Nikab-Verbot an Schulen:Der große Streit um ein winziges Problem

Nikab Vollverschleierung

Eine Frau trägt einen Nikab: Drei Bundesländer wollen die Vollverschleierung in der Schule nun verbieten.

(Foto: dpa)

Es gibt gute Argumente gegen die Vollverschleierung. Doch die Debatte um ein Nikab-Verbot bläst Konflikte auf, statt sie zu lösen.

Kommentar von Susanne Klein

Schon wieder tobt er, der hitzige Streit um ein Stück Stoff auf dem Kopf muslimischer Schülerinnen. Alle paar Wochen entzündet er sich, zumeist an dem Kopftuch, diesmal am Nikab. Soll, muss man ihn in der Schule verbieten? Die schwarze Textilie, die den Kopf der Trägerin ganz verhüllt und ihr nur einen schmalen Sehschlitz erlaubt, ist politisch betrachtet ein rotes Tuch. Sowohl die Meinungsmacher der Parteien als auch die Stimmungstreiber in Sachen Islam gehen so zuverlässig darauf los wie der Stier auf die Muleta des Toreros.

Bei so viel Vehemenz im Diskurs geraten leisere Fragen leicht ins Hintertreffen: Wie relevant ist der Streit um das Stück Stoff? Wem nützt ein Verbot? Es bringt das Miteinander der Menschen in diesem Land jedenfalls nicht voran.

Ausgelöst hat die Debatte eine zum Islam konvertierte, 16-jährige Berufsschülerin. Seit einigen Monaten kommt sie in Hamburg mit Nikab zum Unterricht. Nun entschied das Oberverwaltungsgericht der Hansestadt: Das ist ihr gutes Recht. Die strenggläubige Schülerin darf sich auf die "vorbehaltlos geschützte Glaubensfreiheit" berufen - zumindest solange das hamburgische Schulgesetz diese nicht explizit einschränkt. Dafür will die Stadt nun schnellstmöglich sorgen. Sie bleibt damit nicht allein. Schleswig-Holsteins Jamaika-Koalition einigte sich diese Woche auf ein Vollverschleierungsverbot an Schulen. Und der Funke springt weiter, auch Baden-Württemberg will sein Schulgesetz anpassen. Bayern und Niedersachsen verbieten den Schleier schon seit 2017.

Die Argumente der Verbotsverfechter haben viel für sich. Die Vollverschleierung macht Frauen in der Öffentlichkeit unsichtbar, deshalb steht sie für Unterdrückung. In einer freiheitlichen Gesellschaft soll aber jeder offen sein Gesicht zeigen dürfen. Das gilt besonders in der Schule, denn geistiges und soziales Lernen basieren auf Kommunikation, zu der neben dem gesprochen Wort auch die unverhüllte Mimik zählt.

Gute Argumente in der falschen Debatte

Alles richtig, alles wahr. Aber auch gute Argumente sind nicht davor gefeit, für falsche Debatten herhalten zu müssen. Denn der Fall der Hamburger Schülerin ist doch vor allem: ein Einzelfall. Von anderen Nikab-Trägerinnen war aus den Schulen Hamburgs bislang nichts zu hören. An den knapp 800 Schulen in Schleswig-Holstein ist trotz des geplanten Verbots gar kein Fall bekannt geworden. Die Göttinger Professorin für Islamwissenschaft Riem Spielhaus schätzt, dass in ganz Deutschland an Schulen und Universitäten bis heute weniger als ein Dutzend Fälle publik wurden.

Angesichts dieser Realität nimmt sich die Erregung über Nikab tragende Schülerinnen paradox aus. Hier wird auf fiktiven Köpfen über ein "Problem" gestritten, das es nicht gibt. Wer etwas anderes behauptet und nach Verboten ruft, sorgt sich nicht um vollverschleierte Mädchen. Er sorgt sich darum, dass die Mehrheitsgesellschaft eine Gelegenheit verpassen könnte, einer orthodox-islamischen Minderheit einen symbolischen Riegel vorzuschieben - und sei der Anlass dafür auch noch so nichtig.

Der Streit um ein Nikab-Verbot ist ein Symbolstreit, der Konflikte aufbläst, wo keine sind. Deshalb ist es gut, dass die Mehrheit von elf Bundesländern zurzeit nicht vorhat, die Schulgesetze zu ändern. Man kann die Vollverschleierung auch ablehnen, ohne Verbote zu schreiben.

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