Annette Schavan klammert sich an die Routine. Am Donnerstag stellte sie "Bündnisse für Bildung" vor, demnächst soll sie Preise an Nachwuchsforscher verleihen und auf einem Festakt den Wert der Wissenschaft würdigen - während in den Hinterköpfen ihrer Zuhörer ein ganz anderer Film abläuft: Ausgerechnet die oberste politische Repräsentantin der deutschen Wissenschaft steht unter Plagiatsverdacht. Doch dazu sagt die Bundesbildungsministerin nichts.
Schavans Doktorarbeit:Werke im Vergleich
Hier dokumentiert SZ.de eine Auswahl der Plagiatsvorwürfe der Universität Düsseldorf gegen Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Die Gegenüberstellung von Dissertation und Originalquelle beruht auf dem internen Untersuchungsbericht der Philosophischen Fakultät von Professor Stefan Rohrbacher. Der Judaistik-Professor kommt auf insgesamt 60 fehlerhafte Seiten in der 351 Seiten umfassenden Dissertation und legt damit weniger strenge Maßstäbe an als die Plagiatesucher von Schavanplag, die 92 Seiten bemängeln.
Schavans ruhige Seriosität gilt plötzlich als Fassade. Angela Merkel springt ihrer Vertrauten bei, doch sie kann ihr nicht helfen. Die Kanzlerin setzt auf die Prüfung von Schavans Doktorarbeit durch die Universität Düsseldorf - und zeigt ansonsten, was sie aus der Plagiatsaffäre ihres Verteidigungsministers Guttenberg gelernt hat: lieber nicht zu viel sagen. Bei Guttenberg war ihr Satz, sie habe einen Minister und keinen wissenschaftlichen Assistenten berufen, zur Losung für den Aufstand der Wissenschaftler geworden.
Dabei gäbe es diesmal mehr Argumente für öffentliche Parteinahme. Bei Schavan ist die Suche nach Plagiaten zur Schnipselarbeit geraten. Wo es beim Freiherrn ein ganzer Teppich wurde, bleibt es in ihrem Fall bei Flicken. Diese ergeben dennoch ein eindeutiges Bild. Es gibt mehrere Stellen in Schavans Dissertation, an denen sie gegen die wissenschaftliche Grundregel verstößt, wörtlich Übernommenes als Zitat zu kennzeichnen. Als Wissenschaftler muss man dazu sagen: Das geht so nicht.
Doch was folgt daraus? Was sagt eine von der 25-jährigen Annette Schavan geschriebene Doktorarbeit mehr als 30 Jahre später über ihre Leistung im Kabinett aus? Nichts. Was aber bedeutet eine unsauber verfasste Doktorarbeit für die Autorität der Bundesbildungsministerin? Sehr viel. Deshalb wird Schavan kaum zu halten sein, sollte ihr tatsächlich der Titel aberkannt werden.
Dazu aber müssten die Düsseldorfer Professoren allerstrengste Maßstäbe anlegen. So wie der anonyme Blogger, der die Vorwürfe vergangene Woche aufbrachte. Er schlägt schon bei wörtlich übernommenen Halbsätzen und Phrasen Alarm und kommt so auf Dutzende fehlerhafte Seiten. Es wäre interessant zu wissen, wie viele Dissertationen jedes Jahr an diesen Maßstäben scheitern würden; wahrscheinlich ein bedeutender Teil.
Die Causa Schavan verdient deshalb den Titel "Grenzfall der wissenschaftlichen Redlichkeit" - aber nur, solange nicht weitere gravierende Mängel belegt werden. An dieser Grenze hilft es nicht mehr weiter, plump die meist kleinen Verstöße zu summieren. Stattdessen verdient ein Blick auf die wissenschaftliche Leistung der Doktorandin Schavan mehr Aufmerksamkeit. Hat ihre Arbeit wirklich eine neue Erkenntnis hervorgebracht? Hat sie ein paar Sätze bloß dort übernommen, wo sie ohnehin gängige Theorien von Freud oder Fromm referierte? Oder bedient sie sich auch bei ihren Thesen, beim Kern ihrer Dissertation, fremder Gedanken?
Allerdings darf man zu Recht fragen, ob eine solche Überprüfung 32 Jahre nach Abgabe der Dissertation geboten ist. Straftaten verjähren früher, selbst Verbrechen, auf die lebenslange Haft steht, können nach 30 Jahren nicht mehr geahndet werden (außer Mord). Einerseits mag es unverhältnismäßig sein, dass dies für Dissertationen nicht gilt.
Andererseits ist es im Falle von Schavan und anderen Prominenten nun mal so: Wenn die Hochschule kein offizielles Urteil fällt, finden sich andere Experten, renommierte und zwielichtige, die das erledigen. Genauso geschieht es derzeit, und es wird anhalten, bis die Universität entschieden hat. Und indem Schavan schweigt, überlässt sie diesen Experten das Feld.
Angesichts der offensichtlichen Fehler in ihrer Arbeit sollte sie ihre ministeriale Routine unterbrechen und Reue zeigen. Dies wäre die richtige Geste an die Wissenschaft - und die richtige Konsequenz aus all den Plagiatsaffären.