Süddeutsche Zeitung

Plagiatsvorwürfe:Gelbe Karte für von der Leyen - aber nicht mehr

  • Die Prüfkommission sieht in der Doktorarbeit der Verteidigungsministerin zwar Fehler, diese stellten aber den wissenschaftlichen Wert der Arbeit nicht grundsätzlich infrage.
  • Ein Plagiatsexperte hält die Mängel bei von der Leyens Arbeit für schwerwiegender als bei Ex-Bildungsministerin Schavan, die deshalb zurücktreten und ihren Doktortitel abgeben musste.
  • Experten haben bereits vorgeschlagen, dass Plagiate irgendwann verjähren sollen.

Analyse von Roland Preuß und Thomas Hahn

Es soll ja kein falscher Verdacht aufkommen. Man habe ergebnisoffen und "ohne Ansehen der Person" geprüft, habe externe Gutachter, zwei internationale Experten eingeschaltet - und sei dann zu einem klaren Ergebnis gekommen, sagt Christopher Baum, der Präsident der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH): Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen darf ihren Doktortitelbehalten. Und das, obwohl auch der Präsident von Plagiaten in der Arbeit spricht und von "klaren Mängeln".

Es ging ja nicht nur um die im Internet akribisch dokumentierten Textübernahmen in der 1990 verfassten Dissertation, die sich mit den Folgen eines Entspannungsbades für Schwangere bei "vorzeitigem Blasensprung" beschäftigt. Es schwang von Anfang an die Frage mit: Wird von der Leyen bevorzugt behandelt gegenüber anderen? Oder strenger? Noch dazu, weil sie der MHH auch nach der Promotion verbunden blieb, als Mitglied im Kuratorium der Förderstiftung. Man kennt sich.

Das ist der Hintergrund für die Beteuerungen des Präsidenten. Denn das Ergebnis ist: Es sind alles Fehler, die den wissenschaftlichen Wert der Arbeit, also das Ergebnis ihrer Forschung, nicht grundsätzlich infrage stellten. Denn dieses sei "neu, valide und von praktischer Relevanz", sagt Baum. Es gebe "kein wissenschaftliches Fehlverhalten". Gelbe Karte also für von der Leyen, aber nicht mehr. Auch die Vorwürfe, von der Leyen habe sich damals unethisch verhalten, weil ihre Probandinnen nicht über mögliche Infektionsgefahren durch ein warmes Bad aufgeklärt worden seien, sieht die Hochschule als ausgeräumt an. Die Vorwürfe hatte ein Wissenschaftler schriftlich an die Hochschule herangetragen.

Von der Leyen selbst hatte geschwiegen, bis zuletzt. Nur einmal äußerte sie sich zu dem Plagiatsverdacht, direkt nachdem die Vorwürfe Ende September vergangenen Jahres bekannt geworden waren. "Den Vorwurf des Plagiats kann ich zurückweisen", sagte die CDU-Politikerin. Damals hatte von der Leyen auch die Motive der Kritiker infrage gestellt. "Aktivisten" versuchten Zweifel an Dissertationen von Politikern zu streuen, nun sei auch ihre Arbeit "ins Visier genommen" worden. Nach Einsicht oder gar Reue klang das nicht, trotz der im Internet akribisch aufgelisteten Fehler und Schlampereien in ihrer Dissertation.

In einem Hintergrundgespräch mit Journalisten gab sie sich zerknirscht

Ansonsten: keine Erläuterung, warum sie damals so gearbeitet hat wie sie es tat, keine Experten, die sie zu ihren Gunsten aufbot wie einst ihre Kabinettskollegin Annette Schavan, die frühere Bundesbildungsministerin. Von der Leyen schien sich schon damals recht sicher zu fühlen. Nur auf Umwegen wurden in dem Fall noch Botschaften gesendet: In einem Hintergrundgespräch mit Journalisten gab sie sich im Oktober zerknirscht wegen der offensichtlichen Fehler, die eigentliche Leistung der Arbeit sei aber doch der empirische Teil der Arbeit. Und in diesem wurde ihr kein Plagiieren vorgeworfen.

