option Lehramt zu haben, gab ihm jedoch eine gewisse Sicherheit. Die Entscheidung, irgendwann in die Schule zu gehen, hatte Dometshauser schon zu Beginn des Studiums getroffen.

Oft malte er wie ein Besessener bis in die Morgenstunden an großformatigen Ölbildern, die etwas an Neo Rauchs Surrealismus erinnern. "Ich bin oft mit einem Gefühl tiefster Zufriedenheit heimgekommen, habe mir noch einmal jedes Detail meines aktuellen Werkes in Erinnerung gerufen und überlegt, wo ich am nächsten Tag weitermachen werde", erinnert er sich. Während des Studiums und im Jahr danach lebte er von extrem wenig Geld. In Hamburg wohnte der 28-Jährige in einem Künstlerhaus in seinem Atelier.

Akademien sollen mehr für Lehrämtler tun

Viele Kunststudenten entscheiden sich für das Lehramt, damit ihre Eltern ruhig schlafen können. Und sie brauchen oft einen Plan B, sollte es mit der freien Kunst nicht klappen. Nicht selten wechseln sie in eine Klasse der Akademie für freie Künstler, wenn sich ihnen die Chance bietet. Denn Lehramtsstudenten gelten an den Akademien oft noch als Künstler zweiter Klasse.

"Das Image und die Arbeitsbedingungen müssen besser werden", fordert Klinkner. Er sprach immer wieder mit Professoren verschiedener Akademien. Die sollen nun mehr für die Lehrämtler tun. Bei der Aufnahmeprüfung drücken sogar die Münchner inzwischen oft ein Auge zu und nehmen mehr Studenten auf. In Nürnberg sind die Pädagogen auf das Akademiegelände gezogen, es gibt keine getrennten Klassen mehr.

Auch Dometshauser hatte Gelegenheiten, einen Platz in der freien Klasse eines berühmten Malers zu bekommen. Doch er entschied sich jedes Mal dagegen, "wegen meines guten Atelierplatzes mit Blick auf das Siegestor, der liebgewonnenen Kommilitonen und der Chance zu Auslandsaufenthalten zum Beispiel am renommierten Goldsmiths College in London", sagt er.

"Als Lehrer habe ich das Wochenende wiederentdeckt"

Kathrin Schwarze-Reiter

Das Klischee vom armen Künstler wurde für Moritz Dometshauser sehr anschaulich: Nach dem Ersten Staatsexamen wohnte er in seinem Atelier.

(Foto: Kathrin Schwarze-Reiter)

Heute ist Dometshauser Referendar am Tassilo-Gymnasium in der 9600-Einwohner-Kleinstadt Simbach am Inn. "Mein Alltag ist ein vollkommen anderer als früher." Sein Wecker klingelt um sechs Uhr, seine schärfsten Kritiker sind nun Achtklässler. Weil seine ganze Zeit für die Unterrichtsvorbereitung draufgeht, findet er nur in den Ferien Ruhe zum Malen. "Doch als Lehrer habe ich etwas wiederentdeckt, was ich als Student und Künstler so nicht mehr kannte: Das Wochenende."

Er mag die Arbeit mit den Schülern. "Es ist toll, wenn man es schafft, dass sich eine ganze Klasse in die Malerei vertieft." Jahrelang hat Dometshauser kunstgeschichtliche Werke verschlungen, heute zehrt er von seinem Wissensschatz. Er kennt die modernsten Strömungen, weiß, wie das Geschäft mit der Kunst funktioniert. "Genau solche Lehrer braucht der Kunstunterricht, um die Jugendlichen zu begeistern - und bloß keine Aquarell- und Basteltanten", sagt Kunstpädagoge Klinkner.

Bei Florian Haller war es genau diese Geringschätzung des Fachs Kunst, die ihn aus der Schule trieb. Auch er hatte an der Münchner Akademie studiert. Gleich nach seinem Abschluss meldete er sich für das Referendariat an. "Kunstlehrer sind der Typ Mensch, die der Schule guttun", sagt der inzwischen 38-Jährige. "Ich startete mit dem hehren Ziel, die Schüler für aktuelle Kunst zu interessieren."

"45 Minuten reine Beschäftigungstherapie"

Doch dann kam Haller an ein Münchner Elitegymnasium, an dem das Fach Kunst nicht ernst genommen wurde. Die Schüler, teils aus adeligem Elternhaus, kamen im Anzug, den sie bloß nicht schmutzig machen wollten. Auf Malen hätten sie keine Lust gehabt. "Zudem widerspricht das enge Korsett der 45-Minuten-Stunden jeder Kreativität", sagt Haller. "Das ist reine Beschäftigungstherapie, der Lehrer dabei der Motivator."

Auch für Verbandschef Klinkner sind die 45 Minuten das Hauptproblem: "Nur Kunst und Musik werden in der Mittelstufe auf eine Stunde pro Woche reduziert", klagt er. "Da ist der Zusammenhang klar, warum die allermeisten Jugendlichen mit 14 aufhören zu zeichnen." Dabei ist künstlerisches, ungewöhnliches Denken das ganze Leben lang wichtig: Gestalterische Berufe sind gefragt, auch Wirtschaftsunternehmen wie Daimler oder Roland Berger schätzen kreative Köpfe. "Selbst wenn man die Kunst später nur zum Hobby macht, tut das der Seele gut", sagt Klinkner.

Florian Haller machte sein zweites Staatsexamen, als einer der Besten in Bayern. Doch als er das Angebot einer künstlerischen Assistenz bekam, ging er zurück an die Akademie. Für seine Bilder gewann Haller wichtige Preise. Zwar ist er der Schule verloren gegangen, doch zwei Schüler hat er mit seiner Leidenschaft angesteckt. Sie studieren inzwischen selbst an der Akademie.

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