Plagiate:Der Knast der akademischen Rekorde

Das Gesetz macht's möglich: Reiche Kriminelle in Rumänien haben ihre Haftstrafen verkürzt, indem sie wissenschaftliche Arbeiten veröffentlichten. Selbst geforscht haben sie kaum.

Von Florian Hassel

Der Historiker Catalin Parfene wurde hellhörig, als ihn ein Bekannter auf ein neues Buch aufmerksam machte. Soeben hatte Gheorghe Copos, ehemaliger Vizepremier Rumäniens, Unternehmer und 2014 wegen Betruges zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, ein wissenschaftliches Werk herausgebracht. Thema: "Eheliche Verbindungen der rumänischen Fürsten des Altreichs und der Moldau" im Mittelalter.

Angeblich hatte Copos diese Studie hinter Gittern verfasst, doch ihr Titel ähnelte verdächtig Parfenes eigener, Jahre zuvor veröffentlichten Magisterarbeit: "Die Prinzen der rumänischen Fürstentümer und Südosteuropa. Aspekte ihrer Heiratspolitik zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert". Dafür hatte der junge Historiker an der Universität Bukarest erst einmal gelernt, mittelalterliche, in Kyrillisch geschriebene Dokumente zu lesen. Dann hatte er Informationen aus seltenen genealogischen Werken des 17. Jahrhunderts und aus obskuren rumänischen Zeitschriften aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zusammengetragen. "Es war Spezialistenarbeit und hat mich drei Jahre lang beschäftigt", sagt Parfene im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Dass der Sträfling Copos ein solches Thema bearbeitet haben sollte, erschien Parfene umso unwahrscheinlicher, als rumänische Häftlinge im Gefängnis weder Zugang zu Archiven und wissenschaftlichen Werken noch zu Computern haben.

Gheorghe Copos war vor seiner Verurteilung als Hotelier und Immobilienmogul bekannt, er zählte zu den reichsten Männern Rumäniens. Auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft hatte er aber nichts vorzuweisen. Dass seine Liebe dazu in der Haft erwachte, könnte mit einem handfesten Vorteil zusammenhängen, der ihm daraus erwuchs: Einem einzigartigen Gesetz zufolge, das in Rumänien seit 1969 in den Büchern steht und alle Regimestürze und Reformen überdauert hat, können Straftäter ihre Haft um 30 Tage verkürzen, wenn sie ein wissenschaftliches Werk veröffentlichen. Zwei Werke - 60 Tage. Und so weiter. Copos ließ sich fünf Werke anrechnen und verkürzte seine Haft allein dadurch um 150 Tage. Unter Anrechnung seines Alters und guter Führung kam er schon nach weniger als einem Jahr wieder frei.

Ein Ex-Politiker reicht zehn Studien ein. So reduziert er seine Zeit im Knast um fast ein Jahr

Auch andere Männer nutzten dieses Schlupfloch aus dem Gefängnis. Dan Diaconescu, wegen Erpressung zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilter Medienmogul, will fünf Bücher über Journalismus geschrieben haben. Gheorghe Popescu, ehemals Kapitän des FC Barcelona und 2014 wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt, gab vier Werke an. Der frühere Politiker Dan Voiculescu, 2014 wegen betrügerischer Privatisierung und Geldwäsche zu zehn Jahren Haft verurteilt, will diese Zeit gar mit zehn angeblichen wissenschaftlichen Arbeiten um fast ein Jahr verkürzen. Insgesamt meldeten allein von 2013 bis 2015 fast 190 vorwiegend prominente, wohlhabende Häftlinge mit angeblichen wissenschaftlichen Werken Anspruch auf Haftverkürzung an.

Der Historiker Parfene aber ließ im Fall des plötzlichen Mittelalterspezialisten Copos nicht locker. Zwar antwortete ihm die Gefängnisverwaltung, sie dürfe ihm Copos' Werk nicht aushändigen. Im Buchhandel war das Werk nicht zu kaufen. Auch der Verlag, bei dem Copos' angebliches Werk erschienen war, hatte angeblich kein Exemplar mehr vorrätig. Doch schließlich fand Parfene ein Exemplar in der Nationalbibliothek. "Da ich nicht wusste, ob das Buch später verschwinden würde, habe ich jede Seite abfotografiert." Zu Hause am Schreibtisch stellte Parfene fest, dass der Knastautor Copos - oder dessen Ghostwriter - bei ihm abgeschrieben hatte, einschließlich vieler Fußnoten. Und Parfene sah auch, dass offenbar einer seiner früheren Professoren als Verfasser des Vorwortes an dem Plagiat beteiligt war.

Nun ermittelt die Antikorruptionsbehörde

"Hinter allen Pseudo-Wissenschaftlern, die mit ihren angeblichen Werken früher aus dem Gefängnis kommen, steht ein Universitätsprofessor: Nur wenn ein Professor gegenüber der Gefängnisverwaltung den angeblichen wissenschaftlichen Wert bescheinigt, darf das Buch zur Haftverkürzung angerechnet werden", sagt Parfene. Der junge Historiker beschwerte sich bei der Universität Bukarest. Einem Ethikausschuss reichte er eine 25 Seiten lange Tabelle mit den Übereinstimmungen zwischen seiner Magisterarbeit und dem angeblichen Copos-Werk ein. Doch fast ein Jahr lang tat sich nichts.

Im November 2015 aber stürzten die Rumänen die Regierung unter Ministerpräsident Victor Ponta - selbst als Plagiator seiner Doktorarbeit aufgefallen und gegenwärtig wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung vor Gericht. Die Antikorruptionsbehörde DNA ermitteln nun gegen Dutzende Knastautoren, "Universitätsprofessoren, Vertreter von Verlagshäusern sowie Mitglieder der Evaluierungskommissionen der Haftvollzugsanstalten" wegen des Verdachts, wohlhabenden Häftlingen zu einem vorzeitigen Haftende verholfen zu haben. Seit Mai haben Staatsanwälte den Möchtegern-Mediävisten Copos im Visier. Wird er angeklagt und erneut verurteilt, dürften ihn die mittelalterlichen Heiratsbeziehungen nachträglich die Zeit hinter Gittern verlängern statt verkürzen.

Rumäniens neue Justizministerin, die Reformjuristin Raluca Pruna, würde den Artikel über die wissenschaftliche Haftverkürzung gerne streichen - findet aber keine Mehrheit im Parlament, im dem etliche plagiatsverdächtigte Parlamentarier das Sagen haben, die wiederum über oft gute Kontakten zu Gefängnisschreibern wie Copos verfügen. Die Regierung schränkte das Gesetz deshalb erst einmal per Eilerlass ein. Angebliche Wissenschaft hinter Gittern kann eine Haftzeit nun nur noch um 20 Tage vermindern - egal, wie viele Werke publiziert werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: