Big Data ist umstritten: Auf Basis riesiger Datenmengen werden Vorhersagen getroffen, die über einen Lebensweg entscheiden können - zum Beispiel, wenn ein Schüler den Rat bekommt, Medizin zu studieren oder Automechaniker zu werden.
Das stimmt und hier liegt die größte Gefahr, wenn wir Big Data in unsere Bildung integrieren. Diese Datenanalyse sollte deshalb immer nur dazu dienen, den Lernprozess zu verbessern, aber nicht zum Filtern eingesetzt werden. Denn Big-Data-Vorhersagen beruhen immer nur auf Wahrscheinlichkeiten, aber sie können Schülern ihre Freiheit auf Zukunft nehmen. Bloß auszusieben kann nicht die Aufgabe von Schule sein.
Wie könnte also eine sinnvolle Nutzung von Big Data im Unterricht konkret aussehen?
Eine Deutschklasse in der Oberstufe könnte beispielsweise die Literatur auf Tablet-Computern lesen. Mit Hilfe einer Software kann dann der Lehrer Einblick in die anonymisierten Anstreichungen der Schüler erhalten: Er sieht dann, welche Stellen die Schüler bei ihrer Lektüre interessant fanden und wo sie Fragen oder Probleme hatten. Auf dieser Grundlage kann er die nächste Unterrichtsstunde gestalten.
Warum werden solche Medien nicht längst an Schulen verwendet? Die meisten Schüler kennen Tablets ohnehin von zu Hause.
Das Bildungssystem ist ein Ökosystem, das sich mit Innovationen sehr schwer tut. Das liegt zum einen daran, dass Schulbuchverlage und Entscheider in der Bildung eher konservativ sind und Lehrmethoden oft auf Stereotypen, Präferenzen und Ideologie basieren. Aber auch viele Eltern sorgen sich, wenn ihre Kinder mit neuen Methoden konfrontiert werden, die noch nicht erprobt sind. Deshalb sträubt sich Bildungspolitik gegen Big Data und bleibt lieber beim Bewährten.
Viktor Mayer-Schönberger ist Jurist und Experte für Datensicherheit und Big Data. Er wurde in Österreich geboren, ist heute am Oxford Internet Institute tätig und berät außerdem Unternehmen und internationale Organisationen. Breite Öffentlichkeit fand sein Buch "Delete", in dem er das Recht auf Vergessen fordert. Zuletzt erschienen von ihm und Kenneth Cukier im Redline Verlag die beiden Bücher "Lernen mit Big Data. Die Zukunft der Bildung" sowie "Big Data. Die Revolution, die unser Leben verändern wird".
Wenn der Lernprozess, wie Sie vorschlagen, durch Big Data optimiert werden kann, steigt auch der Druck auf die Schüler: Wenn sie jetzt versagen, ist nicht mehr der Lehrer schuld, sondern sie selbst.
Tatsächlich liegt es bisher nicht am Schüler, ob er sein Potenzial ausschöpfen kann, sondern an der Form des Lernens. Wenn man diese effektiver macht, erhöht das die Verantwortlichkeit der Schüler. Denn natürlich ist es leichter zu sagen: Mein Lehrer ist ein Idiot.
Die Schule ist die Zeit der Jugendsünden, nicht jeder war andauernd Musterschüler. Wächst durch Big Data nicht auch das Risiko, dass man seine Vergangenheit nicht mehr loswird?
Es besteht die Gefahr, dass alte Fehler aus der Schule uns ein Leben lang verfolgen. Wichtig ist deshalb, dass es auch hier ein gesetzlich geregeltes Vergessen gibt: Nach einer bestimmten Zeit sollten die personenbezogenen Daten anonymisiert, zusammengefasst oder gelöscht werden.