Nachwuchs im Studium:Bachelor mit Baby

Ein eigenes Kind stellt viele Studenten vor enorme Probleme. Trotz des Krippen-Ausbaus fehlen Betreuungsplätze. Viel schlimmer allerdings: Es mangelt an Verständnis, wenn der Nachwuchs krank ist. Einige Universitäten entwickeln familienfreundliche Modelle.

Ralf Steinbacher

Bei vielen Münchner Kinderkrippen hatte Nathalia von Dall'Armi ihren Sohn angemeldet, doch die Architekturstudentin bekam nirgendwo einen Platz. Schließlich fand sie eine Tagesmutter, die ihn zumindest 15 Stunden die Woche betreute, mal nahm ihn vormittags eine Freundin, und "manchmal habe ich ihn auch einfach an der Uni dabeigehabt", erzählt die 31-Jährige.

Nachwuchs im Studium: Studieren mit Kind ist oft ein Kraftakt: Die Studentin Nathalia von Dall´Armi mit ihren Kindern Cosima und Leopold am Eingang der TU München.

Studieren mit Kind ist oft ein Kraftakt: Die Studentin Nathalia von Dall´Armi mit ihren Kindern Cosima und Leopold am Eingang der TU München.

(Foto: Robert Haas)

Eineinhalb Jahre lang ging das so - bis für den kleinen Leopold endlich ein Platz in einer Krippe des Münchner Studentenwerks frei wurde. Doch inzwischen hat von Dall'Armi ihr zweites Kind bekommen - und die Probleme gehen für die studierende Mutter im neuen Semester wieder von vorne los.

Eine Gesellschaft, die sich wie die deutsche mehr Kinder wünscht, muss sich auch daran messen lassen, was sie dafür tut. Der Geschäftsführer des Studierendenwerks Hamburg, Jürgen Allemeyer, sieht da Defizite, aber auch eine gute Entwicklung. Zu Ersterem gehört vor allem die hohe Kinderlosigkeit in Akademikerfamilien, besonders im Wissenschaftsbetrieb. Ziel müsse deshalb sein, Familien im Studium systematisch zu unterstützen, denn "wer schon im Studium den Mut zum Kind hat, kann als Akademiker gelassen Karriere und Familie planen".

Speziell in der Kinderbetreuung hat sich in den vergangenen Jahren an den Universitäten einiges getan, wozu die Studentenwerke viel beigetragen haben. Das Hamburger etwa hat Plätze für 380 Kinder, das Studentenwerk München verfügt über mehr als 400 Plätze, schwerpunktmäßig für Ein- bis Dreijährige, zwei bieten auch Kindergartenplätze an. Doch trotz dieser Investitionen existieren häufig noch Wartelisten, es bleibt noch viel zu tun.

Andrea Meenken, Sozialberaterin im Studierendenwerk Hamburg, hält das Problem der Ad-hoc-Betreuung für das drängendste. Zu ihr kommen Eltern, die sagen: "Mein Kind ist krank, darf nicht in die Kita, was mache ich jetzt?" Oder die nicht in ihre Lerngruppe gehen können, weil sich die abends trifft. Allemeyer fordert deshalb einen Anspruch auf flexible Kinderbetreuung im Studium, mehr Kita-Plätze und preisgünstigen Wohnraum für Eltern. Zudem müssten Prüfungs- und Studienordnungen flexibler werden und auch Familienprobleme wie die Krankheit von Kindern berücksichtigen.

Das Problem ist nicht unbedingt ein finanzielles

Um hier weiterzukommen, braucht es keine großen Investitionen - es genügt guter Wille, wenn Fakultäten und Senat an einem Strang ziehen wie an der Universität Regensburg. Erstmals beginnt in der ostbayerischen Stadt nun ein Semester, in dem Studenten, die Eltern sind oder Angehörige betreuen, besondere Freiheiten haben. Sie dürfen länger studieren, können sich länger Zeit für Seminar- und Abschlussarbeiten lassen, haben Vorrang bei der Wahl der Lehrveranstaltungen, können alternative Prüfungstermine bekommen und Klausuren auch kurzfristig absagen, wenn sie Kinder betreuen müssen.

Fünf Prozent aller Kommilitonen im Erststudium hatten 2009 mindestens ein Kind, das sind hochgerechnet 95.000 Frauen und Männer, wie die 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ergeben hat, derzeit die aktuellste. Müsste man aus diesen Daten einen Durchschnittstypen destillieren, wäre der eine Frau, 31 Jahre alt, im Vollzeitstudium mit Nebenjob und in einer festen Beziehung.

Es könnte sich um Nathalia von Dall'Armi handeln. Die 31-Jährige ist verheiratet, ihr Mann ist berufstätig. Bis zum Bachelor studierte sie an der FH München Architektur, bekam während dieser Zeit ihren Sohn und traf auf Dozenten und Kommilitonen, die kein Problem damit hatten, wenn sie ihr Kind mitbrachte, weil es eben nicht anders ging. Mit dem Wechsel an die TU machte sie viele ähnliche gute Erfahrungen.

