Süddeutsche Zeitung

Pisa-Studie:Sozial benachteiligte Schüler holen auf

  • Eine Neuauswertung der Pisa-Studie 2015 beschäftigt sich mit den Leistungen sozial benachteiligter Schüler.
  • Diese haben gegenüber ihren Klassenkameraden aufgeholt, liegen aber weiterhin deutlich hinter Kindern aus Akademikerfamilien zurück.
  • Die Forscher der OECD geben klare Tipps, was sich an Deutschlands Schulen ändern müsste.

Von Matthias Kohlmaier

Alle drei Jahre erscheint eine neue Pisa-Studie. Die Zwischenzeit nutzt die verantwortliche OECD aber nicht nur für die kommende Erhebung, sondern wertet auch die Daten der letzten Untersuchung anhand spezieller Fragestellungen neu aus. So wurde zum Beispiel vor einigen Monaten in einer Sonderauswertung die Situation von Schülern mit Migrationshintergrund analysiert.

Eine neue Studie der Pisa-Daten von 2015 beschäftigt sich nun mit dem Thema "Chancengleichheit in der Bildung: Abbau von Hindernissen für soziale Mobilität". Sie behandelt damit eines der zentralen Probleme nicht nur der deutschen, sondern aller Schulen weltweit: Wie lässt sich Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppeln? Oder etwas plakativer: Warum hängen gute Noten noch immer von der Postleitzahl ab?

In Deutschland, das vorab, unterscheiden sich die Leistungen von Kindern aus Akademiker- und Arbeiterfamilien immer noch beträchtlich. Allerdings hat das hiesige Bildungssystem seit der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000 auch einige Erfolge erzielen können. Die wichtigsten Erkenntnisse der OECD-Analyse:

Der größte Fortschritt in Deutschland dürfte tatsächlich sein, dass sich die soziale Schere in allen getesteten Themengebieten - Naturwissenschaften, Mathematik und Deutsch - leicht geschlossen hat. Der Teil des Leistungsunterschiedes, der sich durch soziale Faktoren wie Herkunft oder Bildungsstand der Eltern erklären lässt, hat sich verringert. Beispiel Naturwissenschaften: Dort ließen sich 2015 etwa 16 Prozent des Leistungsunterschiedes durch sozioökonomische Faktoren erklären. 2006 waren es noch vier Prozentpunkte mehr gewesen. Das ist mit die größte Verbesserung aller OECD-Länder.

Dennoch bleiben sozial benachteiligte Schüler noch immer deutlich hinter ihren Klassenkameraden zurück. Im Bereich Naturwissenschaften erzielten sie 466 Punkte (die OECD gruppiert die Punktwerte immer um den Mittelwert 500; lesen Sie hier nach, wie die Daten für Pisa erhoben werden). Das waren 103 Punkte weniger als Kinder aus bildungsnahen Milieus. Dieser Unterschied entspricht den Pisa-Forschern zufolge einem Bildungsrückstand von dreieinhalb Schuljahren, der kaum aufzuholen ist. Deutsche Bildungspolitiker wird vor allem beunruhigen, dass der Unterschied zwischen diesen Schülergruppen im OECD-Durchschnitt nur bei 88 Punkten liegt.

Befördert wird dieser Unterschied laut Pisa dann, wenn besonders viele sozial benachteiligte Schüler in derselben Klasse oder Schule zusammentreffen. Dies ist in Deutschland bei fast der Hälfte der bildungsfernen Kinder der Fall. Bekommen sie jedoch die Gelegenheit, mehrheitlich mit sozial bevorteilten Kindern zur Schule zu gehen, steigt ihr Testwert im Bereich Naturwissenschaften um 122 Punkte.

Diese Zahl unterstützt eine Forderung, die Bildungsexperten seit vielen Jahren wiederholen: Schulen müssen besser durchmischt sein. Sammeln sich hier die bildungsfernen und dort die bildungsnahen Schüler, ist das besonders für Erstere ein großer Nachteil.

Wie sehr Menschen in ihrer Bildungsschicht verhaftet sind, zeigen weitere Pisa-Ergebnisse. Demnach erreichten in Deutschland nur unterdurchschnittliche 24 Prozent der Erwachsenen im Alter von 26 bis 65 Jahren einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern; in Ländern wie Südkorea oder Finnland galt das für mehr als die Hälfte der Menschen. Außerdem lag für Kinder von Akademikereltern die Wahrscheinlichkeit acht Mal höher, auch selbst ein Studium abzuschließen, als das bei ihren sozial benachteiligten Klassenkameraden der Fall war.

Was raten die Bildungsforscher

Um die Unterschiede weiter zu verkleinern, fordert die OECD einen besseren Zugang für alle schon zur frühkindlichen Bildung. Kitas könnten eine gleichberechtigte Lernumgebung schaffen und Kindern helfen, soziale und emotionale Fähigkeiten zu erwerben.

Die größten Aufgaben sehen die Pisa-Forscher aber bei den Schulen und Schulpolitikern. Diese sollten ...

  • verhindern, dass fast ausschließlich sozial benachteiligte Schüler in einer Klasse oder Schule landen,
  • zusätzliche Ressourcen bereitstellen, um Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern zu unterstützen,
  • Eltern ermutigen, sich mehr in die Bildung ihrer Kinder einzubringen,
  • eine bessere Kommunikation zwischen Lehrkräften und Eltern fördern,
  • Lehrkräfte im Umgang mit heterogenen Schülerschaften fortbilden.

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