Aus dem Kanzleramt verlautete bereits früh, Angela Merkel wolle sie als Verteidigungsministerin halten, selbst wenn sie ihren Titel verlieren sollte. Das bekräftigte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch vor der Entscheidung: "Selbstverständlich" habe die Ministerin auch ohne Titel das Vertrauen der Kanzlerin.

Erst nach der Entscheidung dann eine knappe Erklärung der Ministerin: "Teile meiner damaligen Arbeit entsprechen nicht den Maßstäben, die ich an mich selber stelle", ließ sie von ihrer Reise in den USA mitteilen, eine Anflug von Fehlereingeständnis.

Die vorherige Verteidigungsposition - Abstreiten und Schweigen - war mutig angesichts der Vorwürfe, die im Raum standen. Die Internetplattform Vroniplag Wiki hat sie dokumentiert, seit Ende September sind sie für jedermann im Netz zu finden. 62 Seiten umfasst der Textteil der Arbeit, auf 27 davon haben die Mitarbeiter des Wikis fremde Texte gefunden, die ohne saubere Kennzeichnung übernommen wurden. Das sind annähernd die Hälfte aller Seiten. Oft sind es nur einzelne Sätze oder kurze Passagen, alles wirkt recht kleinteilig. Nimmt man die reine Textlänge als Maßstab, so stuft Vroniplag etwa zwölf Prozent des Textteils der Dissertation, also ohne Einleitung und Literaturverzeichnis, als plagiiert ein.

Eine rein statistische Betrachtung greift jedoch zu kurz, es kommt immer auf den Kontext an - und darauf, inwiefern die Autorin den Urheber des Textes oder des Gedankens wenigstens in einer Fußnote oder im Text erwähnt, selbst wenn sie es versäumt, wörtliche Zitate als solche zu kennzeichnen. Im Fall von der Leyen jedoch war ziemlich schnell klar, dass es ernst ist: Doktortitel wurden in der Vergangenheit schon bei kleineren Textübernahmen aberkannt - wenn auch nicht immer.

Und mehrere Plagiatsexperten auch außerhalb von Vroniplag kamen zu der Einschätzung, dass die Befunde eine Aberkennung des Titels rechtfertigten. Führende Mitglieder von Vroniplag sehen das immer noch so, sie kritisieren die Entscheidung der MHH. "Es ist ein Widerspruch in sich selbst, wenn die Hochschule sagt, dies ist ein Plagiat, aber kein Fehlverhalten - das geht nicht", sagte Gerhard Dannemann, der an der Berliner Humboldt-Universität Englisches Recht sowie Britische Wirtschaft und Politik lehrt, der Süddeutschen Zeitung. Die Entscheidung widerspreche der "ständigen Rechtsprechung".

Einer der federführenden Plagiatesucher in dem Fall, der unter dem Pseudonym Robert Schmidt agiert, sagte, von der Leyen habe systematisch abgeschrieben und auch getäuscht. "Die Entscheidung ist ein falsches Signal und zeigt einmal mehr die sehr niedrigen Standards in der deutschen akademischen Medizin." Der Dr. med., gerne nebenher im Studium erworben, wird von Wissenschaftlern anderer Disziplinen oft als Publikationsmüll belächelt, als "Türschildforschung", um mit dem Titel werben zu können. Erhellend ist da der Vergleich des Falles von der Leyen mit dem Fall Schavan. Auch die Bildungsministerin hatte stellenweise plagiiert, nur an wenigen Stellen fehlte ein Verweis auf die Herkunft ihrer Erkenntnisse völlig.

Zudem sprach ihr kaum jemand ab, in der Arbeit eigene Erkenntnisse geliefert zu haben. Ihre Universität in Düsseldorf erkannte ihr den Titel trotzdem ab.

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SZ vom 10.03.2016/dayk
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