Plagiatsfälle an deutschen Hochschulen:Studieren nach Guttenberg

Der Plagiatsfall des früheren Verteidigungsministers und der Verdacht gegen Annette Schavan verunsichern Studenten. Sie wissen nicht so recht, was noch erlaubt ist und was nicht. Trotz zusätzlicher Regeln geht das Schummeln weiter.

Roland Preuß

Manchmal zeigt sich der Wandel nur an Kleinigkeiten, und bei Stephan Bierling sind es die Musik-CDs. Seit dieser Geschichte mit Herrn Guttenbergs Doktorarbeit brennt Bierling keinen einzigen Song mehr auf Disc. Er will nicht den leisesten Verdacht wecken, er ignoriere das, was er selbst propagiert: die geistigen Leistungen anderer zu respektieren. Stephan Bierling ist Politik-Professor an der Universität Regensburg, und man kann sagen, dass er auf Schummeleien bereits früher sehr geachtet hat. Schon vor dem Auffliegen des dreisten Plagiats in Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit Anfang 2011 mussten die Studenten und Doktoranden seines Instituts eine eidesstattliche Versicherung abgeben, dass sie ihre Arbeiten selbst geschrieben und Übernommenes sauber belegt haben. Das gilt selbst für Hausarbeiten.

Seit Guttenberg hat er mehrmals nachgelegt. Man kann das auf seiner Homepage gut verfolgen. Ein Plagiat könne "zum Ende des Politik-Studiums führen", steht da, "vielleicht können Sie später nicht mal mehr Verteidigungsminister werden". Selbst Positionspapiere und Info-Blätter zu Referaten dürften nicht aus dem Internet "zusammengestückelt" werden.

Die Ermahnungen an Studenten kommen von allen Seiten: von Professoren, von den Fakultäten, die oft strengere Vorschriften etwa zur Plagiatskontrolle erlassen haben, aber auch aus den Medien, die seit Guttenberg immer wieder über Plagiatsfälle berichten: Mehrere Politiker wurden überführt, weitere verdächtigt - seit Mai sogar Bundesbildungsministerin Annette Schavan, deren Doktorarbeit nach Vorwürfen von Internetaktivisten derzeit von der Universität Düsseldorf geprüft wird. "Aber ich merke bei meinen Studenten keine Verbesserung", sagt Bierling. Er findet weiterhin so viele Abschreiber wie zuvor. Im Schnitt ist es zwar nur ein Plagiator pro Semester, aber die sind ähnlich unausrottbar wie Seminarschwänzer.

Haben all die Plagiatsaffären, die Rücktritte, die Kontrollsoftware also nichts gebracht? Gibt es keinen Wandel im Kopf der Kommilitonen? Ein paar Antworten lassen sich bei Bierlings Studenten finden. 19 von ihnen sitzen an diesem Vormittag unter Neonröhren, vom pinken Spaghettiträger-Top bis zum Jackett mit Einstecktuch ist modisch alles vertreten. "Ich hoffe, Sie haben die Texte gelesen, auch wenn sie lang sind", sagt Bierling in die Runde. Er erntet Nicken und stumme Blicke. Studieren ist mitunter harte Arbeit, selbst wenn man sich sein Fach aus Interesse ausgesucht hat.

Und das scheuten eben manche Studenten, das habe sie bei anderen "auch schon mitgekriegt", sagt die Seminarteilnehmerin Fellanza Podrimja. Dann werde abkopiert - "aus Zeitmangel und Bequemlichkeit." Nach dem Kurs zum wissenschaftlichen Arbeiten am Studiumsbeginn fühlt sie sich gut gerüstet, Plagiate zu vermeiden. Die großen Plagiatsfälle hätten daran allerdings nichts geändert. Sie haben allenfalls Befremden hinterlassen. Wenn Autoren Kleinigkeiten angekreidet würden, so wie im Fall Schavan, sei das "Zufall und eine Hetzjagd", findet Podrimja.

Grenze zwischen Plagiat und unsauberem Arbeiten

Der Schavan'sche Grenzfall wissenschaftlicher Redlichkeit hat ihren Kommilitonen Jerome Baldowski vor allem verunsichert. "Ich sehe nicht mehr die Grenze zwischen Plagiat und Fehler im wissenschaftlichen Arbeiten", sagt er. Der Bildungsministerin werden einzelne wörtlich übernommene Sätze und sogar Halbsätze vorgeworfen, die sie teilweise zwar mit Fußnote belegt, aber nicht mit Zitaten gekennzeichnet hat. Kann man sich da noch sicher sein, dass in der eigenen Arbeit alles sauber ist?

"Die Studenten fragen viel nach und setzten Fußnoten auch dort, wo es nicht unbedingt nötig ist", sagt die Doktorandin Gerlinde Groitl, die Bierlings Studenten mitbetreut. Doch die Plagiatsfälle hätten an ihrer Arbeitsweise kaum etwas geändert, da sind sich die Studenten einig. "Auf Genauigkeit wurde von Anfang geachtet", sagt Matthias Jobst - und schiebt doch einen Einwand nach. "Wenn man postmodern argumentiert, ist es schwierig, Originalität für sich reklamieren", sagt er.

Bei solchen Sätzen wittert Professor Bierling schnell Gefahr. Ein laxer Umgang mit gedanklichen Leistungen würde teils philosophisch verschleiert, die Piraten-Partei befördere diese Mentalität, sagt er. "Das ist nicht kriminelle Energie, sondern eine Generation, der keiner beibringt, was geistiges Eigentum ist." Erst vor wenigen Wochen hat Bierlings Mitarbeiter Verdächtiges in einer Hausarbeit entdeckt, die Spur führte zum Internetportal Hausarbeiten.de. Dort werden fertige Arbeiten verkauft, als Appetizer gibt es oft die Einleitung zu lesen, und die ähnelte ungemein dem, was bei Bierling auf dem Schreibtisch lag. Also investierte der Professor die 12,99 Euro, um die Arbeit zu kaufen und entdeckte - ein volles Plagiat.

Für den jungen Mann ist das Politikstudium damit tatsächlich beendet. Aber nicht allein wegen des Plagiats. Es war bereits sein zweiter Versuch einer Hausarbeit - und nach dem ist Schluss. Wer dagegen das erste Mal mit einem Plagiat erwischt wird, kann es noch einmal probieren. Das Risiko ist also überschaubar - und sinke weiter, sagt Bierling. Von Herbst an kann er zwar ein Plagiat auf die Note der nächsten Arbeit anrechnen. Doch dann werden die Studenten wegen neuer Vorschriften sogar drei Versuche frei haben.

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