Deutschlands international bekannteste Forschungsorganisation, die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), muss sich mit einem empfindlichen Plagiatsvorwurf auseinandersetzen. Betroffen ist nicht irgendein Wissenschaftler, sondern der Direktor der Klinik am traditionsreichen Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, Martin Keck.
Sowohl die Universität München als auch die Universität Utrecht haben Prüfverfahren eingeleitet, um Vorwürfen nachzugehen, die in einer anonymen E-Mail erhoben wurden, welche auch der SZ vorliegt. Dem Schreiben zufolge soll Institutsleiter Keck in zwei wichtigen Arbeiten, seiner Habilitationsschrift sowie seiner zweiten Dissertation, die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis nicht eingehalten haben.
Zitiert wird die Arbeit der Doktorandin nicht
Tatsächlich ist die Habilitationsschrift des Psychiaters aus dem Jahr 2003 in Teilen mit der Dissertation einer von ihm mitbetreuten Doktorandin identisch. Die Promotionsarbeit war ein knappes halbes Jahr zuvor eingereicht worden. In den Arbeiten über neurobiologische Vorgänge der Depression und deren Therapie finden sich mehrere identische Abbildungen; wortgleiche Absätze ziehen sich über viele Seiten. Betroffen sind dabei nicht nur Abschnitte, in denen Material und Methoden beschrieben werden, sondern auch der Ergebnisteil und die Diskussion, die beide wesentliche Bestandteile der akademischen Leistung sind. Zitiert wird die Arbeit der Doktorandin jedoch nicht. Ihr Name erscheint lediglich an einer unscheinbaren Stelle im Literaturverzeichnis. Und in der Danksagung wird ihr für ihre "ausdauernde Mitarbeit" Respekt gezollt.
In seiner zweiten nun kritisierten Arbeit verwendet Martin Keck die Daten der Doktorandin sowie weitere Daten aus seiner Habilitationsschrift erneut: Im Jahr 2005 erwarb Keck an der Universität Utrecht einen angelsächsischen Doktortitel (Ph. D.), der aus "Prof. Dr. Martin Keck" einen "Prof. Dr. Dr. Martin Keck" machte. Über weite Strecken finden sich in der englischsprachigen Ph.-D.-Arbeit Auszüge aus seiner Habilitationsschrift und somit auch aus der Dissertation der früheren Doktorandin wieder.
Will der anonyme Mail-Verfasser dem Klinikdirektor persönlich schaden?
Dass er sich wissenschaftlich nicht korrekt verhalten habe, weist Keck "entschieden zurück". Zu Details könne er sich wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern, schreibt er auf Anfrage, aber er habe "dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft umgehend eine Stellungnahme zukommen lassen" und die Universitäten gebeten, die Vorwürfe zu prüfen.
Auf den Fall angesprochen, erklärte MPG-Präsident Martin Stratmann, die Ergebnisse der Prüfung abwarten zu wollen. Er befürchtet jedoch, dass der anonyme Mail-Verfasser keineswegs im Dienste einer sauberen Wissenschaft unterwegs ist, sondern Klinikdirektor Keck persönlich schaden will. "Was mich wirklich bewegt, ist, dass seit mehreren Monaten immer wieder neue anonyme Vorwürfe gegen Herrn Professor Keck erhoben werden", so Stratmann. Sobald ein Vorwurf ausgeräumt sei, werde "ein neues Fass aufgemacht". Die MPG prüfe derzeit strafrechtliche Schritte gegen Unbekannt.
Unruhe in der Belegschaft
Tatsächlich haben viele Plagiatsvorwürfe seit dem Fall des Ex-Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg weniger der Wissenschaft denn persönlichen Fehden gedient. Solche gibt es nun auch am MPI für Psychiatrie. 25 Jahre lang leitete der Psychiater Florian Holsboer das Institut in der Münchner Kraepelinstraße mit der ihm angeschlossenen 120-Betten-Klinik. 2013 übernahmen mit Elisabeth Binder und Alon Chen zwei Vollblutwissenschaftler den Forschungsbereich des Instituts, Martin Keck kam als neuer Klinikchef 2014 dazu.