In einem Semester jedoch traf sie auf eine Kommilitonin, die kein Verständnis dafür hatte, dass sie mal spontan ein paar Tage fehlte, weil der kleine Leopold krank war. Oder dass sie wegen des Krippenplatzes, den sie mittlerweile endlich gefunden hatte, zu anderen Zeiten studieren musste, als dies Studenten ohne Kinder tun. "Ich fange um 8 Uhr an und gehe um 16 Uhr, egal, was ist." Im Wintersemester wird sie zudem noch ihr Baby an die Uni mitnehmen müssen - sie hat keinen Krippenplatz für die Kleine gefunden.

Mütter leiden in der Regel mehr als Väter unter der Mehrfachbelastung, Studium und Kind unter einen Hut zu bringen. Die Sozialerhebung, für die 16.000 Fragebögen ausgewertet wurden, zeigt außerdem, dass Studenten mit Kind zwar durchschnittlich sechs Wochenstunden weniger als ihre Kommilitonen ohne Kind fürs Studium aufwenden, aber die zeitliche Belastung genau wie diese häufig als zu hoch empfinden. Jeweils mehr als die Hälfte sieht dies so.

Und natürlich unterbrechen Eltern auch häufiger das Studium: 40 Prozent derjenigen mit Kind pausieren (neun Prozent ohne) - Frauen meist wegen der Geburt selbst, oft geht es den Eltern aber auch darum, Zeit für die Erziehung zu haben oder Geld zu verdienen. Und fast jeder zweite Studierende mit Nachwuchs kommt zu den Beratern der Studentenwerke mit der Frage: "Wie kann ich Studium und Kind besser vereinbaren?"

Mütter leiden unter der Belastung

Wie man Studenten und Mitarbeiter dabei unterstützen kann, erarbeiten im Programm "Familien in der Hochschule" seit Jahren zwölf Universitäten. Die Ergebnisse wollen sie im November vorstellen. In einem "Best-Practice-Club" entwickeln sie mustergültige Konzepte, ein Schwerpunkt lautet "Familienunterstützende Angebote und Dienstleistungen". Solche macht zum Beispiel die Universität Wismar. Sie bietet Elternarbeitsplätze mit Kinderspielbereich, eine Spielecke und kostenloses Kindermenü in der Mensa, Plätze zum Wickeln und Stillen, die Campus-Kita und eine Opa-und-Oma-Wunsch-Börse, also ehrenamtliche Kinderbetreuung. Zudem gibt es eine Notfallkinderbetreuung von 6 bis 20 Uhr.

Eine gute Kinderbetreuung ist Voraussetzung für ein Studium mit Kind, aber nicht zuletzt spielt Geld eine Rolle. Seit einigen Jahren gibt es beim BAföG einen Zuschlag für ein Kind, wer sich beurlauben lässt, kann Sozialhilfe beantragen, dann gibt es auch Mietzuschüsse, sagt Beate Mittring, die im Münchner Studentenwerk den Bereich "Studieren mit Kind" leitet. Nachwuchswissenschaftlerinnen wie die Promotionsstudentin Heike Modest haben außerdem die Chance auf ein Stipendium der Christiane-Nüsslein-Volhard-Stiftung, das speziell junge Akademiker-Mütter fördert. "Es erleichtert mir das Leben", sagt die 28-Jährige.

Einen Krippenplatz kann es natürlich nicht ersetzen. Und den zu bekommen, man ahnt es schon, war "ein Riesenproblem". Modest arbeitet an einem Max-Planck-Institut in Garching bei München, einem Standort mit TU-Fakultäten und Forschungsinstituten. Immerhin ist die Lage in der Kleinstadt deutlich entspannter als in der benachbarten Metropole. Deshalb hält es auch der Münchner Student Lars Kreutz für einen "glücklichen Umstand", in Garching zu wohnen, denn da fand sich schließlich ein Platz für seine Tochter. "Wir brauchten ihn unbedingt", sagt Kreutz, denn seine Frau habe nach einem Jahr Babypause wieder arbeiten gehen müssen - sonst hätte das Geld nicht gereicht.

Trotz aller Probleme kann das Studium mit Kind aber auch Vorteile haben. Beate Mittring ist der Meinung, dass das Studium unter bestimmten Bedingungen sogar eine gute Zeit für die Kindererziehung sein kann. "Es gibt durchaus Eltern, die sagen, dass sie daran gewachsen sind." Ein Argument, dem Lars Kreutz zustimmt: "Als Student kann ich viel leichter an der Kindererziehung mitwirken, bevor ich mich um meine Karriere kümmern muss."

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