Pisa 2015 in Finnland:So will Finnland Schule spannender machen

Pisa 2015 in Finnland: Viele fragen sich, was schiefläuft in den finnischen Schulen, wo bis zur neunten Klasse alle gemeinsam lernen.

Viele fragen sich, was schiefläuft in den finnischen Schulen, wo bis zur neunten Klasse alle gemeinsam lernen.

(Foto: AFP)
  • Am Dienstag, 6. Dezember, erscheint die neue Pisa-Studie mit Schwerpunkt Naturwissenschaften.
  • Finnland war bei den ersten Erhebungen ganz weit vorn, hat bei den letzten Studien aber schwächere Leistungen gezeigt.
  • Darauf hat das Schulsystem reagiert.

Von Silke Bigalke, Helsinki

Die Finnen schaffen ihre Schulfächer ab, und die Handschrift auch. Beide Meldungen gingen um die Welt. So ist das immer, wenn es um Finnlands Schulen geht: Alle schauen hin, seitdem die Finnen im ersten Pisa-Test 2000 Spitzenplätze eingenommen haben. Vom "Bildungswunderland" war danach die Rede, und später von dessen "Entzauberung". Denn heute sind die Leistungen der finnischen Schüler gar nicht mehr so Spitze, 2012 landete das Land beim Pisa-Test in Mathe nicht mal unter den besten zehn. Nun sollen sie auch noch ohne Schulfächer auskommen, und ohne Füller? Was ist da los im Norden?

Zunächst einmal: Niemand schafft die finnischen Schulfächer ab, eine Schulreform sorgt lediglich für mehr fächerübergreifende Projekte. Und natürlich schreiben finnische Schüler weiterhin mit der Hand. Allein die schnörkelige Schreibschrift ist nicht mehr zwingend. Und trotz aller Einbußen: Das finnische Bildungssystem hat zuletzt immer noch besser abgeschnitten als das deutsche. Im Lesen und den Naturwissenschaften waren die Finnen auch 2012 noch die Besten in Europa.

Es stimmt allerdings, dass auch in Finnland die Leistungen sinken. Deswegen fragen sich nun alle, was schiefläuft in den finnischen Schulen, wo bis zur neunten Klasse alle gemeinsam lernen. Wo Schüler auf Socken herumlaufen und in Gruppen arbeiten. Wo Gemeinden und Lehrer vieles selbst bestimmen dürfen und der Staat nur den Rahmen vorgibt. Wo schwache Schüler nicht in Sonderschulen gesteckt werden, sondern sich ein zweiter Lehrer um sie kümmert, wenn nötig. Ist das alles am Ende doch nicht das richtige Konzept?

"Es gibt nicht die eine Erklärung für den Abstieg", sagt Tommi Karjalainen, Berater im finnischen Bildungsministerium, viele Faktoren hätten Einfluss. Einige Forscher meinten, dass die finnischen Schüler das Interesse am Lernen verlieren. "Sie sehen die formale Schulbildung nicht mehr als den einzigen Weg zu einer guten Zukunft", so Karjalainen. Früher war das anders. Früher war klar: Wer einen Schulabschluss macht, bekommt einen Job. Heute sind 17 Prozent der jungen Finnen bis 25 Jahre ohne Beschäftigung. Tommi Karjalainen meint aber noch etwas anderes, wenn er von Zukunftsperspektiven spricht: "Schule war früher der Ort, an dem man sich ausgetauscht, sich selbst verwirklicht hat." Heute gibt es dafür andere Kanäle, die sozialen Medien etwa.

Finnland möchte Schule nun spannender machen. Seit diesem Schuljahr gilt ein neues Curriculum, der Projekt-basierte Unterricht wird Pflicht. Die Schüler suchen sich ein Thema aus, die Flüchtlingskrise beispielsweise oder den Klimawandel. Sie lesen in Zeitungen darüber, recherchieren im Internet, diskutieren, beleuchten das Thema von allen Seiten.

"Schule wurde traditionell als Ort für Arbeit gesehen"

Um zu verstehen, was etwa der Brexit bedeutet, reicht ein Schulfach nicht aus, da spielen Politik, Geschichte, Wirtschaft eine Rolle. Vielleicht sogar Religion, um die Werte zu verstehen, die zu alldem geführt haben, sagt Professorin Kirsi Tirri, die an der Uni Helsinki Lehrer ausbildet. Nur mit diesem ganzheitlichen Ansatz könnten die Schüler verstehen, "was dort wirklich passiert". Gleichzeitig werden die Lehrer gezwungen, stärker zusammenzuarbeiten. "Sie sollen ihren Klassenraum für die Kollegen öffnen."

Der Fachbegriff dafür heißt "Phenomenon-Based Learning", in Finnland ist das nichts Neues. Neu ist, dass das Curriculum nun ein Projekt pro Schüler im Jahr vorschreibt. Den gewohnten Unterricht in Fächern wie Mathe, Englisch und Musik gibt es weiterhin. Die Projektarbeit ist nur ein Teil der Reform, die etwa auch die Lernorte verändern soll. Unterricht findet dann seltener im Klassenraum statt. Die Schüler können häufiger wählen, wo sie ihre Aufgaben machen, sich mehr bewegen.

Ob es etwas nützt für die Pisa-Ergebnisse? "Das werden wir in vier bis fünf Jahren sehen", sagt Anneli Rautiainen von der finnischen Bildungsbehörde. Sie spricht von "21st Century Skills", Fähigkeiten, die im 21. Jahrhundert wichtig sind: Lernen zu lernen, Verantwortung übernehmen, zusammen arbeiten, unternehmerisch sein. Und sie wollen den Schülern beibringen, Freude an der Schule zu haben. Anneli Rautiainen hofft, dass durch den Projektunterricht die Motivation der Schüler steigt.

Das war stets die Schwäche: Der Anteil derjenigen, die angeben, dass sie glücklich in der Schule sind, ist in Finnland gering. Nun ist wohl das Glücklichsein ohnehin wenig ausgeprägt in der finnischen Mentalität. Doch es steckt noch etwas anderes dahinter: Finnland ist ein protestantisches Land, drei Viertel gehören der lutherischen Kirche an. "Schule wurde traditionell als Ort für Arbeit gesehen, nicht für Spaß", sagt Tommi Karjalainen aus dem Bildungsministerium. "Lernen ist etwas, für das man sich anstrengen muss."

Dieselbe Arbeitshaltung führt laut Lehrerausbilderin Kirsi Tirri dazu, dass die besten Schüler am Ende selber Lehrer werden, ihr Wissen weitergeben wollen. Das ist ein Geheimnis des finnischen Erfolgs: "Wir vertrauen wirklich auf unsere Lehrer. Sie entscheiden, welchen Ansatz sie im Unterricht wählen", sagt sie. Kirsi Tirri hofft, dass es die Lernprojekte den Lehrern ermöglichen, sich stärker auf die talentierten Schüler zu konzentrieren. Denn bei der ganzen Gleichmacherei in den finnischen Klassen würden die Begabten oft vernachlässigt, sagt Kirsi Tirri. Die Lehrer schauten mehr darauf, dass auch die Schwächeren mitkommen.

Die Professorin hat ihre eigenen Erklärung dafür, dass Finnland bei Pisa Plätze einbüßt. Die asiatischen Länder hätten sich viel von den Finnen abgeschaut, ihre Schüler aber unter Druck gesetzt und Finnland überholt, sagt sie. Finnen streben nicht an die Spitze. "Finnen denken, Fünfter zu sein, ist ganz okay."

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