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Seither herrscht in Teilen der alten Belegschaft erhebliche Unruhe. Mitarbeiter befürchten die Umwandlung des forschungsnahen Hauses in eine Art Privatklinik. Seit Keck, der zuvor an einer Privatklinik in der Schweiz gearbeitet hat, das Haus leite, werde es mehr und mehr darauf ausgerichtet, möglichst hohe Privatliquidationen zu erwirtschaften, sagen Insider. Womöglich stößt der Ehrgeiz des neuen Chefs manchem altgedienten Mitarbeiter auf.
Eine gewisse Leidenschaft für das Sammeln von Titeln
Und Ehrgeiz hat Martin Keck zweifelsohne - anders ist kaum zu erklären, weshalb jemand, der als junger Arzt einen Doktortitel erwarb, noch einen Ph. D. macht. Keck selbst antwortet auf diese Frage nicht. Eine gewisse Leidenschaft für das Sammeln von Titeln ist ihm aber nicht abzusprechen. Drei Facharzttitel aus den Bereichen Psychiatrie, Nervenheilkunde und Psychosomatik hat er im Laufe seiner Karriere erworben, um zuletzt, 2015, noch den eher artfremden Facharzt für Allgemeinmedizin hinzuzufügen.
Ob nun die Vorwürfe gegen Keck persönlich motiviert sind oder nicht: Der Verdacht des wissenschaftlichen Fehlverhaltens scheint nicht völlig aus der Luft gegriffen zu sein. Generell könne ein Habilitand die Daten eines von ihm betreuten Doktoranden für seine Arbeit verwenden, sagt Wolfgang Löwer, Ombudsman für die Wissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ohne allerdings mit dem Fall Keck vertraut zu sein. "Aber das unterliegt klar dem Zitiergebot, und aus dem kann man sich mit einer Danksagung nicht rauskaufen."
Ist es legitim, Daten zur Erlangung eines weiteren Doktortitels zu recyceln?
Das sehen auch Bodo Pieroth und Andreas Hensel von der Kommission wissenschaftliches Fehlverhalten an der Uni Münster so, wo man zuletzt leidvolle Erfahrung mit Plagiaten in medizinischen Arbeiten gesammelt hat. "Wenn die Quelle nicht entsprechend zitiert wird, ist es ein Plagiat, egal, wie man es dreht", sagt Hensel. "Ausgesprochen kritisch" sieht er grundsätzlich, Gedanken aus der Diskussion einer Dissertation zu kopieren.
Und ist es legitim, Daten zur Erlangung eines weiteren Doktortitels zu recyceln? "Der so erworbene Titel kann nur dann erhalten bleiben, wenn neben den bereits genutzten Daten so viel Neues dazugekommen ist, dass dies die Gradverleihung rechtfertigt", so Löwer.
Gut möglich, dass die Kommissionen zu dem Schluss kommen, dass Martin Keck seine Titel behalten kann. Reichlich Neues gibt es in der Ph.-D.-Arbeit. Für die MPG ist der Fall dennoch in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Sie muss nicht nur ein Institut befrieden und einen Direktor verteidigen, den sie offenkundig halten will. Sie muss auch auf ihren Ruf als Stern am Wissenschaftshimmel achten.
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Anmerkung der Redaktion: Nach mehr als eineinhalbjähriger Prüfung hat der Untersuchungsausschuss der Universität München das Verfahren gegen Prof. Martin Keck am 4. Dezember 2017 eingestellt. Der Ausschuss hatte einen Verstoß gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis festgestellt. Er sah jedoch kein "bewusstes oder grob fahrlässiges" Verhalten als erwiesen an, wie es die Richtlinien der Universität München zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft für zu ahnendes wissenschaftliches Fehlverhalten vorausgesetzt hätten. Mehr dazu finden Sie hier. Die Universität Utrecht hatte nach einer ersten Analyse im Frühjahr 2016 festgestellt, dass kein hinreichender Grund vorliege, ein Plagiatsverfahren zu eröffnen.