Pornokompetenz für Kinder:Aufklärung nach dem sexuellen Overkill

Youtube-"Aufklärerin" Laci Green

Im Internet erklärt die junge US-Amerikanerin Laci Green, was das Jungfernhäutchen ist und wie Sex mit Behinderung funktioniert.

(Foto: Laci Green)

Wie erklärt man Kindern, die mit elf Jahren den ersten Sexfilm im Internet schauen, was Sexualität und Liebe ausmacht? Pädagogen fordern mehr "Pornokompetenz". Und die wird am besten dort vermittelt, wo Kinder mit den Bildern konfrontiert werden: im Netz.

Von Charlotte Theile

Elf Jahre, vielleicht zwölf. So alt, oder so jung, seien im Durchschnitt Kinder, wenn sie das erste Mal Sexfilme im Internet schauten, schätzt Katharina Zillmer. Die Rostocker Pädagogin ist bei der Landesfachstelle für sexuelle Gesundheit und Familienplanung Mecklenburg-Vorpommern angestellt. So bürokratisch der Name ihres Arbeitgebers klingt, so direkt und klar ist ihre Forderung für eine Jugend, die viel zu früh mit Erwachsenenfilmen konfrontiert wird: Pornokompetenz. "Die Kinder müssen Fragen stellen dürfen, da hilft kein verschämtes Wegducken", sagt Zillmer in Güstrow bei Rostock, wo eine Fachtagung an diesem Mittwoch das Thema diskutiert.

Kinder müssen demnach erklärt bekommen, was sie auf dem Bildschirm gesehen haben, so die zeitgemäße Forderung. Die Aufklärung des Kindes ist heute oft kein Gespräch mehr, das auf etwas vorbereitet, nämlich auf die Konfrontation mit dem Thema Sex. Vielmehr ist sie eine Nachbereitung dieser Konfrontation - den Akt haben die Kinder schon gesehen, explizit und gut belichtet. Nun geht es darum, dass sie ihn auch verstehen.

Als Beratungsstelle bietet sich dabei der Ort an, an dem die Kinder auf die Bilder aufmerksam werden: das Internet. Die EU-Initiative klicksafe.de etwa bietet unter der Überschrift "Let's talk about Porno" pädagogische Comics und Unterrichtsmaterial an. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung betreibt Loveline.de, eine Seite, auf der es vor allem um Beziehungsfragen geht. "Was ist für dich Liebe?" fragt ein Video oder "Was, wenn du jetzt ein Kind kriegen würdest?".

Ein Nervensägchen als Aufklärerin

Dass diese Art Aufklärung nicht nur von Bundeszentrale zu Jungbürger, sondern auch von Mensch zu Mensch möglich ist, zeigt ein Beispiel aus den USA. Dort hat die Frage nach der richtigen Aufklärung - in Kalifornien nicht weniger Thema als in Güstrow - ein Internet-Phänomen ermöglicht.

Auf den ersten Blick ist es ein langweiliges Video. Eine junge Frau sitzt auf einem Sofa, hinter ihr eine Zimmerpflanze. Sie hält eine Klopapierrolle in der Hand, darüber hat sie einen dünnen Lappen gespannt. Ihre Stimme ist ein bisschen zu hoch, sie spricht schnell und scheint irgendwie alles besser zu wissen. Ein Nervensägchen. Doch ihre fast vier Minuten lange Aufnahme ist ein Youtube-Hit, mehr als 1,6 Millionen Mal angeklickt.

Die junge Frau heißt Laci Green, mit der Klopapierrolle erklärt sie, was ein Jungfernhäutchen ist. "Anders als viele denken - auch ich hab' das früher geglaubt - verschließt das Hymen die Vagina nicht. Es muss also auch nicht mit Gewalt zerstört werden." Dass es nur einen Teil des Scheideneingangs verdeckt, beim ersten Mal nicht reißen muss, die blutige, schmerzhafte Entjungferung nur droht, wenn man nicht weiß, wie es geht - all das ist für ihre Zuhörer offenbar eine echte Neuigkeit.

Fast jede Woche stellt Green, eine 24 Jahre alte Kalifornierin, Videos online, beantwortet nach und nach wirklich jede Frage, die ihr im Netz gestellt wird. Wie verhütet man bei lesbischem Sex? Wie geht Sex mit Behinderung? Wie oft muss ich mich unten rum waschen? Oder eben: Warum ist Sex in Wirklichkeit anders als in Pornos?

"Alles Verbotene birgt einen noch höheren Reiz"

In Güstrow rät Zillmer den Eltern, die diese Frage nicht auf eine Dr. Sommer im Netz abladen wollen, bei dieser häufig gestellten Frage zur Klarstellung: Pornografie habe mit dem Leben und der Liebe nur wenig zu tun. So seien Pornoschauspieler gecastet, etwa nach Aussehen und Figur. Auch anderes, zum Beispiel die freie Verfügbarkeit von Frauen, wie sie in vielen Filmen gezeigt werde, müssten die Erwachsenen mit den Kindern diskutieren.

Von Verboten hält die Expertin nichts. "Pornografie ist allgegenwärtig, zusätzlich birgt alles Verbotene einen noch höheren Reiz", sagt Zillmer. Vorwürfe seien ebenso wenig angebracht. "Jugendliche brauchen einen Raum, in dem Fragen gestellt werden dürfen und sie sicher sein können, dass Probleme in diesem Kreis bleiben."

Dass sogar eine Fremde im Netz die bevorzugte Ansprechpartnerin sein kann, zeigt die Beliebtheit von Laci Green in den USA, wo sie mit ihrem Anliegen durch Universitäten und TV-Shows tingelt, im Discovery Channel oder bei der Non-Profit-Organisation Planned Parenthood zu sehen ist. Außerdem ist Laci Green auf Facebook, Twitter, Tumblr, Youtube stets erreichbar.

Nur eine Art von Sexualkunde: Abstinenz-Unterricht

Ob ihr Beispiel auf Deutschland zu übertragen wäre, ist fraglich. Der Bedarf an realitätsnaher Aufklärung scheint in den USA größer zu sein. In vielen US-Staaten erhalten Schüler noch immer nur eine Art von Sexualkunde: Abstinenz-Unterricht. Der einzig sichere Weg, HIV, sexuell übertragbare Krankheiten und Schwangerschaft zu verhindern, sei Enthaltsamkeit, heißt es darin. Wie man Kondome verwendet, wird nicht erklärt, wie man es anstellt, dass Sex Spaß macht: erst recht nicht.

Geht es nach Zillmer, kann es gar nicht genug Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern geben, die doch "zunächst überfordert" seien von den Sexfilmchen. Ein nachhaltiges Problem sei der Konsum ohnehin selten. Viele junge Menschen würden diese Filme eine Zeit lang schauen - und dann irgendwann damit aufhören, einfach so, weil es sie nicht mehr interessiert. Sie rät, sich nicht zu viele Sorgen um die Kinder zu machen. "Das heißt auch, nicht immer gleich Antworten parat haben zu müssen", sagt Zillmer.

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