Süddeutsche Zeitung

Psychische Gewalt an US-Schule:Mobbingopfer zeigt Video - und löst Kontroverse aus

Ein 14-jähriger Amerikaner wird in der Schule massiv angefeindet, in einem Video macht er seine Qualen öffentlich. Die positiven Reaktionen fallen gewaltig aus, andere Mobbingopfer und Prominente melden sich. Doch ein zweites Video sorgt für Irritationen.

Barbara Galaktionow

Das Szenario ist schlicht wie bewegend: Ein Teenager, noch mit einem runden Kindergesicht, sitzt auf einem Sofa. Der Junge sagt nichts, stattdessen hält er beschriebene Karten in die Kamera, eine nach der anderen. Darauf stehen wenige Worte, die sein Leid schildern.

Denn Jonah Mowry, so der Name des 14-Jährigen, wird in seiner Schule gemobbt und beschimpft. "Schwuler. Schwuchtel. Schwanz. Depp. Homo. Arschloch. Die Liste geht weiter und weiter", teilt er den Zuschauern auf seinen Pappkarten mit. Mowry weint.

Der Junge aus dem kalifornischen Lake Forest hält die Arme in die Kamera. Er hat sie sich - man sieht es nicht besonders gut - selbst aufgeritzt. "Ich bin es müde, runtergemacht zu werden", schreibt Mowry. Und zeigt am Ende des Videos doch Stärke: "Ich gehe nirgendwo hin, weil ich stärker bin als das. Ich habe eine Million Gründe, hier zu sein."

Das Video hat der amerikanische Schüler im August auf Youtube veröffentlicht. Die Reaktionen waren enorm: Mehr als sechs Millionen mal wurde der Film "Whats goin on" inzwischen angeklickt. In Deutschland kann das etwa vier Minuten dauernde Video über Youtube allerdings nicht aufgerufen werden - die Gema hat den Film gesperrt, weil der Jugendliche ihn mit dem Song Breathe Me von Sia Fuller unterlegt hat.

Hunderttausende sprachen dem gedemütigten Teenager Mut zu. "Hi Kumpel, das Leben wird besser, glaub mir. Und lass Dir sagen, schon ein enger Freund ist bereits ein Volltreffer", heißt es da beispielsweise in den Kommentaren unter dem Video. Andere antworteten ebenfalls per Video - häufig, in dem sie das Verfahren mit den Kärtchen übernahmen (zum Beispiel dieser Jugendliche).

Große Aufmerksamkeit erregte Jonah Mowrys Schicksal auch deshalb, weil Prominente wie Ricky Martin und Perez Hilton sich des Themas annahmen. "Ich sende @JonahMowryWirklich eine große Rippen brechende Umarmung:0) Bleib stark, Buddy! Du bist 1 mutiger junger Mann!!! Denk dran #LiebeschlägtHass", twitterte Sänger Ricky Martin dem 14-Jährigen.

Klatschblogger Perez Hilton machte sich vor allem für den Schüler stark, als nach einem zweiten Video Gerüchte laut wurden, er würde das Mobbing-Opfer nur spielen und habe in seinem ersten Video gelogen. Das Folgevideo zeigt den Jugendlichen zusammen mit einer Freundin herumgiggelnd und ostentativ Kaugummi kauend. "Fast meine ganze Schule liebt mich", behauptet Jonah Mowry nun - sehr zur Empörung vieler Youtube-Nutzer.

In Kommentaren und Videoantworten wird der Jugendliche nun der "Lüge" und des "Betrugs" bezichtigt. Ein Vorwurf, gegen den Jonahs Mutter ihren Sohn mit Bestimmtheit verteidigt: "Ich bin enttäuscht, dass jemand das erste Video sehen kann und danach das zweite und glauben, es sei eine Lüge", sagte sie dem US-Fernsehsender ABC am Dienstag. "Er ist ein Kind. Er ist ein 14 Jahre alter Junge. Er ist sehr jung."

Auch Perez Hilton warf sich für den Angegriffenen in die Bresche. In seinem Blog verwies er am Dienstag zunächst auf eine in einem sozialen Netzwerk zugängliche Äußerung, die Jonah Mowry vor vier Monaten gemacht hatte. Auf die Frage "Was ist dein Hauptziel für dieses Schuljahr?" hatte er geantwortet: "Es lebend überstehen. (das meine ich ernst)".

"Glücklicherweise HAT Jonah es überlebt, als das Schuljahr weiterging. Glücklicherweise HAT er Freunde gefunden und ist glücklicher. Und, ja, glücklicherweise bekommt er nun dringend benötigte psychologische Beratung", kommentierte Perez.

Auch Jonah Mowry selbst stellte sich den Zweiflern entgegen, indem er dem ersten Video einen langen Kommentar hinzufügte. Danach war das erste Video um vier Uhr morgens nach einer langen Reihe schlafloser Nächte entstanden. "Alles, woran ich denken konnte, waren die schlimmen Dinge, die im vergangenen Jahr in der Schule passiert waren ... Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, weiter da durchzugehen."

Doch auch dank des Videos habe sich die Situation nun für ihn geändert. Denn einige hätten dadurch begriffen, wie sehr sie ihn verletzt hätten. Das Video sei jedenfalls "wahr und aufrichtig", betont Jonah Mowry. Am Dienstag twitterte er zudem, er habe ein "rüdes Folgevideo" gemacht. Seine Nachricht sei falsch rübergekommen.

Mobbing unter Schülern wird in den USA in den vergangenen Jahren immer mehr zum Problem - und beschäftigt auch den Gesetzgeber. Der Bundesstaat New Jersey verabschiedete im November sogar ein äußerst striktes Gesetz, um gegen Gewalt und boshafte Nachstellungen an Schulen vorzugehen.

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