Süddeutsche Zeitung

Papyrologie:Bologna "ist der Tod vieler Lehrformen"

Andrea Jördens ist Papyrologin an der Uni Heidelberg. Ein Gespräch über ihre Studenten aus verschiedensten Fachbereichen und die Modularisierung im Studium.

Interview von Matthias Kohlmaier

In den Unigesprächen befragen wir Forscher und Hochschullehrer, die sich mit einem sehr speziellen Fachgebiet beschäftigen. Diesmal im Interview: Andrea Jördens, die am Institut für Papyrologie der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität forscht und lehrt.

SZ.de: Frau Jördens, wie sind Sie zu Ihrem sehr speziellen Forschungsbereich gekommen?

Ich bin Klassische Philologin und habe einen Teil meines Studiums in Florenz absolviert. Damals hat mir eine Freundin geraten, alles das zu machen, was es in Deutschland nicht gäbe, wie etwa die Papyrologie. Nach meiner Rückkehr nach Heidelberg wurde das Fach dort gerade eingerichtet. Ein glücklicher Zufall.

Worum geht es in der Papyrologie?

Wir beschäftigen uns mit dem griechischen Millennium, also den tausend Jahren von 300 vor bis 700 nach Christi Geburt, als Griechisch im Raum Ägypten Amts- und Umgangssprache war. Die meisten denken ja bei Papyri direkt an Ägypten - das ist bezüglich der Herkunft der Texte richtig, es hat aber nichts mit den ägyptischen Sprachen oder Hieroglyphen zu tun. Wir wollen die Papyri in den Kontext der Alltagskultur einordnen und so die Welt der Antike in Ägypten und anderswo, wo schließlich vieles ganz ähnlich verlief, besser kennen und verstehen lernen.

Lassen Sie uns über das Studium sprechen. Welche Lehrveranstaltungen können Studierende bei Ihnen besuchen?

Ich biete eine Vorlesung an, in der ich versuche, anhand der Papyri ein Bild der Epoche zu entwerfen - immer mit einem anderen Schwerpunkt. Per Studienordnung sind die Studierenden verpflichtet, Module zu belegen, in denen sie fachübergreifende Kompetenzen erwerben. Viele kommen deswegen zur Papyrologie. Wer genau, hängt vom Thema der Veranstaltung ab. Bei "Griechische Literatur und Bildung in Ägypten" kommen viele Philologen, wenn ich kommendes Semester die Verwaltung des kaiserzeitlichen Ägypten bespreche, werden wohl hauptsächlich Althistoriker teilnehmen. "Jüdisches Leben in Ägypten" besuchen vorwiegend Theologen oder Studenten von der Hochschule für Jüdische Studien. Ich treffe aber auch auf Soziologen oder Altorientalisten.

Bekommen Sie Feedback dazu, warum sich Studierende für die Papyrologie interessieren?

Es gibt drei Gruppen: Manche kommen aus einem benachbarten Fach und halten es für eine sinnvolle Ergänzung; manche sagen "Irgendwas muss ich ja machen und das ist wenigstens mal was anderes"; bei der dritten Gruppe passt die Vorlesung halt gerade gut in den Stundenplan. Zu meinen Vorlesungen kommen teilweise mehr als 30 Studierende, zu Seminaren deutlich weniger.

Was bedeutet das gemischte Publikum für Sie als Hochschullehrerin?

Mir macht das Spaß, weil jeder Student das Wissen aus seinem speziellen Fachbereich einbringen kann, was der Diskussion meistens sehr gut tut. Es ist nicht so wichtig, aus welchem Fach die Studierenden kommen, da wir sowieso mit vielfältigen Methoden arbeiten. Für die Seminare wäre es natürlich gut, wenn Teilnehmer Griechisch könnten. Lateinkenntnisse sind nicht so wichtig, weil Latein im damaligen Ägypten eigentlich nur in der Armee verwendet wurde.

Kommen viele Studenten aus dem Ausland zu Ihnen?

Auf jeden Fall. Ich veranstalte regelmäßige Kaffeetrinken für alle hier Beschäftigten und Studierenden. Da sind die einzigen Deutschen am Tisch meistens das technische Personal und ich als Leitung. Auch in meinen Seminaren sitzen zu etwa 80 Prozent Studierende aus dem Ausland. Viele kommen nach dem Master im Rahmen einer Promotion zu uns.

