Süddeutsche Zeitung

Numerus clausus:In der Bildungsbäckerei

Früher-schneller-günstiger statt Höher-schneller-weiter: Dass Unis den Zugang zum Studium immer stärker beschränken, klingt ungerecht. Es ist aber nur die halbe Wahrheit - und den Numerus-clausus-Opfern bleiben Wahlmöglichkeiten.

Ein Kommentar von Johann Osel

Der Aufschwung der Wirtschaft werde "ein rasches Ende nehmen", es drohe ein "nationaler Notstand erster Ordnung". In allen Bereichen sei "ein beängstigender Mangel an Akademikern" zu erwarten. Mehr Abiturienten, mehr Studenten forderte der Philosoph und Reformpädagoge Georg Picht Mitte der Sechzigerjahre, er rief den "Bildungsnotstand" aus. Die Politik lasse es "in dumpfer Lethargie geschehen", dass das Land "hinter der internationalen Entwicklung der wissenschaftlichen Zivilisation" zurückbleibe.

Mehr als 40 Jahre später ist - schon in quantitativer Betrachtung - der Niedergang abgewendet. Gut die Hälfte jedes Jahrgangs erwirbt das Abitur oder Fachabitur; viele Hochschulen werden praktisch überrannt. Eben deshalb bahnt sich aber nun ein neuer Notstand an.

Das dritte Jahr in Folge liegt die Anzahl der Studienanfänger bei einer halben Million - von der Politik wird diese Bildungsexpansion mit Jubelrufen flankiert. Die Hochschulen aber ziehen Mauern auf: Der Numerus clausus für Bachelor-Studiengänge wird fast der Regelfall, vor allem in attraktiven Universitätsstädten. Wer keine Spitzennoten im Zeugnis hat, kommt nicht an den gewünschten Studienort, vielleicht auch nicht an das gewünschte Fach. Oder er muss Wartesemester erdulden. Das klingt nach einer kolossalen Ungerechtigkeit. Es ist aber nur die halbe Wahrheit.

Die Rektoren reiben sich nicht feixend die Hände

Den Hochschulen kann man ihr Vorgehen nicht zum Vorwurf machen. Die Rektoren reiben sich nicht bösartig feixend die Hände. Sie sind sich bewusst: Wenn man junge Leute hineinlässt, muss man ihnen auch ein Angebot machen, das den Namen Studium verdient. Die Rektoren wissen, dass ihre Häuser schon jetzt zu einer Art Bildungsbäckerei geworden sind, und sie wollen verhindern, dass das immer schlimmer wird.

Wie ist die Lage denn? Teiglinge, zuvor in den Schulen geknetet, werden hineingeschoben. Anschließend wird ihnen kurz Zeit zum Reifen zugestanden, bevor sie unter Hitze und in festen Formen bis zum Bachelor gebacken werden - und die Bäckerei verlassen. Möglichst schnell, kostengünstig bitte. Das Ausmaß dieser Expansion hätte sich der Pädagoge Picht wohl nie im Leben ausgemalt.

Doch ohne eine wirklich verlässliche Finanzierung ergibt die Expansion wenig Sinn. Zwar war die Politik nicht untätig: Mit dem Hochschulpakt wurde schon vor Jahren der Aufbau zusätzlicher Studienplätze beschlossen. Jüngst haben Bund und Länder den Pakt gar aufgestockt - jedoch gerade mal an die prognostizierten Anfängerzahlen angepasst. Der grundsätzliche Mangel an Personal und an geeigneten Räumen aber ist damit nicht behoben.

Den 22-jährigen Vollakademiker hat man sich erhofft

Die Leidtragenden sind die jungen Leute: Sie sollten ja schnell in den Job kommen, so sah es der Höher-schneller-weiter-Zeitgeist vor. Erst hat man das Gymnasium verkürzt, den Stoff in acht Jahre gepresst. Die zum Abitur gepeitschte Jugend sollte dann effizient studieren, drei Jahre Bachelor lassen die große Wissenschaft eher außen vor.

Den 22-jährigen Vollakademiker hat man sich erhofft - man wird ihn nicht bekommen, wenn man ihm nicht nach dem Abitur Studienplätze offeriert. Mit einer grenzenlosen Zulassung täten die Unis der Jugend aber auch keinen Gefallen. Ein schlechter Studienplatz nützt niemandem.

So bleiben Numerus-clausus-Opfern zwei Optionen: Man kann die Provinz entdecken lernen, oder die neuen Länder. Denn an kleineren Hochschulen ist der Andrang oft geringer, ebenso im Osten, wo es weniger heimische Abiturienten gibt. Zweitens kann die Berufsausbildung eine reizvolle Variante sein. Eine Lehre leistet nicht das, was ein Studium leistet. Und jeder, der will und fähig ist, soll die Chance auf akademische Bildung haben. Aber so unähnlich ist die Bachelor-Backstube der Berufsschule auch nicht mehr.

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SZ vom 01.08.2013/fran
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