Wie die Fälle Schavan oder Guttenberg wohl verlaufen wären, wenn es damals schon die neuen Leitlinien gegeben hätte? Im Nachhinein lässt sich darüber bunt spekulieren, ob ein stilles Verfahren in vertraulichen Fakultätsrunden der Bundesbildungsministerin und ihrem Kabinettskollegen vom Verteidigungsressort das Amt gerettet hätte.
Annette Schavan und Karl-Theodor zu Guttenberg hätten sich jedenfalls besser vorbereiten können: auf die öffentlichen Vorwürfe oder den Titelentzug. Sie hätten selbst als Erste an die Öffentlichkeit gehen und sich als große Büßer zeigen können. Wenn sich alle Beteiligten an die neuen Leitlinien der Hochschulrektoren gehalten hätten.
Deren Konferenz (HRK) hat kürzlich Empfehlungen beschlossen, die ein nicht-öffentliches Verfahren fordern. Verstöße gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis wie Datenfälschung oder eben Plagiate sollen demnach von Ombudspersonen an den Universitäten geprüft werden - und zwar ohne öffentliche Debatte. Diese "Vertraulichkeit" sei jedoch nicht gegeben, "wenn sich der Hinweisgeber mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet. In diesem Fall verstößt er regelmäßig selbst gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis", heißt es in dem Beschluss.
Erst kam der öffentliche Vorwurf, dann prüfte die Uni
Genau so lief es in den Fällen Schavan und Guttenberg - erst kam der öffentliche Vorwurf, dann prüfte die Hochschule. Die HRK-Empfehlungen wollen dies nun ächten, der Plagiatsentdecker kann vielmehr selbst als Täter dastehen, wenn er seinen Fund publik macht.
Die Konferenz der Hochschulrektoren, die sich immerhin als Stimme der Universitäten und Fachhochschulen versteht, befeuert damit die Debatte über Konsequenzen aus den jüngsten Plagiatsskandalen. Es geht um die Frage, wie transparent die heiklen Prüfverfahren ablaufen dürfen.
Informationslecks hatten der Universität Düsseldorf im Fall Schavan scharfe Kritik eingebracht, das Verfahren wirkte mitunter getrieben von Netzaktivisten und immer neuen Details, die öffentlich wurden. Schavan werde vorverurteilt, beklagten ihre Unterstützer. Allein durch die Vorwürfe war die Ministerin bereits beschädigt.
Aber ist dies ein Grund, die Öffentlichkeit draußen zu halten? Und wären die Verfahren ohne allgemeines Interesse so engagiert und - bei Guttenberg - so schnell abgelaufen? Wohl kaum.
Bei Plagiatsentdeckern ruft das HRK-Modell jedenfalls scharfe Kritik hervor. Dies sei ein "rechtswidriger Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit", sagt der Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano. Er hatte die ersten Guttenberg-Plagiate entdeckt und den Minister öffentlich kritisiert. Laut den neuen HRK-Leitlinien hätte er still die Prüfung abwarten müssen. Der Ruf des Verdächtigen wie auch der Universität könne durch die Vorwürfe beschädigt werden, sagt Fischer-Lescano. Aber schwerer wiege das berechtigte Interesse der Bürger an solchen Plagiatsverfahren.
"Man darf eine kritische Öffentlichkeit nicht ausschließen, im Gegenteil. Man muss sie miteinbeziehen, um jeden Verdacht der Vertuschung und des Korpsgeistes unter Wissenschaftlern von vorneherein auszuräumen." Eine Schweigepflicht wäre so, als dürfte die Presse über einen Kriminalfall erst berichten, wenn jemand rechtskräftig verurteilt sei, sagt Fischer-Lescano. Die Logik der HRK würde zu einer "Selbstzensur in der Wissenschaft führen". Das sei dann sogar "eine Aufforderung zu schlechter wissenschaftlicher Praxis".
Die HRK-Leitlinien kommen als "Empfehlung" daher, doch das klingt harmloser, als es ist. In der Debatte um Schavan wurden ähnliche Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) als angeblicher Beleg für das Versagen der Uni Düsseldorf angeführt; im öffentlichen Streit um die Deutungshoheit kommt ihnen damit Gewicht zu. Die DFG will zudem die umstrittene HRK-Leitlinie offenbar selbst übernehmen, wie in dem Rektoren-Beschluss angedeutet wird.
Die HRK-Vizepräsidentin Ulrike Beisiegel argumentiert vor allem mit der drohenden Vorverurteilung. "Allein durch einen öffentlichen Plagiatsverdacht kann der Ruf beschädigt sein, selbst wenn später kein Plagiat festgestellt wird", sagt Beisiegel. Sie hat die Empfehlungen federführend erarbeitet. Auch im Fall Guttenberg "wäre es nicht schädlich gewesen, wenn die Universität dies erst aufgearbeitet hätte und dann die Öffentlichkeit informiert wird".
Plagiatsjäger fürchten Angriff auf ihre Arbeit
Das erwartet die Professorin auch von Plagiate-Foren im Internet. Sie decken die meisten Verdachtsfälle auf, wenn sie genügend Belege haben. Die Mängeln eines Werkes werden gerne mittels eines Barcodes veranschaulicht. Jüngstes prominentes Beispiel: der Präsident des Bayerischen Landkreistages, Jakob Kreidl, dessen Doktorarbeit gerade von seiner Universität geprüft wird. Hier klingt Beisiegel etwas kulanter. Die Internetaktivisten sollten wenigstens die Vorprüfung durch die Hochschule abwarten oder allenfalls auf Untätigkeit hin reagieren. In ihren Empfehlungen steht dies jedoch so nicht.
Internetaktivisten wie Debora Weber-Wulff vom Forum Vroniplag halten dies für einen Angriff auf ihre Arbeit. "Die Leute feiern ihren Doktortitel öffentlich, sie tragen ihn öffentlich - warum sollte der Plagiatsverdacht nicht öffentlich behandelt werden?", fragt die Berliner Professorin. Schließlich gehe es um veröffentlichte Texte. Weber-Wulff hat festgestellt: Ohne öffentlichen Druck tut sich oft nichts. "Ich bin verwundert darüber, wie sich Unis herausreden, um den Titel nicht aberkennen zu müssen."
Andere prüften nun schon seit zwei Jahren Verdachtsfälle. Weber-Wulff spricht von "Verzögerungstaktik" einzelner Hochschulen. "Die Universitäten scheuen die Öffentlichkeit, sie wollen nicht in der Zeitung stehen." Mithilfe der neuen Leitlinie könnten sie öfter selbst darüber entscheiden, was wann geschrieben wird.