Wie sieht das Publikum in Ihren vertiefenden Seminaren aus fachlicher Sicht aus?

Ich habe zuletzt ein Seminar zum Thema Handel angeboten. Da saß z. B. ein Erstsemester mit sehr guten Latein- und Griechischkenntnissen neben meiner Doktorandin, Italienerin und Klassische Philologin, und die wiederum neben einer Archäologin aus dem achten Semester, die kein Wort Griechisch konnte. Trotzdem war das ein fantastisches Seminar, weil sich die Teilnehmer gerade durch ihre Verschiedenheit perfekt ergänzt haben. Ich finde es ohnehin sehr förderlich, wenn langjährige Studenten und Erstsemester in Seminaren aufeinandertreffen. Seit der Bologna-Reform passiert das ja kaum noch.

Sie stört das Bachelor/Master-System, das den Studienverlauf deutlich strikter regelt als das früher etwa beim Magister der Fall war?

Stören ist vielleicht das falsche Wort. Ich finde, es mindert Erkenntnisgewinn und Möglichkeit zur Selbstreflexion in Seminaren. Es ist doch toll, wenn ältere Studenten auf Erstsemester treffen und sehen, wo sie hergekommen sind - und umgekehrt neue Studierende sehen, wohin es gehen könnte. Die politisch geforderte Modularisierung des Studiums ist der Tod vieler Lehrformen und insbesondere all dessen, was langjährige Sprach- oder Materialkenntnisse erfordert.

Kleine Fächer müssen an vielen Unis um ihren Erhalt kämpfen. Ist die Zukunft der Papyrologie in Heidelberg gesichert?

Durch Sparmaßnahmen bei den Unis in Baden-Württemberg musste über die vergangenen Jahre Geld für jegliche Art von Ausbau immer aus dem laufenden Betrieb genommen werden. Das tut den kleinen Fächern natürlich am allermeisten weh! Wenn eh schon wenige Mittel da sind, geht es dann sofort ans Eingemachte. Ob die Papyrologie über meine Dienstzeit hinaus erhalten bleibt, ist zumindest ungewiss.

Weil es keine geeigneten Forscher gibt?

Es gäbe rein fachlich gesehen eine Reihe kluger Leute, die das weiterführen könnten, in Deutschland, aber auch international - und wir brauchen sie angesichts Zehntausender unveröffentlichter, fragiler und deshalb immer gefährdeterer Papyri. Gerade Heidelberg hat in unserer Disziplin weltweit einen sehr guten Ruf: Aber leider spielt das nach meiner Erfahrung keine Rolle, wenn der politische Wille fehlt. Ob der da ist, hängt von einzelnen Personen ab und davon, welche Ämter sie gerade innehaben, wenn Entscheidungen gefällt werden müssen. Zurzeit gibt es deutschlandweit übrigens fünf Lebenszeitstellen in der Papyrologie.

Neben Heidelberg unter anderem auch in Berlin, Köln und Trier. Wie hat sich das Fach hierzulande entwickelt?

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben viele Juristen in der Papyrologie geforscht, weil die Papyri die einzigen Alltagsdokumente aus der Antike sind, die das aktive Rechtsleben beleuchten. Da der Großteil dieser Juristen jüdischer Herkunft war und viele andere Wissenschaftler gefallen sind, musste der Forschungszweig nach dem Zweiten Weltkrieg fast komplett neu aufgebaut werden. Zu nennen ist hier vor allem Reinhold Merkelbach, der die Kölner Papyrussammlung begründet hat. Wichtiger noch war dann die Ausbauphase der Universitäten in den 1970er Jahren.

Abschließend noch eine Frage zum Studium: Was muss ein Student mitbringen, um in der Papyrologie Lehrveranstaltungen erfolgreich besuchen zu können?

Für die Vorlesungen muss er gar nichts mitbringen, die gestalte ich so, dass eigentlich jeder mitkommt. Ich verwende zwar viele griechische Fachbegriffe, füge aber immer gleich eine Übersetzung bei. Wer Papyrologie vertiefend betreiben will, muss dann natürlich die Sprache der Originaldokumente beherrschen. Sehr hilfreich ist auch die Liebe zu Puzzlearbeit - wir Papyrologen sind moderne Schatzsucher.

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