Süddeutsche Zeitung

Probleme bei Bafög-Anträgen in Berlin:Wenn Schüler und Studenten Finanznot leiden

Sie werden aus ihren Wohnungen geschmissen, beim Schwarzfahren erwischt oder müssen ihre Ausbildung abbrechen: Durch den doppelten Abiturjahrgang stapeln sich bei den Berliner Bezirksämtern die Bafög-Anträge. Tausende Schüler und Studenten warten auf ihr Geld.

Von Angelika Finkenwirth

In den vergangenen Wochen war die Sprechstunde von Ingeborg Stellmann immer gut besucht. "Die Schüler haben große Probleme mit ihrem Bafög", sagt die Sozialarbeiterin der Peter-Lenné-Schule in Berlin. Die Bearbeitung brauche Monate, in denen die Jugendlichen kein Geld hätten. "Jedes Jahr haben wir Fälle von Zwangsräumung, weil die jungen Menschen ihre Miete nicht mehr zahlen können, sie können sich keine Fahrkarten mehr kaufen, werden beim Schwarzfahren erwischt oder brechen ihre Ausbildung ab."

Besonderes Pech haben derzeit diejenigen, die in die Zuständig des Bezirksamts Berlin-Charlottenburg fallen. Die Behörde ist dem Ansturm der Bafög-Empfänger nicht mehr gewachsen.

"Durch den Doppeljahrgang, der letztes Jahr die Schule verlassen hat, bekamen wir 5000 Neuanträge und hatten auch noch einen Rückstand aus dem alten Jahr aufzuarbeiten", berichtet der Bezirksstadtrat Carsten Engelmann (CDU). Im Oktober schloss er kurzerhand das Amt drei Monate lang für den Publikumsverkehr, damit seine Mitarbeiter den Antragsberg ungestört beackern konnten - was das Problem letztlich aber nur verschärfte.

Die Stimmung ist gereizt

Inzwischen hat die Behörde wieder geöffnet und auf den Gängen tummeln sich noch immer Hunderte Antragsteller, die wissen wollen, wo ihr Bescheid bleibt. Etwa 2000 stehen immer noch aus. Die Stimmung auf beiden Seiten ist gereizt.

"Wir haben einfach zu wenig Personal, um alle Anträge zügig bearbeiten zu können. Ein Gutachten hat ergeben, dass uns acht Stellen fehlen", sagt Engelmann. "Normalerweise bearbeitet ein Mitarbeiter in Deutschland weniger als 500 Bafög-Anträge im Jahr, bei uns sind es 800 bis 900." Gern würde der Bezirksstadtrat mehr Leute einstellen, hat dazu aber nicht das Geld und sieht nun den Finanzsenator in der Pflicht: "Wir betreiben Auftragsverwaltung für das Land Berlin, das normalerweise für das Bafög zuständig wäre."

Doch aus dem Ministerium heißt es nur: Für die Personalplanung seien die Bezirke verantwortlich, die den Engpass selbst lösen müssten. Einzig die Bildungsverwaltung zeigt Verständnis für die Misere und hat angekündigt, eine Geldspritze an das Bezirksamtes zu prüfen.

Während die Politiker noch prüfen und streiten, haben die Antragsteller teils existenzielle Sorgen. Sie sind voll auf sich gestellt. Übergangsweise konnten sie für vier Monate einen Vorschuss von 360 Euro beantragen, doch die Zeit ist abgelaufen. Aussicht auf schnelle Hilfe gibt es nicht: "Mit der jetzigen Besetzung werden wir den Berg nie zufriedenstellend abarbeiten können", sagt Engelmann. "Ich bin ratlos."

"Das Geld wurde langsam knapp"

Auch die Berliner Studenten, die sich in Sachen Bafög nicht an eines der drei Bezirksämtern sondern die Studentenwerke wenden müssen, klagen über lange Bearbeitungszeiten. "Bei mir hat es vier Monate gedauert", erzählt zum Beispiel eine junge Frau namens Helena, die an der Technischen Universität Kultur und Technik studiert.

Ende Juli hatte sie ihren Antrag fristgerecht eingereicht und bekam immer wieder Post mit der Aufforderung, noch Unterlagen nachzureichen. "Meine Immatrikulationsbescheinigung habe ich insgesamt dreimal geschickt", sagt die 21-Jährige. Einen Tag vor Weihnachten kam die erlösende erste Zahlung. "Das Geld wurde auch langsam knapp. Ich habe zum Glück einen Nebenjob in einem Restaurant, hätte mir aber nie träumen lassen, dass ich den mal für Grundlegendes brauche."

Schuld an dem Kuddelmuddel sollen zwei Faktoren sein: Trotz steigender Studentenzahlen wurde die Zahl der Bafög-Bearbeiter nicht angepasst. Zudem seien viele Anträge fehlerhaft, sagt der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde. Abhilfe sollen Online-Anträge schaffen, welche die Daten schon während der Eingabe auf Richtigkeit prüfen.

Großer Beliebtheit erfreut sich das Dokument aber noch nicht: "Man muss auch diesen Antrag ausdrucken, unterschreiben und per Post verschicken", sagt Meyer auf der Heyde. Aber: Man arbeite daran.

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SZ vom 14.01.2013/jobr
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