Schulvergleiche: Pisa? Braucht man nicht!

Schueler mit einem Geodreieck Hannover Deutschland Students holding a big triangle Hannover

Weniger Pisa-Punkte? Kein Grund zur Aufregung.

(Foto: imago/photothek)

Es gibt inzwischen genug Studien und Analysen, die für die Bildungspolitik vor Ort viel aussagekräftiger sind als der Vergleich der OECD. Deutschland sollte sich von Pisa nicht verrückt machen lassen.

Kommentar von Susanne Klein

Manchmal bekommt man auf aussichtsarme Fragen entlarvende Antworten. Als Pisa-Chef Andreas Schleicher vergangene Woche gefragt wurde, welche Überraschungen die Studie für Deutschland bereithalte, wollte er zwar nichts verraten, ließ sich aber zu dieser Andeutung hinreißen: Bei Pisa gebe es nie Überraschungen, die Studie spiegele wider, was vor Ort passiere. Wer das deutsche Schulsystem beobachte, könne die Ergebnisse vorhersagen.

Und wirklich, nun, wo die Studie erschienen ist, dürften sich Kenner der Bildungslandschaft bestätigt fühlen. War doch klar, dass es so kommt, sagen sie angesichts der als enttäuschend wahrgenommenen Ergebnisse. Lehrermangel, Unterrichtsausfall, schlecht ausgestattete Schulen, Zuwanderung, Sprachbarrieren, soziale Polarisation: Hat da irgendwer mit tollen Pisa-Noten gerechnet?

Recht haben sie. Schließlich gibt es in den drei kurzen Jahren zwischen zwei Pisa-Studien mit Vera, Iglu, IQB, TIMSS, Chancenspiegel, nationalem Bildungsbericht und regionalen Monitorings ja auch genug Analysen, um sich ein Bild davon zu machen, was Schüler wo in Deutschland erreichen und was wo nicht. Pisa? Braucht man dafür nicht. Trotzdem flackerte in den vergangenen Tagen die alte Nervosität wieder auf. Die Politik bat zum Hintergrundgespräch, Redaktionen planten Berichte auf allen Kanälen, Kritiker warnten vor Überinterpretationen.

Das posttraumatische Pisa-Syndrom, es wirkt immer noch. Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Schock, weil deutschen Schülern miserable Leistungen und dem deutschen Schulsystem ein desaströses Chancenmanagement bescheinigt wurde, sitzt die Angst vor der Blöße weiterhin tief. Sicher, es gab die Aufwärtskurve, nur wenigen Staaten gelang nach der ersten Pisa-Erhebung im Jahr 2000 eine so positive Entwicklung. Für unaufgeregte Gewissheit reichte das aber nicht. 2015 flachte die Kurve ab, die Furcht vor negativen Pisa-Ergebnissen kehrte zurück.

Nur, welche Ergebnisse sind das eigentlich? Man könnte stundenlang Befunde auflisten, der Erkenntniswert bliebe klein, denn bei Pisa kann sich jeder seine Wahrheit herauspicken. Die Pisa-Forscher verschweigen die Schwächen der Studie zwar nicht, "Pisa-Punktzahlen haben keine konkrete Bedeutung", geben sie in der Studie zu. Aber sie machen dem Hype um Pisa-Punkte auch kein Ende. Im Gegenteil, sie bedienen ihn mit ellenlangen Punktetabellen, in denen 79 Länder und Regionen vermeintlich miteinander konkurrieren. Mit den Rankings suggeriert die Studie Vergleichbarkeit, wo oft keine ist. Weil ein paar Punkte Unterschied statistisch nichts bedeuten, weil sich die Testaufgaben verändern, weil sie weltweit nicht gleich gut funktionieren. Doch egal, trotz aller Fragwürdigkeiten werden die volatilen Daten immer wieder in Hitlisten gepresst.

Ja, der Pisa-Schock hat aufgerüttelt, offenbar brauchte die Bildungspolitik diese weltöffentliche Schmach, um endlich darauf zu reagieren, was aufmerksame Beobachter des deutschen Schulsystems längst anmahnten. Doch heute hat Deutschland genug eigene Qualitätskontrollen, die wissenschaftlich widerspiegeln, "was vor Ort passiert". Für die Schulentwicklung in den Ländern und Gemeinden liefern sie weit konkretere Anhaltspunkte als die Pisa-Studie. Es wird Zeit, sich darauf zu besinnen. Pisa? Kein Grund zur Aufregung.

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